Diagnose-Funk feiert "historischen" Sieg über FCC in den USA (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 22.08.2021, 22:27 (vor 976 Tagen)

Am 13. August 2021 gab ein Berufungsgericht in den USA den Anträgen der Kläger teilweise statt und verurteilte die Federal Communications Commission (FCC) zu einer begründeten Erklärung, warum ihre Grenzwerte angemessenen Schutz gegen schädliche Auswirkungen einer HF-Exposition bieten, die nicht mit Krebs in Verbindung stehen. Die Kläger und deren Anhänger feiern dieses Urteil als "historischen Sieg". Doch stimmt diese hochtrabende Wertung auch?

Geklagt hatte die Kinderschutzorganisation Children's Health Defense (CHD) mit Robert F. Kennedy Jr. an der Spitze gemeinsam mit Devra Davis' Environmental Health Trust. Und schon einen Tag nach der Urteilsverkündung titelte Diagnose-Funk gewohnt großspurig, semantisch jedoch pflegeanfällig:

USA. Historische Entscheidung: Bundesgericht weist FCC an, zu erklären, warum sie wissenschaftliche Nachweise für Schäden durch drahtlose Strahlung [sik!] ignoriert hat
Ein Urteil von internationaler Bedeutung

Einen ersten Hinweis, dass der Jubel der organisierten Mobilfunkgegner wahrscheinlich nur von den Wänden ihrer Echokammern hallt, ist das äußerst karge Medienecho, welches das Urteil hervorgerufen hat. Keines der großen US-Medienhäuser hat von dem "historischen" Urteil Notiz genommen und wenn überhaupt einer berichtete, dann wurde eine Pressemitteilung der Kläger abgedruckt oder es handelt sich um eine veraltete Meldung von der mündlichen Verhandlung im Januar 2021. Wäre das Urteil tatsächlich historisch, die Medien hätten sich ohne Wenn & Aber überschlagen.

Was aber ist faul an dem Urteil, dass die US-Medien es verschmäht haben?

Dazu müsste man das Urteil lesen. Diagnose-Funk bietet zwar den Volltext des Urteils inklusive Urteilsbegründung an, doch wer liest hierzulande schon freiwillig 44 Seiten juristische Ausführungen in englisch. Zudem lenken die Stuttgarter ihre Leser mit ebenso üppigen wie belanglosen Ballastinformationen zum Urteil davon ab, sich eigene Gedanken zu machen.

Kläger CHD hat in den USA die Sprachhürde nicht auf seiner Seite, listigerweise bieten die Kinderschützer ihren Lesern deshalb nur eine 1-seitige Kurzfassung an. Dort fehlt die Urteilsbegründung und Leser der CHD-Webseite sind allein auf die siegestrunkene Interpretation von CHD angewiesen. Seriöse Journalisten schätzen manipulationsverdächtige Spielchen dieser Art in keinem Land der Welt.

Vielleicht war es auch der einst tadellose Name Kennedy, der die Medien Abstand nehmen ließ. Denn Robert F. Kennedy Jr. hat eine irritierende Vorliebe für Verschwörungstheorien. Er ist Impfgegner, wofür er sogar von Mitgliedern des Kennedy-Clans angegriffen wird und anlässlich einer Querdenker-Demo in Berlin outete er sich einem Medienbericht zufolge auch als 5G-Gegner.

Genug spekuliert, kommen wir zu den harten Fakten.

Das Urteil der drei Richter (Volltext), fiel nicht einstimmig aus, sondern 2:1 zugunsten der Kläger. Die Einwände der Richterin Karen Lecraft Henderson sind ab Seite 32 des Urteils detailliert nachzulesen. Über eine offensichtlich von den Klägern vorgelegte Review des berühmt-berüchtigten Autors Yakymenko schreibt sie z.B.:

[...] Selbst die Yakymenko-Review, in der behauptet wird, 93 von 100 Peer-Review-Studien hätten ergeben, dass HF-Strahlung niedriger Intensität oxidative Effekte in biologischen Systemen induziert, geht nicht auf die entscheidende Frage ein, ob HF-Strahlung unterhalb der Grenzwerte der Kommission [gemeint ist hier die FCC; Anm. Postingautor] negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. [...]

Entscheidend für meine Einschätzung, dass das vermeintlich "historische" Urteil in Wirklichkeit der FCC nur eine äußerst aufwendige Hausaufgabe aufgibt, ist der letzte Absatz in der Urteilsbegründung:

[...] Aus den zuvor genannten Gründen geben wir den Klagen teilweise statt und verweisen die Angelegenheit an die Kommission zurück, damit sie eine begründete Erklärung für ihre Feststellung abgibt, dass ihre Grenzwerte einen angemessenen Schutz gegen schädliche Auswirkungen der Exposition (Krebs ausgenommen) durch hochfrequente Strahlung bieten. Sie muss insbesondere ...
(i) eine begründete Erklärung für ihre Entscheidung abgeben, die Testverfahren beizubehalten, mit denen sie feststellt, ob Mobiltelefone und andere tragbare elektronische Geräte ihren Richtlinien entsprechen,
(ii) auf die Auswirkungen von HF-Strahlung auf Kinder eingehen, auf die gesundheitlichen Folgen einer langfristigen Exposition gegenüber HF-Strahlung, sowie auf die Allgegenwärtigkeit funkender Geräte und anderer technologischer Entwicklungen, die seit der letzten Aktualisierung der Richtlinien durch die Kommission eingetreten sind und (iii) die Auswirkungen von HF-Strahlung auf die Umwelt berücksichtigen.

Damit kein Irrtum aufkommt: Wir nehmen zu der wissenschaftlichen Debatte über die Gesundheits- und Umwelteinflüsse von HF-Strahlung keine Stellung - wir kommen lediglich zu dem Schluss, dass die kursorische Analyse der materiellen Beweise durch die Kommission in rechtlicher Hinsicht nicht ausreichend war. Wie die abweichende Meinung [gemeint ist Richterin Henderson] andeutet, mag es gute Gründe dafür geben, warum die verschiedenen Studien in den Unterlagen, von denen wir hier nur einige zitiert haben, keine Änderungen an den Richtlinien der Kommission rechtfertigen. Aber wir können nicht anstelle der Behörde eine Begründung liefern, siehe SEC v. Chenery Corp., 318 U.S. 80, 87-88 (1943), und hier hat die Kommission keine Begründung geliefert, auf die wir uns verlassen könnten.

Alle Wege führen nach Rom

Zum Schluss noch eine Anmerkung, die wahrscheinlich dem amerikanischen Rechtssystem geschuldet, aus meiner hiesigen Sicht jedoch irritierend ist. Damit meine ich die Einmischung einer eigenen Angaben zufolge nicht gewinnorientierten Organisation mit dem verdächtigen Namen Building Biology Institute (BBI), Santa Fe, New Mexico, in die Verhandlung. Dieses BBI wurde auf Betreiben der "elektrosensiblen" Rechtsanwältin Dafna Tachover aktiv und reichte am 10. August 2020 am Berufungsgericht einen 32-seitigen Schriftsatz zugunsten der Kläger ein. Gründer des BBI war der 2013 verstorbene gelernte Architekt Helmut Ziehe, der sein Baubiologenhandwerk in den 1980er Jahren bei Anton Schneider am IBN erlernte, bevor er die Idee der Baubiologenausbildung mit übersetztem IBN-Kursmaterial zuerst nach Großbritannien und später (1987) in die USA exportierte. Eigenen Angaben zufolge hat das BBI bislang rd. 2000 Baubiologen ausgebildet, selbstredend nicht gratis, sondern gegen Zahlung von Studiengebühren.

Anlässlich der Verhandlung waren zwei Vertreter des BBI zur Unterstützung der Kläger eingebunden, welchen Einfluss sie hatten geht aus dem Urteil nicht hervor.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Baubiologie, Davis, Diagnose-Funk, Manipulation, Einflussnahme, USA, IBN, Oxidativer Stress, Schneider, Kolportage, Yakymenko, Tachover, FCC, Echokammer, Kennedy, Children's Health Defense, Environmental Health Trust, Framing


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