Bundesparlamentarier erhielten Messgeräte für Funkstrahlung (Allgemein)
Im Bundeshaus zu Bern hat angeblich die moderne Wünschelrute in Gestalt von zahlreichen Elektrosmog-Messgeräten Einzug gehalten. Technisch unbedarfte Parlamentarier sollen damit das Unsichbare in ihre Gewalt bekommen und besser verstehen lernen. Ein zugegeben gerissener Plan. Doch wer mit so einem "Messgerät" in der Öffentlichkeit erwischt wird macht sich lächerlich.
Der schweizerische Anti-Mobilfunk-Verein funkstrahlung.ch behauptet am 7. Juni 2018: Bundesparlamentarier erhalten Messgeräte für Funkstrahlung. Der Meldung zufolge hatte Nationalrat Thomas Hardegger die Idee, seinen Kollegen in der parlamentarischen Gruppe "Nichtionisierende Strahlung - Umwelt und Gesundheit" der Bundesversammlung leihweise Elektrosmog-Messgeräte zu überlassen und funkstrahlung.ch beschaffte ihm diese.
Die parlamentarische Gruppe "Nichtionisierende Strahlung - Umwelt und Gesundheit", nicht zu verwechseln mit dem gleichlautenden Nationalen Forschungsprogramm 57 der Schweiz, ist eine von rd. 150 parlamentarischen Gruppen der eidgenössischen Bundesversammlung. Über die Außenwirkung diese Gruppe, die von den Nationalräten Thomas Hardegger und Maximilian Reimann geführt wird, ist bislang nichts bekannt geworden, bis drauf, dass sie anlässlich der Abstimmung über eine Lockerung der schweizer Anlagegrenzwerte im März 2018 ihre Kollegen im Ständerat mit einem Brief ersucht hat, gegen die Lockerung zu stimmen. Dies ist ein Indiz für die Haltung der Gruppe in der Mobilfunkdebatte. Weitere Indizien: Die Tochter von Maximilian Reimann hält sich für "elektrosensibel" und auch Thomas Hardegger glaubt an "Elektrosensibilität". Dies alles deutet darauf hin, dass von dieser parlamentarischen Gruppe keine ergebnisoffene qualifizierte Auseinandersetzung in Sachfragen der Mobilfunkdebatte zu erwarten ist.
Doch es kommt noch schlimmer. Wie das Foto in der Meldung von funkstrahlung.ch deutlich macht, haben die Parlamentarier gar keine Elektrosmog-Messgeräte bekommen, sondern lediglich für Laien billig produzierte und teuer verkaufte HF-Detektoren der Firma EMFields. Die Technischen Daten dieser Geräte enthalten (aus gutem Grund) keine Angaben über den Messfehler, denn es handelt sich dabei lediglich um grobe "Schätzeisen", die messtechnischen Laien das trügerische Gefühl geben, messen zu können. Professionelle Messgeräte würden Laien mit der richtigen Einstellung und Bedienung hoffnungslos überfordern. EMFields nimmt deshalb den Anwendern seiner Detektoren jede eigene Denkarbeit ab, indem die Schätzwerte auch gleich mit Hilfe von Farb-LEDs "richtig" eingeordnet werden in die drei Kategorien "Susi, sorglos" (grün), "Susi, obacht" (gelb) und "Susi, lauf weg" (rot). Grün bedeutet Schätzwerte unter 0,05 V/m, gelb 0,05 V/m bis 0,5 V/m und rot ist alles über 0,5 V/m. Diese Einteilung ist willkürlich und unseriös. Zum Vergleich: Die schweizer Vorsorgewerte erlauben je nach Frequenz des Messsignals Werte zwischen 4 V/m und 6 V/m und die zulässigen Immissionsgrenzwerte liegen noch 10-mal höher. Mein Verdacht: Diese Detektoren sollen Menschen gezielt schon bei extrem schwachen Funkfeldern ängstigen und reif machen für die Auftragsvergabe an den nächstbesten "Baubiologen". Für die Geräte dann auch noch Geld zu verlangen ist aus meiner Sicht a) ein genialer Marketingtrick und b) der symbolträchtig vor die Nase der Käufer gehaltene gestreckte Mittelfinger. Und damit die Angst mit möglichst vielen Sinnen nachhaltig geweckt wird, demodulieren die Detektoren das Schätzsignal und geben das unangenehme Krächzen und Knattern verstärkt auf einen Lautsprecher. Mit Hörproben, die EMFields auf seiner Website für verstörte Anwender bereithält (MP3), sollen dieser dann "ihr" Signal identifizieren können ob es DECT, W-Lan, Tetra, UMTS oder GSM ist. Für LTE, Bluetooth, RTL2, ZDF, ARD, SF1 oder Radio Vatikan gibt es keine Hörproben, auch nicht für den Standardfall, dass gleich mehrere der "mörderischen Funkdienste" gleichzeitig über ihr Opfer herfallen und Klänge erzeugen wie beim Stimmen der Instrumente vor einer Orchesterprobe.
Fazit: Die ohnehin schon vorgespannten Mitglieder der parlamentarische Gruppe "Nichtionisierende Strahlung - Umwelt und Gesundheit" werden mit den HF-Detektoren weiter ins Abseits getrieben und für dumm verkauft. Dass Parlamentarier keine Messtechniker sind ist nachvollziehbar, dies rechtfertigt jedoch nicht ihre systematische Irreführung mit einer Breitband-Schätztechnik, die nach Gutdünken bewertete Orientierungswerte hervorbringt und Fehlinterpretationen garantiert. Wer mit diesen Jugend-forscht-Geräten herumläuft und mit den "Messergebnissen" ernsthaft argumentieren will, blamiert sich bis auf die Knochen. Wenn Lieschen Müller dies passiert ist das zu verschmerzen, bei Parlamentariern sollte die Latte höher liegen.
[Posting editiert am 14.10.2018, 10:20 Uhr]
--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –