BVMDE: Investigativjournalist zeigt FCC-Verschleierungstaktik (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 30.11.2022, 01:19 (vor 743 Tagen)

In Deutschland zittern sich Mobilfunkgegner derzeit lustlos dem Scheitern der Europäischen Bürgerinitiative "Stop 5G" entgegen. Der BVMDE (Bundesverband verstörter Mobilfunkgegner Deutschlands) versucht von der trostlosen Lage abzulenken und lässt dazu den Blick 5885 km westwärts schweifen. Denn in dem Städtchen Pittsfield, Massachusetts, USA, tut sich Unerhörtes: 17 der rd. 44'000 Einwohner klagten, nachdem 2020 am Stadtrand ein Funkmast errichtet wurde, über plötzlich einsetzende Beschwerden. Im November 2022 stieg deshalb ein praller Heißluftballon in den Himmel.

Die Pittsfield-Story lockte einen Journalisten an, der die Geschichte als Aufmacher nutzte, um im November 2022 mit einem langen Artikel der Federal Communications Commission (FCC, amerikanisches Pendant zur deutschen BNetzA) ordentlich an den Karren zu fahren. Was der BVMDE aus dem englischen Originalartikel extrahiert hat, das ist hier zu finden. Der BVMDE bestätigt mit seinem stellenweise etwas wirren Text alle Vorbehalte, die man gegen organisierte Mobilfunkgegner haben kann. So ist der Autor des Originalartikels selbstverständlich kein gewöhnlicher Dorfreporter, sondern "Chefreporter" und "Enthüllungsjournalist" einer "unabhängigen, gemeinnützigen Nachrichtenredaktion [ProPublica, Anm. Postingautor], die investigativen Journalismus im öffentlichen Interesse produziert". Der Wikipedia-Eintrag von ProPublica räumt mit der frei erfundenen Behauptung einer "unabhängigen" Redaktion gleich mal auf, denn das Projekt ProPublica wurde von zwei US-Immobilien-Milliardären gegründet und wird von ihnen mit einem Jahresbudget von 10 Mio. USD finanziert. Dies erinnert an den finnischen Mobilfunkkritiker Dariusz Leszczynski, der für sein EHS-Projekt eine Milliardärin als Geldgeberin gefunden hat, deren persönliches Interesse an dem Projekt kein Geheimnis ist. Das ProPublica-Geschäftsmodell erinnert auch an das Redaktionsnetzwerk "Investigate Europe". Dieses fiel 2019 mit einem Kargo-Kult-Artikel gegen die Einführung von 5G unangenehm auf, denn der Text wirkte so, als hätten ihn organisierte Mobilfunkgegner den Autoren in die Maschinen diktiert. Tendenziös formuliert und einseitig recherchiert sehe ich auch den Artikel von ProPublica, der ganz sicher nicht zu den Glanzleistungen des Autors Peter Elkind zählt.

Der BVMDE trompetet unverdrossen "Elkind interviewte zahlreiche Experten, darunter ehemalige Mitarbeiter der FCC und der US-Regierungsbehörden ...". Was "Regierungsbehörden" sein sollen wird nicht verraten und wenn ich mich nicht irre, sind "ehemalige Mitarbeiter der FCC" nicht zwei, drei oder vier, sondern genau ein einziger. Dieser eine heißt Edwin Mantiply (70). Er lästert über die FCC ab und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Im Grunde gibt der Mann jedoch nur seine persönliche Meinung wieder, die den Tatsachen entsprechen kann oder, aus welchen Gründen auch immer, ein verzerrtes Bild zeichnet. Aber: Die FCC hat rd. 1500 Mitarbeiter. Wenn also ein einziger Ex-Mitarbeiter vier Jahre nach Beginn seines Ruhestands die FCC als gefügigen Erfüllungsgehilfen der Mobilfunkindustrie beschreibt, dann ist dies prima für den "Enthüllungsjournalisten", faktisch aber ist die Auskunft belanglos. Denn weder Mantiply noch Elkind legen einen einzigen Beleg vor, der Mantiplys Tadel glaubhaft bestätigt. Mit investigativem Journalismus hat das Kolportieren von unbelegten Meinungsbekundungen mMn nichts zu tun. Und Erwachsene sollten aus meiner Sicht sich ihrer Verantwortung gegenüber Kindern bewusst sein und deshalb der Versuchung widerstehen, ihren Nachwuchs mit den eigenen irrationalen Ängsten zu infizieren und skrupellos zum eigenen Vorteil zu instrumentalisieren. Wer's dennoch tut gibt Anlass zum Fremdschämen.

Wie dünn die Story von Elkind wirklich ist lässt sich gut testen an Stellen, wo er über Begebenheiten schreibt, die einem selber gut bekannt sind. Schauen wir uns ein paar willkürlich herausgegriffene derartige Textpassagen an (in deutscher Übersetzung):

[...] Die Art und Weise, wie die FCC bei der Überprüfung ihrer Standards vorgegangen ist, hat ein Bundesberufungsgericht so erschüttert, dass es die Behörde im Jahr 2021 für ihre, wie es sagte, "oberflächliche Analyse" gerügt hat. Das Gericht warf ihr vor, Beweise für potenzielle Schäden "unter den Teppich zu kehren" und ihre Argumentation nicht zu erläutern. Das "Schweigen" der Behörde, so das Gericht, ließ unklar, ob die Regierung überhaupt "irgendwelche Beweise in den Unterlagen in Betracht gezogen hat". Das Berufungsgericht wies die Behörde an, die Angemessenheit ihrer Sicherheitsvorkehrungen zu überdenken. [...]

Was es aus meiner Sicht zu dem geschilderten Vorfall zu sagen gibt, habe ich hier gesagt.

[...] Im Gegensatz dazu haben mehr als 20 ausländische Regierungen Schutzmaßnahmen ergriffen oder Vorsichtsmaßnahmen empfohlen. Frankreich verlangt, dass neue Telefone mit Kopfhörern und schriftlichen Hinweisen zur Begrenzung der Strahlenbelastung verkauft werden. [...]

Wahnsinnig aufregend! Kopfhörer sind auch hierzulande häufig im Lieferumfang von Mobiltelefonen enthalten, denn ein angeschlossener Kopfhörer wirkt als Radioantenne und erlaubt UKW-Empfang mit einem Smartphone. Und "Hinweise zur Begrenzung der Strahlenbelastung" finden sich seit langem in den Bedienungsanleitungen praktisch aller Smartphones.

[...]"Außerdem verbietet [Frankreich] Telefone, die an kleine Kinder gerichtet sind, sowie Werbung, die sich an Personen unter 14 Jahren wendet."[...]

Stimmt, aber das ist 13 Jahre her! Zu recherchieren, ob dies heute noch zutrifft, ist mir die Angelegenheit nicht wert.

[...] Griechenland und die Schweiz überwachen routinemäßig die Hochfrequenzstrahlung im ganzen Land. [...]

Stimmt, seit 2021 tut das die Schweiz tatsächlich, aber nicht im ganzen Land, sondern nur mit Stichprobenmessungen. Kurios: Autor Elkind hinterlegt im Original "Switzerland" mit einem Link, der aber nicht etwa zum Monitoringbericht führt, sondern zum amtlichen Monitoring der Zentralschweiz, welche Elkind anscheinend mit der Schweiz verwechselt hat. Die ersten Ergebnisse des schweizweit durchgeführten Monitorings sind für alle Mobilfunkgegner ziemlich enttäuschend gewesen, denn irgendeinen Grund zum Alarmieren gab es nicht.

[...] Großbritannien, Kanada, Finnland, Deutschland, Italien, Indien und Südkorea fordern die Bürger auf, sowohl ihre eigene Strahlenbelastung als auch die Nutzung von Handys durch Kinder zu begrenzen. [...]

Hmm, ich habe drei Kinder und bin zu keiner Zeit aufgefordert worden zu tun, was Elkind da behauptet. Möglicherweise verwechselt er die ominöse Forderung mit einer älteren Empfehlung des BfS.

[...] Auch die Europäische Umweltagentur tut dies und stellt fest: "Es gibt genügend Hinweise auf ein Risiko, um Menschen, insbesondere Kindern, zu raten, das Handy nicht an den Kopf zu halten." [...]

Nunja, dieses Fundstück des "Enthüllungsjournalisten" aus dem Jahr 2007/2009 geht bekanntlich weniger auf die Europäische Umweltagentur zurück, die sich bezüglich der Risikobeurteilung von EMF selbst für inkompetent erklärte, sondern auf die sogenannte BioInitiative (eine Gruppe mobilfunkkritischer Wissenschaftler unter der Fuchtel einer geschäftstüchtigen amerikanischen Baubiologin). Die Umweltagentur hat den Alarm der BioInitiative lediglich kolportiert und dafür umgehend einen Rüffel von der EU-Kommission bekommen. Das war 2011. Seither hat sich die Umweltagentur meines Wissens nicht mehr öffentlich zum Risiko EMF geäußert.

[...] Der damalige PR-Chef von Motorola beschrieb in zwei Memos, die später Microwave News zugespielt wurden, eine Strategie zur Diskreditierung der Forschungsergebnisse. Das Vorgehen von Motorola sollte in den folgenden drei Jahrzehnten als Vorlage für die Reaktion der Industrie auf problematische Forschungsergebnisse dienen. [...]

Mit großem Vergnügen stelle ich fest, dass dem "Enthüllungsjournalisten" Elkind das berühmt-berüchtigte Motorola-"War-Game-Memo", das von einem anderen "Enthüller" (Filmemacher Klaus Scheidsteger) und seinen Spießgesellen hierzulande bis zum Erbrechen verwurstet wurde, offensichtlich unbekannt ist. Dies deutet auf eine stark begrenzte Reichweite der Deutschen im Ausland hin.

[...] Die Ergebnisse [der NTP-Studie, Anm. Postingautor] waren dramatisch. Die Studie fand "eindeutige Hinweise" auf seltene krebsartige Herztumore, sogenannte Schwannome, bei männlichen Ratten, "einige Hinweise" auf Tumore in ihren Gehirnen und Nebennieren sowie Anzeichen von DNA-Schäden. Der Prozentsatz der Tumore war zwar gering, aber wie die Autoren der Studie bereits anmerkten, könnte "angesichts der extrem großen Zahl von Menschen, die drahtlose Kommunikationsgeräte benutzen, selbst ein sehr geringer Anstieg der Häufigkeit von Krankheiten aufgrund der Exposition" "weitreichende Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben." [...]

Auch Elkind stellt die Ergebnisse der NTP-Studie so dar, wie es üblicherweise Mobilfunkgegner praktizieren. Doch "dramatisch" sind die Ergebnisse der Studie keineswegs. Denn dazu hätte eine Befeldung unter Grenzwert stattfinden müssen. Das aber wurde nicht gemacht, sondern die Ratten wurden einer SAR ausgesetzt, die bis Faktor 75 über dem für Menschen zulässigen Maximalwert lag. Kein Wunder also, wenn den Nagern die Befeldung zu schaffen machte. Diesen Einwand und mehr kann man sich in fachlichen Bewertungen der NTP-Studie ansehen.

Fazit: Wahrscheinlich ließe sich nahezu jeder Absatz des Originalartikels auf diese Weise zerpflücken. Was auch immer den BVMDE zu seiner wohlwollenden Bewertung des Artikels von Elkind gebracht hat, ich kann es weder nachvollziehen noch kann ich diese Bewertung teilen. Der Artikel ist für mich Kargo Kult, das heißt er hat die typischen äußeren Merkmale eines Qualitätsartikels, ist inhaltlich jedoch mangelhaft und manipulativ. In den USA arbeiten sich Mobilfunkgegner gewohnheitsmäßig an der FCC ab, hierzulande am BfS. Man gönnt sich ja sonst nichts.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
USA, Kolportage, Vorsorgeprinzip, Kampagne, Spaltung, Schwannom, FCC, Bedienungsanleitung, Enthüllungsjournalist

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