Kritik an ukrainischer Forschergruppe (Forschung)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 16.04.2014, 21:58 (vor 3624 Tagen) @ Dr. Ratto

Worum es ihm wirklich geht, sagt der letzte Satz:
"Undoubtedly, this calls for the further intensive research in the area, as well as to a precautionary approach in routine usage of wireless devices." (fett von mir)
Er braucht Forschungsgelder ...

Auch mir sind ein paar Misstöne aufgefallen.

Was ich nicht ausstehen kann sind scheinheilige Fragen, nur um eine bereits fest stehende Antwort an den Mann bringen zu können. Für einen Wissenschaftler mMn unter aller Kanone. In dem Artikel passiert das trotzdem gleich im ersten Absatz:

However, is RFR completely safe for public health? Traditionally, the industry and the public bodies said yes. Nevertheless, new research data change this perception.

Wunderschön, wie hier das Misstrauen gegenüber "Industrie und Behörden" auf Stammtischniveau geschürt wird, die sogenannte Kompetenzinitiative wird darüber begeistert sein, sie sägt ja am selben Stamm.

Ein paar Absätze weiter wissen die Autoren:

Similarly, an increase in tumor incidence among people living nearby cellular base transmitting stations was also reported [10, 11].

Das ist für eine Review im Jahr 2014 ein richtig grober Ausrutscher, denn [10] ist die Naila-Studie und [11] ist die Wolf & Wolf-Studie. Beide Arbeiten (und noch zwei andere) blieben bei der 2B-Bewertung von Funkwellen durch die IARC unberücksichtigt, wegen folgender vernichtenden Bewertung (PDF, 128 Seiten, englisch):

There have been several small ecological studies, generally of low quality, that have assessed the correlation between all cancers and distance from mobile-phone base stations (Eger et al., 2004; Wolf & Wolf, 2004; Gavin & Catney, 2006; Eger & Neppe, 2009). However, the Working Group considered these studies to be uninformative for the reasons listed below.

Diese Backpfeife hindert Yakymenko jedoch nicht, die IARC dennoch als Belastungszeugen zu benennen. Gleich im nächsten Satz schreibt er:

As a result, in 2011 the World Health Organization/International Agency for Research on Cancer classified radiofrequency radiation as a possible carcinogen to humans.

Man möchte meinen, die Autoren wissen nicht was sie da schreiben, und schossen nur wahllos auf alles, was ihnen vor die Flinte kam.

Aber es kommt noch besser: Mit Literaturstelle [14] schrecken die Autoren noch nicht einmal vor der berühmt-berüchtigten Oberfeld-Hallberg-Prognose zurück, die im Jahr 2006 für 2017 rd. 4 Mrd. selbst-diagnostizierte EHS voraussagte. Für den Physiker M. Hahn war diese Prognose schon von Anfang an eine Dreistigkeit sondersgleichen - und er hat auch begründet warum. Alles was recht ist: Wer auf diese Prognose als Quelle heute noch zurückgreift, der muss am verdursten sein.

Und auch das Spiel mit den Einheiten habe ich gefunden: 0.1 μW/cm² klingt natürlich wesentlich dramatischer als ordentliche 1 mW/m². Ich sehe darin einen der ganz billigen Täuschungsversuche.

Alle diese Kritikpunkte sind mir beim flüchtigen Querlesen aufgefallen, wahrscheinlich findet man noch mehr Absonderlichkeiten in diesem 2-Seiten-Editorial, wenn man systematisch danach sucht.

Nicht einmal der unter Mobilfunkgegnern so heiß gehandelte "oxidative Stress" ist eine belastbare Größe. Da ich von dieser Thematik keine Ahnung habe überlasse ich das Feld Prof. Roland Glaser. In seiner Rezension des 2012 erschienenen Buches "Strahlen und Gesundheit" von Prof. Jürgen Kiefer schreibt er:

An manchen Stellen blitzt auch ein bisschen die Ironie des Autors durch, so etwa wenn er mit gutem Recht zu den "reactive oxygen species" (ROS) schreibt, sie hätten "sich in letzter Zeit zur argumentativen Vielzweckwaffe entwickelt, auch wenn in den meisten Fällen die Evidenzbasis recht dünn ist" (S. 33). Tatsächlich werden ROS überall dort eingesetzt, wo man nach Sündern von Strahlenschäden sucht. Unreflektiert und unbegründet im Bereich niederfrequenter Felder, auch wenn es nicht ersichtlich ist, wie ihre ohnehin im Stoffwechsel auftretende Konzentration dadurch erhöht werden könnte; undifferenziert im Bereich ionisierender Strahlen, bei denen Radikale tatsächlich eine Rolle spielen.

Alles in allem stellt sich mir die Frage, inwieweit z.B. Big T. über dieses sogar für Laien wie mich als unwissenschaftlich identifizierbare Editorial hoch erfreut und dankbar bereit ist, die angedeutete Geldnot ein wenig zu lindern.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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