Initiative Schlieren: Swisscom soll Mobilfunker kontrollieren (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 16.07.2018, 13:14 (vor 2104 Tagen) @ H. Lamarr

Die NIS-Schwachstelle des Vereins Gigaherz.ch, ein freundlicher Baubiologe von nebenan oder der Geistheiler von gegenüber würden sich bestimmt gerne als "unabhängige Institution" für diese nette Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur Verfügung stellen :-).

Nein, Antragsteller Beat Steiger hat sich mehr Mühe gegeben als gedacht, er schlägt in seiner adrett gestalteten und (vermeintlich) gut durchdachten Einzelinitiative (Originaltext) kompetente Kontrolleure vor. Er schreibt:

Die Gemeinde Schlieren beauftragt eine unabhängige und von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle SAS zugelassene Institution mit der umfassenden und systematischen Kontrolle der Funkanlagen.

Da er keine zugelassene Institution ist, scheidet Gigaherz-Präsident Jakob als Kontrolleur schon einmal aus. Doch wer ist nun von SAS zur Kontrolle der Einhaltung der NIS-Verordnung zugelassen? Dies lässt sich bei der SAS feststellen. Und man darf überrascht feststellen, dass nur neun Institutionen in der Schweiz amtlich berechtigt sind, die Einhaltung der NISV zu prüfen. Dass eine dieser Institutionen die Swisscom selbst ist, also einer der eidgenössischen Mobilfunknetzbetreiber, hat Beat Steiger vermutlich übersehen, denn allein schon dieser Umstand entzieht seine Initiative die Grundlage. Steiger sucht schließlich nach Mittel und Wegen, den Netzbetreibern von unabhängiger Seite auf die Finger schauen zu lassen. So aber lässt seine Forderung jetzt zu, dass Swisscom sich selbst auf die Finger schaut.

Der grundsätzliche Denkfehler in Steigers Initiative ist jedoch ein ganz anderer. Denn der Initiant verlangt die Kontrolle der sogenannten Anlagegrenzwerte, die in der Schweiz für Orte mit empfindlicher Nutzung gelten und 10-mal tiefer sind (bezogen auf die elektrische Feldstärke) als die in der Schweiz ansonsten gültigen Immissionsgrenzwerte. Doch diese Anlagegrenzwerte sind keine Gefährdungsgrenzwerte, sondern reine Vorsorgewerte. Dies wiederum bedeutet: Eine Überschreitung dieser Vorsorgewerte (in gewissen Grenzen) bedeutet keine Gefährdung für Mensch und Tier, die im Umfeld einer Sendeanlage leben, welche eine solche Überschreitung aufweist (mehr dazu <hier>). Eine derart aufwendige Kontrolle, wie sie Steiger vorschlägt, ist das Schießen mit Kanonen auf Spatzen und daher unnötig.

Doch es gibt noch mehr an der Initiative zu beanstanden. Beat Steiger begründet sie u.a. damit, Kontrollen von Sendeanlagen hätten in der Vergangenheit Abweichungen von der Baubewilligung ergeben. Das hört sich schlimm an. Er verschweigt jedoch, dass diese Abweichungen von marginaler Natur waren und keine Gefährung der Bevölkerung mit sich brachten.

Die Initiative Steigers liest sich auf den ersten Blick richtig gut, anders als das sonst übliche dramatische Geschwalle von Mobilfunkgegnern ist sie sachlich und unaufgeregt formuliert und damit für die Szene untypisch. Erst bei genauerer Betrachtung zeigt sich, wie tendenziös die Begründungen Steigers sind. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel soll dies verdeutlichen. Steiger behauptet:

Das Bundesgericht und in der Folge auch der Hauseigentümerverband haben längst anerkannt, dass die sichtbare Antenne negativen Einfluss auf den Wert der umliegenden Wohnliegenschaften hat (BGE 138 II 173 S. 188, 7.4.3).

Schaut man sich hingegen das zitierte Urteil an, wird deutlich, der Initiant pickt heraus, was ihm gefällt und lässt für ihn weniger Vorteilhaftes weg. Ungekürzt liest sich die Passage 7.4.3 des Urteils vom März 2012 der vielen Konjunktive wegen keineswegs so bestimmt, wie Steiger dies glauben machen möchte:

7.4.3 Weiter geht es der Gemeinde um die Wahrung von Charakter und Qualität der Wohnzonen durch den Schutz vor ideellen Immissionen von Mobilfunkantennen.
Grundsätzlich darf bei der Ortsplanung berücksichtigt werden, dass bestimmte Nutzungen oder Anlagen in der Bevölkerung (oder Teilen davon) unangenehme psychische Eindrücke erwecken und dazu führen, dass die Umgebung als unsicher, unästhetisch oder sonst wie unerfreulich empfunden wird (BGE 136 I 395 E. 4.3.2 und 4.3.3 S. 401 mit Hinweisen). Dass der Anblick von Mobilfunkanlagen - zu Recht oder zu Unrecht - bei Anwohnern als Bedrohung bzw. als Beeinträchtigung der Wohnqualität empfunden wird, lässt sich zahlreichen Einsprachen und Beschwerdeschriften entnehmen und durfte daher vom Verwaltungsgericht als gerichtsnotorisch betrachtet werden. Insofern kann die Errichtung solcher Anlagen in einer Wohnzone die Attraktivität des Gebiets zum Wohnen beeinträchtigen und sich u.U. mindernd auf Kaufpreise oder Mietzinse für Liegenschaften auswirken (BGE 133 II 321 E. 4.3.4 S. 328). Die Begrenzung von Mobilfunkantennen in Wohngebieten erscheint daher grundsätzlich als geeignetes Mittel, Charakter und Attraktivität der Wohnzonen zu wahren.
Allerdings ist den Beschwerdeführerinnen [Mobilfunknetzbetreiber; Anm. Spatenpauli] einzuräumen, dass subjektive Ängste und Gefühle des Unbehagens keine tragfähige Grundlage für weitgehende Einschränkungen oder gar ein Verbot von im allgemeinen Interesse liegenden Infrastrukturanlagen bilden. Dagegen kann es sich rechtfertigen, in Zonen, die in erster Linie für das gesunde und ruhige Wohnen bestimmt sind, die Errichtung von Betrieben und Anlagen, die ideelle Immissionen verursachen können, von einem funktionalen Zusammenhang zur jeweiligen Zone abhängig zu machen (BERNHARD WALDMANN, Der Schutz vor ideellen Immissionen in Wohngebieten - eine kritische Würdigung, Baurecht 1995 S. 162; so auch WITTWER, a.a.O., S. 110 f.).

Aus meiner Sicht hat sich Beat Steiger mit seiner Einzelinitiative viel Mühe gegeben, er formuliert geschickt und überzeugend und erweckt den Eindruck, als wären seine Argumente belastbar. Doch das sind sie nicht. Ob es dem Initianten dennoch gelingt, die Stadtparlamentarier einzuwickeln und auf seine Seite zu ziehen, wird sich zeigen, denn noch hat Schlieren nicht über Steigers Initiative entschieden. Tut sie es, sollte sich der Beschluss <hier> finden lassen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Vorsorgewert, Wertverlust, Notlage, Steuerverschwendung, Anlagengrenzwert, Urteil, NIS, Hauseigentümerverband, Akkreditiert, Gefährdungsgrenzwert


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