Faktencheck: Insektenstudie "Beefi" von Diagnose-Funk (I) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 23.03.2024, 14:16 (vor 50 Tagen)

Das Panikorchester von Diagnose-Funk spielt wieder groß auf, diesmal geht es um die Wurst. Der Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein präsentierte am 19. März 2024 auf einer Pressekonferenz geladenen Medienvertretern seine Neuauflage der Insektenreview "Biological Effects of Elektromagnetic Fields on Insects" (Beefi). Aus Sicht des Vereins ist das Ergebnis der Studie so alarmierend, dass eine EMF-Grenzwertsenkung auf 100.µW/m² unumgänglich ist. Doch eine Grenzwertsenkung wird es wegen der Review garantiert nicht geben. Denn eine einzelne Studie rechtfertigt einen solchen Schritt nicht. Schon gar nicht, wenn sie wie "Beefi" ein starkes Geschmäckle hat. Unser Faktencheck wird zeigen, das Projekt ist keine gewöhnliche Studie, sondern eine Kampagne zur breit angelegten Desinformation von Politik und Bevölkerung in Europa.

Die Insektenreview ist eine Literaturstudie, die per se keine grundlegend neuen Erkenntnisse liefern kann, sondern den Stand des Wissens zusammenfasst und aus Sicht der Autoren bewertet. Das Paper erschien online bereits am 23. November 2023 in der Fachzeitschrift Reviews on Environmental Health. Chefredakteur des Blatts ist David O. Carpenter, ein wissenschaftlicher Mobilfunkkritiker (BioInitiative-Report) der ersten Stunde. Die Insektenstudie wurde als Open-Access-Artikel veröffentlicht, der Volltext steht damit jedem unentgeltlich zur Verfügung. Die Artikelbearbeitungsgebühr von rd. 2800 Euro ging zulasten der drei Autoren, welche ihre Auslagen mutmaßlich von Diagnose-Funk (Auftraggeber der Studie) erstattet bekamen. Auf die Autoren kommen wir später noch zu sprechen.

Über den Peer-Review-Prozess der Zeitschrift gibt diese Seite allgemein Auskunft. Im Gegensatz zu einigen anderen Zeitschriften gibt Reviews on Environmental Health jedoch nicht preis, wie die Peer-Review der Insektenreview verlaufen ist, auch über das Einreichungsdatum des Manuskripts und ggf. Überarbeitungsschritte infolge der Peer-Review hüllt sich das Blatt in Schweigen. Wie auch immer, da das Paper veröffentlicht wurde, ist anzunehmen, dass es die unbekannten Gutachter am Ende des Peer-Review-Prozesses inhaltlich überzeugt hat.

Wir halten fest: Die Rahmenbedingungen für die Insektenreview wurden so gewählt, dass eine Ablehnung des Manuskripts durch das Publikationsorgan unwahrscheinlich ist und keine Bezahlschranke neugierige Laien vom freien Zugriff auf das Paper abschreckt. Das ist deshalb wichtig, weil Diagnose-Funk primär nicht wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Visier hat, sondern Unruhe in der Bevölkerung stiften möchte.

Der Abstract

Den folgenden Abstract der Insektenreview habe ich unverändert der Deutsch-Übersetzung der Beefi-Review entnommen, die von Diagnose-Funk angeboten wird.

Weltweit geht die Zahl der Insekten in alarmierendem Maße zurück. Neben anderen Ursachen spielen der Einsatz von Pestiziden und moderne landwirtschaftliche Praktiken dabei eine große Rolle. Die kumulativen Auswirkungen multipler niedrig dosierter Toxine und die Verteilung von Giftstoffen in der Natur werden erst seit kurzem methodisch untersucht. Bestehende Forschungen weisen auf einen weiteren Faktor anthropogenen Ursprungs hin, der subtile schädliche Auswirkungen haben könnte: die immer häufigere Nutzung elektromagnetischer Felder (EMF) durch vom Menschen geschaffene Technologien. Diese systematische Übersicht fasst die Ergebnisse von Studien zusammen, die die Toxizität elektromagnetischer Felder auf Insekten untersucht haben. Das Hauptziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die Beweise für schädliche Auswirkungen der zunehmenden technologischen Infrastruktur auf Insekten abzuwägen, mit besonderem Augenmerk auf Stromleitungen und das Mobilfunknetz. Die nächste Generation von Mobilfunktechnologien, 5G, wird eingeführt, ohne dass sie auf mögliche toxische Auswirkungen getestet wurde. Mit dem Streben der Menschheit nach einer allgegenwärtigen Technologie könnten selbst geringe Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf Organismen schließlich ein Sättigungsniveau erreichen, das nicht mehr ignoriert werden kann. Es wird ein Überblick über die berichteten Wirkungen und biologischen Mechanismen der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern gegeben, der auch neue Erkenntnisse der Zellbiologie berücksichtigt. Nicht-thermische biologische Wirkungen von EMF auf Insekten sind im Labor eindeutig nachgewiesen, aber nur teilweise im Freiland, sodass die weiteren ökologischen Auswirkungen noch unbekannt sind. Es besteht ein Bedarf an mehr Feldstudien, aber die Extrapolation aus dem Labor, wie es in der Ökotoxikologie üblich ist, lässt bereits auf eine Erhöhung des Bedrohungsniveaus durch Auswirkungen von EMF auf Insekten schließen.

Wir halten fest: Üblicherweise ist Wissenschaft ergebnisoffen und nicht voreingenommen. Hier ist es anders. Die Autoren räumen Franck und frei ein, das Hauptziel ihrer Übersichtsarbeit sei das Abwägen der Beweise für schädliche Auswirkungen der zunehmenden technologischen Infrastruktur auf Insekten gewesen. Ihr Interesse galt also ausdrücklich Beweisen für schädliche Auswirkungen und nicht etwa Beweisen für unschädliche oder gar nützliche Auswirkungen. Doch der Abstract ist in sich widersprüchlich. Denn eingangs werden schädlichen EMF-Auswirkungen noch vorsichtig im Konjunktiv genannt und weiter unten ist von schädlichen Auswirkungen keine Rede mehr, sondern nur noch (neutral) von "biologischen Wirkungen", die alles und nichts bedeuten können.

Der Abstract hat damit zumindest in der Deutsch-Übersetzung seine Aufgabe verfehlt, Leser konkret über die wichtigsten Ergebnisse eines Papers zu informieren. Wertvoller Platz wird mit der ebenso unsinnigen wie haltlosen Behauptung verschenkt, die nächste Generation von Mobilfunktechnologien, 5G, werde eingeführt, ohne dass sie auf mögliche toxische Auswirkungen getestet wurde. Neu an 5G in Europa ist gegenwärtig das Trägerfrequenzband um 3,5 GHz. Millionen W-Lan-Router funken aber seit etwa zehn Jahren auf noch höherer Frequenz (5 GHz), was wegen der kürzeren Wellenlängen für Insekten noch "schädlicher" sein müsste. Wäre da wirklich etwas, es wäre aufgefallen, z.B. insektenfreie Wohnungen und Häuser oder massenhaft tote Insekten nahe Routern und Repeatern. Doch da gibt es keine Meldungen abgesehen von den üblichen statistischen Ausnahmen, welche nur die Regel bestätigen.

Wird fortgesetzt ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Insektenstudie "Beefi" (II): Medienresonanz

H. Lamarr @, München, Samstag, 23.03.2024, 19:20 (vor 50 Tagen) @ H. Lamarr

Das Panikorchester von Diagnose-Funk spielt wieder groß auf, diesmal geht es um die Wurst. Der Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein präsentierte am 19. März 2024 auf einer Pressekonferenz geladenen Medienvertretern seine Neuauflage der Insektenreview "Biological Effects of Elektromagnetic Fields on Insects" (Beefi).

Resonanz auf Google News

Das Portal Google News verbreitet in 70 Ländern automatisiert Nachrichten in der Landessprache, in Deutschland werden dazu etwa 700 Nachrichtenquellen ausgewertet. Da die polemischen "Pressemitteilungen" des Stuttgarter Vereins von Medien so gut wie immer ignoriert werden, bedient sich Diagnose-Funk eines Tricks, um dennoch in Google News präsent zu sein. Die gewitzten Mobilfunkgegner stellen ihre "Pressemitteilungen" in die kostenpflichtige Pressebox ein, das ist ein Portal, das seinerseits Pressemitteilungen verbreitet und von Google News als Nachrichtenquelle akzeptiert wird. Auf diese Weise erzielt Diagnose-Funk mit seinen "Pressemitteilungen" in Google News immerhin Eigentore.

Diesmal aber hat der Verein weder Kosten noch Mühen gescheut und zusätzlich zu seiner "Pressemitteilung" anlässlich der Präsentation seiner Insektenstudie eine Pressekonferenz für Medienvertreter veranstaltet. Konnten die Stuttgarter damit ihre Trefferquote in Google News steigern?

Heute, vier Tage nach der Pressekonferenz, lautet die klare Antwort nein.

Trefferquote für Suchwort "Beefi" am 23. März 2024.
[image]

Ändert man das Suchwort auf den Suchbegriff "Insektenstudie Beefi", zeigt Google News momentan überhaupt keinen Treffer mehr an.

Das unglückliche Akronym "Beefi" dürfte an dem mageren Ergebnis nicht ganz schuldlos sein, denn Google ist versucht, dieses auf das weitaus bekanntere Salamiwürstchen "Bifi" zu berichtigen.

Einschränkend ist anzumerken, dass Meldungen auf Google News offenbar sehr kurzlebig sind und die Trefferquote vom Suchbegriff abhängt, denn vor zwei Tagen konnte ich auf dem Portal noch diese Meldung des SWR antreffen. Allerdings klatscht der SWR nicht Beifall, sondern ein Reporter äußert sich unter Berufung auf das BfS kritisch zu der Insektenstudie. Die Studienautoren hätten es versäumt, qualitativ minderwertige Studien vor der Auswertung auszusortieren, ihre Schlussfolgerungen bauten auf Sand und wären deshalb kein belastbarer Beleg für eine Schadwirkung von EMF auf Insekten.

Resonanz im Web

Optisch etwas besser sieht es für Diagnose-Funk aus, findet die Suche nicht auf Google News statt, sondern im Internet. Die meisten Treffer hatte ich heute mit dem Suchbegriff "Insekten Studie "Beefi" Diagnose". Mehrfachnennungen eines Treffers mit demselben Linkziel habe ich unberücksichtigt gelassen:

Trefferliste am 23. März 2024
diagnose-Funk.org: BEEFI-Studie (III): Der lange Weg zur BEEFI-Insektenstudie
diagnose-Funk.org: BEEFI-Studie (I): Stummer Frühling 2024
insekten-schuetzen.info: BEEFI-Studie | insekten-schuetzen.info: Neue Erkenntnisse zu ...
pressmailing.net: Studie: Elektromagnetische Felder schädigen Insekten
presseportal.de: Macht Mobilfunk unseren Frühling stumm? BEEFI-Studie ...
YouTube: Ist Mobilfunk eine Gefahr für Insekten? BEEFI-Studie gibt ...
zeitpunkt.ch: Insekten und elektromagnetische Felder: Macht Mobilfunk ...
Twitter/X: Verein Schutz vor Strahlung
diagnose-funk.ch: diagnose:funk | Mobilfunk, Handy & Co.: Risiken ...
► mein-stuttgart.com: Naturschutz – Mein Stuttgart
urs-raschle.ch: Elektrosmog - Elektrobiologie ...
telegram.me: Bewegung Leipzig
nejtil5g.dk: Det stille forår – de elektromagnetiske felter skader insekter

Das obige Ergebnis kann Diagnose-Funk nicht gefallen, denn außerhalb der Echokammern organisierter Mobilfunkgegner feiert so gut wie niemand die News des Vereins, schon gar nicht eine Website von Rang und Namen. Das kann sich zwar im Laufe der Zeit noch ändern, in Anbetracht des getriebenen Aufwands ist der offensichtliche Trend zur Isolation des Vereins jedoch bezeichnend.

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Tags:
Strategie, Diagnose-Funk, Medienresonanz, Echokammer, Beefi

Insektenstudie "Beefi" (III): die Autoren

H. Lamarr @, München, Freitag, 29.03.2024, 22:44 (vor 44 Tagen) @ H. Lamarr

Die Autoren der Studie sind wahrscheinlich ehrenwerte Leute, die nach bestem Wissen und Gewissen die Studie im Auftrag von Diagnose-Funk über die Bühne gebracht haben. Gäbe es da nicht den kapitalen Kratzer auf der Motorhaube der Studie, dass alle drei Autoren bekannte Helden der Anti-Mobilfunk-Szene sind. Den Autoren ist dies nicht vorzuwerfen, wohl aber ihrem Auftraggeber, der offensichtlich sicher gehen wollte, das erwünschte Studienergebnis auch tatsächlich zu bekommen.

"Wissenschaftliche Arbeit erfordert eine spezielle Art von Ehrlichkeit, die sich nicht darauf beschränkt, nicht zu lügen. Sie verlangt, dass man jede mögliche Schwachstelle der eigenen Argumentation offen legt, jeden möglichen Einwand gegen sein Ergebnis diskutiert und, wenn er nicht entkräftet werden kann, ihn zusammen mit dem Ergebnis mitteilt. Dass man also dem eigenen Interesse bewusst entgegenarbeitet. Die Naturwissenschaft hat in ihrer geschichtlichen Entwicklung gelernt, wie man es vermeidet, sich selbst zu betrügen." Mit diesen Worten umschrieb der Physiker Richard Feynman 1974 in einem Vortrag am California Institute of Technology sein Verständnis von wissenschaftlichen Studien.

Diagnose-Funk sehe ich nicht auf Feynmans Linie. Denn der Verein hat mit seiner Insektenstudie das Gegenteil von Ergebnisoffenheit praktiziert, indem er für die Realisierung drei Autoren auswählte, die ohne Wenn & Aber dem Lager überzeugter Mobilfunkgegner zuzurechnen sind. Keiner der drei Autoren steht im Dienst einer Universität, alle sehen sich als "unabhängige Forscher". Das ist nicht ungefährlich, denn solche Forscher können zur Freude ihrer Auftraggeber tun und lassen was sie wollen, Rücksicht auf den (guten) Ruf einer akademischen Institution müssen sie nicht nehmen.

Überspitzt gesagt stand so das Ergebnis der Arbeit schon fest, bevor die drei überhaupt ans Werk gingen. Nicht umsonst gilt bei experimentellen klinischen Studien die doppelte Verblindung als Goldstandard, um Resultate zu bekommen, die weder durch Voreingenommenheit der Probanden noch durch Voreingenommenheit des Versuchsleiters (unabsichtlich) verzerrt werden. Drei überzeugte Mobilfunkgegner mit einer Literaturstudie zu beauftragen, um Beweise für schädliche Auswirkungen von EMF-Exposition auf Insekten abzuwägen ist daher, wenn es keine Absicht war, die großartigste in einer langen Reihe von Fehlleistung, die sich der Stuttgarter Verein bislang geleistet hat. Vergleichbar mit der Idee, dominante AfD-Politiker aus Thüringen mit einer Literaturstudie zu beauftragen, um Beweise für schädliche Auswirkungen von Angela Merkels Flüchtlingspolitik auf das teutsche Vaterland abzuwägen. Ob Absicht oder Unvermögen, für mich ist die Insektenstudie von Diagnose-Funk wegen der Autorenauswahl eine dreiste Respektlosigkeit gegenüber allen verständigen Lesern, oder etwas deftiger formuliert eine Unverschämtheit.

Anschließend Belege für meine Behauptung, die drei Autoren seien überzeugte Mobilfunkgegner.

Alain Thill

Der Luxemburger Alain Thill studierte an der Universität Freiburg, Lehrstuhl für Naturschutz und Landschaftsökologie im Fach Umweltwissenschaften. Das Studium schloss er 2019 mit seiner Masterarbeit "The effects of high-frequency electromagnetic emissions on honeybees, bumblebees and mason bees" erfolgreich ab. Wegen seiner Masterarbeit, über die er öffentlich berichtete und weil Thill sich für "elektrosensibel" (EHS) hält, kam er noch 2019 in Kontakt mit dem EHS-Verein "Weiße Zone Rhön". Dann ging alles ganz schnell. Diagnose-Funk wurde auf den jungen Luxemburger aufmerksam und 2020 publizierte Thill mit gütiger Mitwirkung (Öffentlichkeitsarbeit) des Stuttgarter Vereins und der Naturschutzorganisation Nabu seine erste (alarmierende) Literaturstudie "Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten". Publikationsorgan war die wissenschaftlich bedeutungslose Zeitschrift Umwelt - Medizin - Gesellschaft (UMG, Ausgabe 3/2020). Die Anti-Mobilfunk-Szene kümmerte dies nicht, sie spendete reichlich Lob.

Andere wie das BfS und die TV-Anstalt SWR übten an Thills Literaturstudie so substanziell Kritik, dass der Nabu sich erschrocken von dem Projekt distanzierte und Diagnose-Funk genötigt war, sich wortreich zu rechtfertigen. Unter dem Strich war Thills Erstlingswerk und vor allem das übertriebene Getöse, das Diagnose-Funk darum entfachte, für alle Beteiligte ein Fiasko, dessen Verlauf hier nachzuvollziehen ist. Das hinderte den Stuttgarter Verein jedoch nicht, Thill fortan gegen Honorar, möglicherweise sogar als Angestellten, mit "Studienbesprechungen" für Publikationen des Vereins zu beschäftigen (EMF-Data, Elektrosmog-Report).

Diese finanzielle Verquickung ist deshalb fragwürdig, weil in der neuen Review die Autoren unisono beteuern, sie hätten keine Interessenkonflikte. Zugleich wird dort eingeräumt, der Hauptautor, das ist Alain Thill, sei von Diagnose-Funk finanziert worden. Damit ist meinem Verständnis nach Thills Arbeit an der Review abgedeckt, nicht aber dessen Arbeiten seit 2021 an den Vereinspublikationen. Für "Studienauswertungen und Übersetzungen" will Diagnose-Funk 2022 immerhin knapp 30'000 Euro ausgegeben haben, für "Personal" rd. 93'000 Euro.

Marie-Claire Cammaerts

Marie-Claire Cammaerts (Jg. 1947) ist Doktor der Zoologie. Eigenen Angaben zufolge forschte sie ab 1969 im Labor für Tier- und Zellbiologie der Freien Universität Brüssel an der Physiologie und Ethologie von Ameisen. Ihre Erkenntnisse gab sie u.a. in Vorlesungen an Medizinstudenten weiter. 2012 ging sie in Ruhestand und betätigt sich seither als unabhängige Forscherin. Ab 2011 beschäftigte sich Cammaerts zunehmend mit Wirkungen von EMF auf Ameisen und kam in Kontakt mit etablierten Mobilfunkritikern als Co-Autoren (Johansson, Panagopoulos, Favre, Balmori). Auf diese Weise entstanden zwischen 2011 und 2019 zehn mobilfunkkritische Publikationen, deren bibliografische Angaben, wer mag, sich auf dieser Webseite zusammen suchen kann. Neun der zehn alarmierenden Arbeiten verfasste die Zoologin im Ruhestand und qualifizierte sich damit, von Diagnose-Funk als Co-Autorin für die alarmierende Insektenstudie anerkannt zu werden.

Da ich kein Zoologe bin, steht mir ein Urteil über Cammaerts Qualifikationen in ihrem Fach nicht zu. Allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das, was mir an Know-how in Zoologie fehlt, für Cammaerts in Bezug auf Mobilfunktechnik zutrifft (Beispiel). Die übrigen Spuren, welche die Belgierin hier im Forum hinterlassen hat, stützen diese Einschätzung.

Alfonso Balmori

Der Spanier Alfonso Balmori wird üblicherweise als Bachelor of Science (B.Sc.) in Biologie vorgestellt sowie als "Master in Environmental Education". In der internationalen Anti-Mobilfunk-Szene ist er seit rd. 20 Jahren eine feste Größe, da er sich regelmäßig zu Wort meldet und von alarmierenden Ergebnissen seiner privaten Forschung über die Auswirkungen von EMF auf Menschen, Fauna und Flora berichtet. Daran ist nichts auszusetzen, würden Balmoris Beiträge anerkannten wissenschaftlichen Standards entsprechen. Aus meiner Sicht ist dies aber häufig nicht der Fall, der Spanier verbreitet eher seine persönliche Meinung, die er sich nach dem Sammeln und Auswerten von mehr oder weniger abenteuerlich gewonnenen Daten gebildet hat. Auffällig ist, egal was der Biologe untersucht, er findet immer irgendetwas, was EMF belastet. Mir ist keine einzige neutrale oder gar entwarnende Wortmeldung von ihm bekannt. Wahrscheinlich hat er sich damit nachdrücklich als Co-Autor für die Insektenstudie von Diagnose-Funk empfohlen.

Seine Versuche erinnern zuweilen an "Jugend forscht". So untersuchte er die Wirkung von HF-EMF auf Kaulquappen des Grasfroschs, indem er auf der Terrasse eines 5-stöckigen Gebäudes zwei Becken mit je 70 Larven aufstellte, ein Becken schirmte das andere nicht und als HF-EMF-Feldquellen vier Mobilfunkbasisstationen in 140 Meter Entfernung benutzte. Kann man so machen, von einem kontrollierten Versuchsaufbau mit vernünftiger Dosimetrie, Messtechnik und Störgrößenbetrachtung kann jedoch keine Rede sein (siehe auch Originalpublikation). Das alarmierende Ergebnis des Versuchs (im geschirmten Becken lebten nach zwei Monaten noch 95,8 Prozent der Larven, im ungeschirmten nur 10 Prozent) mag anspruchslose Mobilfunkgegner begeistern, wissenschaftlich ist es ohne Belang. Ähnlich verhält es sich mit einer "Baumstudie", die der Spanier mit der deutschen "Elektrosensiblen" Dr. med. C. Waldmann-Selsam auf die Beine stellte. Weitere Fundstücke im Forum Faktencheck Elektrosmog gibt es hier.

Wir halten fest: Da es sich bei der Insektenstudie um eine Literaturstudie handelt, konnten die Autoren an den Resultaten der eingeschlossenen Studien nachträglich nicht rütteln. Ihr Mehrwert lag in der Selektion und Bewertung der Studien. Doch wenn diese Aufgaben wie im vorliegenden Fall ausschließlich von überzeugten Mobilfunkgegnern wahrgenommen werden, ist davon auszugehen, dass sich die Überzeugung selbst mit den besten Absichten in einer Verzerrung der Resultate bemerkbar macht. Mit unvoreingenommenen Autoren hätte es diese Verzerrung nicht gegeben und die Ergebnisse wären anders ausgefallen. Die Insektenstudie von Diagnose-Funk sehe ich deshalb nicht als systematische Review, sondern als narrative Review mit geringem wissenschaftlichen Wert.

Wird fortgesetzt ...

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Interessenkonflikt, Diagnose-Funk, Mobilfunkgegner, Balmori, Faktencheck, Auftragsarbeit, Cammaerts, Thill, Insekten, Beefi

Insektenstudie "Beefi": Hauptautor schweigt

H. Lamarr @, München, Montag, 06.05.2024, 21:11 (vor 6 Tagen) @ H. Lamarr

Vor einer Woche (29. April 2024) habe ich den Hauptautor der "Beefi"-Studie per E-Mail auf meine Rezension der Systematik seiner Review aufmerksam gemacht und ihm angeboten: "Sollten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben wollen, insbesondere zu der kritisierten Verwendung der unpassenden Checkliste für die Qualitätsbewertung der Primärstudien (HF-EMF), biete ich Ihnen an, die Stellungnahme ins IZgMF-Forum einzustellen. Alternativ können Sie sich auch gerne am Forum registrieren und ihre Sicht dort direkt posten."

Offenbar verzichtet der Hauptautor auf eine Stellungnahme, denn eine Antwort auf mein Angebot blieb bis heute aus.

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Insektenstudie "Beefi": Einfluss des Auftraggebers

H. Lamarr @, München, Dienstag, 07.05.2024, 00:28 (vor 6 Tagen) @ H. Lamarr

Überspitzt gesagt stand so das Ergebnis der Arbeit schon fest, bevor die drei überhaupt ans Werk gingen.

Anlässlich Alain Thills erster Insektenstudie (2020) sah sich Auftraggeber Diagnose-Funk gezwungen, mit einem 12-seitigen "Brennpunkt" auf die Kritiken an der Studie einzugehen. Dabei machte der Verein unfreiwillig deutlich, dass allein er das Sagen hatte und nicht, wie es gängige Praxis bei Repliken ist, der Studienautor. Aus meiner Sicht hat dieses vielsagende Missgeschick des Vereins Signalwirkung. Mehr dazu hier.

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Insektenstudie "Beefi" (IV a): Systematik der Review

H. Lamarr @, München, Samstag, 27.04.2024, 22:52 (vor 15 Tagen) @ H. Lamarr

Die Autoren der Insektenstudie geben vor, es handle sich bei ihrem Paper um eine systematische Review. Systematische Reviews genießen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft hohes Ansehen, da sie, wenn die Qualität hoch ist, eine solide Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen sind. Die Qualität wiederum hängt maßgeblich von der methodischen Strenge ab. Um die ist es bei der fraglichen Insektenstudie nicht zum Besten bestellt.

Die Insektenstudie ist nicht die erste alarmierende Übersichtsarbeit von Diagnose-Funk. Bereits 2018 publizierte der Verein in dem Verbandsblatt UMG (Umwelt - Medizin - Gesellschaft) eine alarmierende Übersichtsarbeit der Biologin Isabel Wilke zu "Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Fruchtbarkeit, Gehirn und Verhalten" (kurz W-Lan-Review). Diese W-Lan-Review nahm für sich in Anspruch, eine systematische Review zu sein, tatsächlich handelte es sich zweifelsfrei um eine narrative Review.

Narrative Reviews

Eine narrative Review ist die kleine Schwester der systematischen Review. Sie fasst zusammen, was zu einem Thema bereits geschrieben wurde. Dabei wird üblicherweise kein nennenswerter theoretischer Mehrwert geschaffen, es bleibt bei der Beschreibung. Die Auswahl der Studien orientiert sich an der Fragestellung, sie ist jedoch unsystematisch und unterliegt persönlichen Vorlieben/Abneigungen der Autoren. Der wissenschaftliche Wert narrativer Reviews ist daher niedrig. Gut gemachte narrative Reviews ohne methodische Verzerrung sind nützlich, um bestehendes Wissen zu überblicken, empirische Befunde zusammenzufassen und Forschungsbereiche zu identifizieren, die weitere Untersuchungen erfordern. Die W-Lan-Review von Wilke ist nicht gut gemacht, ein Wissenschaftler gab ihr wegen erheblicher methodischer Schwächen das Prädikat "unsäglich". Google Scholar stützt diese Wertung. Das Studienportal zeigt, das Echo auf die W-Lan-Review fand nahezu ausschließlich in den Echokammern der Anti-Mobilfunk-Szene statt.

Systematische Reviews

Systematische Reviews sind ungleich anspruchsvoller als narrative, sie sind eine umfassende und methodisch strenge Übersicht auf vorhandene wissenschaftliche Literatur zu einem bestimmten Thema. Da sie per Definition methodische Verzerrungen mit allen Mitteln minimieren sollen, erlauben sie es, die Qualität der Evidenz zu bewerten. Systematische Reviews werden gerne dann durchgeführt, wenn die Ergebnisse von Einzelstudien unübersichtlich oder widersprüchlich sind oder wenn es um Zusammenhänge geht, für deren aussagekräftige Erforschung Einzelstudien nicht ausreichend große Fallzahlen bieten.

Erster (mühsamer) Schritt einer systematischen Review sollte das Anfertigen und Veröffentlichen eines Studienprotokolls sein. Es dokumentiert als eine Art Leitfaden strukturiert und detailliert den gesamten Durchführungsprozess der geplanten Review. Dort werden der Hintergrund und die Zielsetzung der Review erklärt, die Suchstrategie, die Einschluss-/Ausschlusskriterien, die Studienselektion, die Methodik der Qualitätsbewertung, wie Daten aus den ausgewählten Studien extrahiert werden und wie die Analyse und Synthese stattfinden soll. Das Beispiel eines Studienprotokolls für eine von der WHO beauftragte systematische Review (Tierstudien, HF-EMF-Exposition, Endpunkt Krebs) lässt sich hier studieren.

Steht das Studienprotokoll kann die systematische Review beginnen und jeder Arbeitsschritt sollte noch einmal dokumentiert werden. Geschah dies zuvor beim Verfassen des Protokolls noch auf dem Reißbrett, wird nun die tatsächliche Praxis dokumentiert. Die doppelte Arbeit dient der Transparenz, um Abweichungen zwischen Protokoll und Praxis festzuhalten. Für Außenstehende ist so die Durchführung der Review besser nachvollziehbar und Rückschlüsse auf deren Qualität sind offensichtlich. Den Autoren hilft der Vergleich Protokoll/Praxis, Fehler im Protokoll selbst zu erkennen und in der Praxis zu vermeiden. Nicht zuletzt erwarten wissenschaftliche Journale von systematischen Reviews, dass der Prozess vom Protokoll bis zur Dokumentation der Durchführung lückenlos eingereicht wird, das ist für die Verlage ein Qualitätskriterium.

Werden diese und weitere Vorgaben für systematische Reviews eingehalten und präzise dokumentiert, sollten Betrachter der Übersicht die Ergebnisse bis ins Detail nachvollziehen können. Doch wie eingangs erwähnt, hängt die Qualität einer systematischen Review davon ab, wie streng sich die Autoren an gegebene methodische Anforderungen gehalten haben. Um den Autoren qualitativ gute systematische Reviews zu erleichtern, gibt es diverse Richtlinien, auf was methodisch zu achten ist (z.B. Amstar 2, Robis, Prisma). Einen Leitfaden für Studenten gibt es hier.

Die Insektenstudie von Diagnose-Funk

Um es vorweg zu nehmen, die Insektenstudie ist mit Abstand das Beste, was der Stuttgarter Verein bislang an "Studien" finanziert hat. Und systematisch ist diese Review augenscheinlich auch. Von einer von politischen Entscheidungsträgern ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Review ist das Papier jedoch ein gutes Stück entfernt, denn statt gnadenloser methodischer Strenge haben die Autoren stellenweise Milde walten lassen. Ursachen dafür sind mMn ihre mobilfunkkritische Überzeugung, ein Zwang zur Aufwandsminimierung und die Unerfahrenheit in der Ausarbeitung einer derart anspruchsvollen Arbeit. Meiner Einschätzung nach handelt es sich bei dem Papier um eine gut gemachte "Kargo-Kult-Studie", deren Metaanalysen daran kranken, dass bei der Auswahl der eingeschlossenen Primärstudien eine zu lasche Qualitätskontrolle stattfand, weshalb qualitativ fragwürdige Studien in die Analysen eingeflossen sind und diese verzerren. Um solche Verzerrungen nach bestem Wissen und Gewissen zu vermeiden ist kompromisslose methodische Strenge Pflicht. Anderenfalls kommt das gigo-Prinzip zum Tragen (garbage in, garbage out): Verzerrte Studienresultate werden durch den gesamten Review-Prozess mitgeschleppt und führen letztlich zu unbrauchbaren, weil verzerrten Metaanalysen.

Schauen wir uns jetzt gemeinsam an, was es an der methodischen Strenge der Insektenreview auszusetzen gibt. Anspruch auf Vollständigkeit erhebt die folgende Auflistung nicht, denn dazu fehlt mir stellenweise entweder die Kompetenz oder freie Zeit.

Stoppen vor der Sprachhürde
Schon das Auslassen thematisch relevanter Studien kann Metaanalysen verzerren, nämlich dann, wenn die verfügbare Evidenz (aus Studien oder Ergebnissen) systematisch von der fehlenden Evidenz abweicht (Quelle). Methodisch strenge systematische Reviews versuchen deshalb bei der Literaturrecherche über alle Sprachhürden hinweg sämtlicher relevanter Studien habhaft zu werden. Die Autoren der Insektenstudie scheuten diesen großen Aufwand, sie begnügten sich mit Studien in Deutsch und Englisch.

Kein Studienprotokoll
Den Autoren zufolge haben sie sich an den Prisma-Richtlinien für systematische Reviews orientiert. Unter Punkt 24a ist dort nachzulesen, welche Vorteile die Registrierung einer systematischen Review und die öffentliche Bereitstellung eines Studienprotokolls für die Autoren und die Wissenschaftsgemeinde haben. Doch auf ein Studienprotokoll haben die Autoren der Insektenstudie verzichtet, ergo wohl auch auf eine Registrierung in einer Datenbank wie Open Science Framework. Kompromisslose methodische Strenge kann ihnen deshalb nicht unterstellt werden.

Einführung mit Konjunktiven
In ihrer Einführung erläutern die Autoren, wie es sich gehört, den Stand des Wissens über biologische Wirkungen von EMF (HF und NF) auf Insekten. Für meinen Geschmack verpacken sie dabei jedoch zu häufig spekulative Einschätzungen von Wirkungen und mutmaßlichen Ursachen mit schwammigen Formulierungen oder mit Konjunktiven. Das Papier sollte fundierte Fakten liefern, keine Mutmaßungen. Kritik an einer Mutmaßung äußern die Autoren nur einmal, nämlich an der Behauptung der Arbeitsgruppe Vanbergen, die einzige bisher nachgewiesene Wirkung künstlich erzeugter EMF auf bestäubende Insekten sei die Störung von deren Orientierung. An dieser selektiven Kritik, meine ich, lässt sich exemplarisch die Überzeugung der Autoren gut erkennen. Ergebnisoffen hätten sie die Äußerung mutmaßlich kommentarlos hingenommen. Eine Orientierungsstörung auf ihrer Seite sehe ich im Abschnitt "Magnetsinn" der Einführung. Denn einige Absätze später räumen sie ein, den Magnetsinn von ihren Metaanalysen ausgeschlossen zu haben. Mit einem Studienprotokoll wäre diese Widersprüchlichkeit vielleicht nicht passiert.

Unorthodoxe Qualitätsbewertung der Primärstudien
Den Autoren zufolge schafften es nach dem Ausschluss unpassender Papers 130 HF-EMF- und NF-EMF-Studien in die Qualitätsprüfung, die vom Hauptautor vorgenommen wurde, also allein von dem Autor, der als einziger der drei Autoren vom Auftraggeber (Verein Diagnose-Funk) finanzielle Zuwendungen erhielt. Die von der Task Force of Academic Medicine und dem Gea-Rime-Komitee veröffentlichte Checkliste für Überprüfungskriterien wurde zu diesem Zweck in der von Bertagna et al. angepassten Form verwendet, heißt es in der Review unter ordentlicher Nennung der beiden Quellen.

Meine Suche nach dem Original der Checkliste (vor Anpassung durch Betagna et al.) brachte ein unerwartetes Ergebnis. Die Checkliste aus dem Jahr 2001 fand ich zwar nicht, wohl aber eine Rezension des Buches mit dem Titel "Review criteria for research manuscripts", in der sie enthalten ist. Buchtitel und Rezension machen deutlich, das Buch spricht nicht die Autoren systematischer Reviews an, um ihnen eine Hilfe bei der Qualitätsbewertung von Primärstudien zu geben, sondern es will Peer-Reviewer (Gutachter) wissenschaftlicher Journale anleiten, die Qualität eingereichter Forschungsmanuskripte zutreffend zu beurteilen! Welche Auswirkungen dieser offensichtliche Fehlgriff auf die Insektenreview von Diagnose-Funk hat, schauen wir uns jetzt genauer an.

Die von Betagna et al. angepasste Checkliste hat 13 Prüfpunkte und findet sich in diesem Paper in Tabelle 1. Auf Deutsch lauten die 13 Prüfpunkte wie folgt:

► Problemstellung, konzeptioneller Rahmen und Forschungsfrage
► Literaturhinweise und Dokumentation
► Relevanz
► Studiendesign
► Geräteausstattung, Datenerhebung und Qualitätskontrolle
► Population und Stichprobe
► Datenanalyse und Statistik
► Darstellung der statistischen Analysen
► Präsentation der Ergebnisse
► Diskussion und Schlussfolgerung; Interpretation
► Titel, Autoren und Zusammenfassung
► Präsentation und Dokumentation
► Wissenschaftliche Vorgehensweise

Wie der Hauptautor der Insektenreview mit diesen nicht weiter erklärten Prüfpunkten die fachliche Qualität der Primärstudien kompetent beurteilt haben will, erschließt sich mir nicht. Denn von typischen Qualitätskriterien wie der Datenauswertung unter Blindbedingung fehlt jede Spur. Den Peer-Reviewern von Verlagen mag diese Checkliste eine Hilfe sein, keinen Prüfpunkt zu vergessen. Verstörende Prüfpunkte wie "Titel, Autoren und Zusammenfassung" dürften hingegen ratsuchende aber aufmerksame Autoren einer systematischen Review eher in die Verzweiflung treiben.

Der Hauptautor der Insektenstudie verzweifelte nicht, er arbeitete die unpassende Checkliste sorgfältig ab. In der Studie selbst ist dies jedoch nicht ersichtlich, dazu muss man das im Titelkopf der Review angebotene "Zusatzmaterial" (Supplementary Materials) sichten.

Schauen wir uns exemplarisch die Qualitätsbewertungen der 66 HF-EMF-Primärstudien an, die in der Excel-Datei suppl_j_reveh-2023-0072_suppl_002.xlsx (Rechtsklick, "Ziel speichern unter ...") stecken. Wie zu erwarten, haben dort ausnahmslos alle Primärstudien das schräge Qualitätskriterium "Titel, Autoren und Zusammenfassung" mit Bravour bestanden (Ziffer 1 = bestanden, Ziffer 0 = nicht bestanden).

Wird fortgesetzt in IV b ...

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Insektenstudie "Beefi" (IV b): Systematik der Review

H. Lamarr @, München, Sonntag, 28.04.2024, 23:47 (vor 14 Tagen) @ H. Lamarr

Schauen wir uns exemplarisch die Qualitätsbewertungen der 66 HF-EMF-Primärstudien an, die in der Excel-Datei suppl_j_reveh-2023-0072_suppl_002.xlsx (Rechtsklick, "Ziel speichern unter ...") stecken. Wie zu erwarten, haben dort ausnahmslos alle Primärstudien das schräge Qualitätskriterium "Titel, Autoren und Zusammenfassung" mit Bravour bestanden (Ziffer 1 = bestanden, Ziffer 0 = nicht bestanden).

Wird fortgesetzt in IV b ...

Wir machen mit der unorthodoxen Qualitätsbewertung der HF-EMF-Primärstudien weiter (die NF-EMF-Primärstudien sind hier nicht Gegenstand der Betrachtung) und jetzt wird es richtig interessant.

In der Insektenreview von Diagnose-Funk können wir lesen:

[...] Alle für das Thema relevanten Studien wurden vom Hauptautor anhand von 13 vorgegebenen Kriterien auf ihre Qualität überprüft, und diejenigen, die mindestens 11 der 13 Kriterien erfüllten, wurden eingeschlossen [55]. [...]

Quelle [55] ist die schon in Folge IV a angesprochene Studie von Betagna et al., also die mit den 13 für systematische Reviews unpassenden Prüfpunkten der Primärstudienqualität. Die 13 Prüfpunkte hat der Hauptautor der Insektenreview 1:1 für seine Qualitätsbewertung der 66 HF-EMF-Primärstudien übernommen (siehe Zitat oben), nicht aber die "methodische Strenge" des Doktoranden Bertagna, lässt man auch dessen Verwendung der unpassenden Prüfpunkte einmal außen vor. Denn wie in Quelle [55] nachzulesen ist, schlossen Bertagna et al. in ihrer systematischen Review alle Primärstudien ein, die mindestens zwölf der 13 Prüfpunkte bestanden haben. Dem Hauptautor der Insektenreview genügten dagegen schon elf der 13 Prüfpunkte. Warum er bei seiner ohnehin unpassenden Qualitätsbewertung auch noch die Latte tiefer legte als Bertagna, also milder bewertete, erklärt er nicht.

Randnotiz: Betagna et al. benennen in ihrem Paper [55] die Quelle der 13 Prüfpunkte unter "References" korrekt (dort [66]) mit dem Titel "Review criteria for research manuscripts". Im Fließtext aber ändern sie den Titel irreführend auf "Checklist of Review Criteria"! Möglicherweise hat sich der Hauptautor der Diagnose-Funk-Insektenreview davon narren lassen.

Welche Folgen hat die milde Qualitätsbewertung durch Alain Thill?

Mit der niedrigeren Hürde mindestens "elf von 13" Prüfpunkten schloss der Hauptautor der Insektenreview zehn der 66 HF-EMF-Primärstudien wegen Qualitätsmängeln von den anschließenden Metaanalysen aus. Mit mindestens "zwölf von 13" Prüfpunkten wie Bertagna hätte er elf mehr ausschließen müssen, gesamt also 21 der 66 Primärstudien. Das hätte sich wegen Ausdünnung der Datenbasis ungünstig auf die Aussagekraft seiner Metaanalysen ausgewirkt.

Von der milden Bewertung profitiert besonders der Schweizer "Bienenforscher" und Mobilfunkgegner Daniel Favre, der mit drei Studien in den 66 HF-EMF-Primärstudien vertreten ist. Alle drei Studien hätten bei der strengeren Bewertung "zwölf von 13" ausgeschlossen werden müssen. So aber haben alle drei mit je elf bestandenen Prüfpunkten die "Qualitätsbewertung" durch den Hauptautor der Insektenreview gerade noch überstanden. Doch mindestens zwei der Favre-Studien (2011 und 2017) haben aus meiner Sicht derart gravierende methodische Mängel, dass ihr Einschluss in die Insektenreview nie hätte passieren dürfen. Diese Wertung traue ich mir zu, da das IZgMF sich mit beiden Studien intensiv befasste und Favre2011 sogar (erfolglos) nachgestellt hat. Mehr dazu hier.

Auch Co-Autorin Cammaerts profitiert von der milden Bewertung. Sie ist mit vier HF-EMF-Primärstudien vertreten. Bei der strengen Bewertung wäre ihr Paper "Cammaerts2013a" mit elf bestandenen Prüfpunkten über die Klinge gesprungen. Ihre übrigen drei Studien hat der Hauptautor hingegen mit der Vergabe von zwölf oder 13 bestandenen Prüfpunkten in Sicherheit gebracht. Darunter ist auch das Paper Cammaerts2012, dem der Hauptautor der Insektenreview zwölf bestandene Prüfpunkte seiner unpassenden Qualitätsbewertung zuerkennt. Aber: Auch der niederländische Mathematiker Pepijn van Erp hat sich diese Studie angesehen und ist zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen. Zu welchem? Dies lässt sich hier erforschen und die Rubrik "Bad Science, Pseudo Science" weist einem den Weg. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Kritikpunkte nennt dieses Posting.

Fazit

Der Hauptautor der systematischen Insektenreview verwendet für die Qualitätsbewertung der HF-EMF-Primärstudien eine dafür nicht vorgesehene Checkliste. Das Ergebnis ist eine total verzerrte Qualitätsbewertung, die nicht die wissenschaftliche Qualität der Primärstudien im Blick hat, sondern deren formale Eignung für die Publikation in einem Fachjournal. Stichproben bestätigen, dass der Hauptautor in seine Insektenreview Studien eingeschlossen hat, die er aus begründeter Sicht anderer Bewerter hätte ausschließen müssen. Wegen der strukturellen Mängel der Qualitätsbewertung ist völlig offen, wie viele der vom Hauptautor eingeschlossenen 56 von 66 HF-EMF-Primärstudien tatsächlich wissenschaftlich belastbare Ergebnisse bieten. Die Insektenreview von Diagnose-Funk sollte per Definition systematischer Reviews ein vertrauenerweckendes Paper sein, das verschwommene Aussagen von Primärstudien mit Metaanalysen schärft. Dieses Ziel wurde verfehlt, da nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, dass gemäß "gigo-Prinzip" (garbage in, garbage out) qualitativ minderwertige Primärstudien die Ergebnisse der Metaanalysen erheblich verzerren. Eine systematische Review mit Metaanalysen, denen man nicht trauen kann, ist wertlos, auch wenn sie sich optisch professionell gemacht präsentiert.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Insektenstudie "Beefi" (V): Wer davon profitiert

H. Lamarr @, München, Samstag, 11.05.2024, 14:25 (vor 1 Tag, 9 Stunden, 15 Min.) @ H. Lamarr

Nehmen wir einmal an, die "Beefi"-Studie von Diagnose-Funk sei keine Kargo-Kult-Studie, sondern ein ernst zu nehmendes Paper, dem zwar die unvermeidbaren Unsicherheiten früher wissenschaftlicher Erkenntnisse anhaften, das man aber nicht so einfach vom Tisch wischen kann. Wer würde dann kommerziell am meisten davon profitieren?

Aus meiner Sicht gäbe es zwei große Profiteure. Der eine liegt auf der Hand, das sind alle die kleinen und großen Fische, deren Geschäftsmodelle auf irrationaler Furcht vor elektromagnetischen Feldern beruhen. Für mich ist hierzulande die selbsternannte "Verbraucherschutzorganisation" Diagnose-Funk die maßgebende Kraft, die diese Furcht systematisch in der Bevölkerung wecken oder schüren will. Indizien für meine Behauptung finden sich hier im Forum haufenweise. Da aber die Verbreitung von Desinformation grundsätzlich nicht strafbar ist, sondern weitgehend vom Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit legitimiert wird, kann der Verein nahezu ungehindert schalten und walten.

Weniger ersichtlich wäre der zweite große Profiteur der Insektenstudie, denn er steht im Hintergrund, hat mit der Studie anscheinend überhaupt nichts zu tun und profitiert von deren alarmierenden Ergebnissen nicht unmittelbar, sondern mittelbar. Die Rede ist von der Pestizidindustrie, genauer von den Insektizidherstellern. Deren Produkte sind für die Landwirtschaft unverzichtbar, haben aber den Nachteil, dass sie im Allgemeinen nicht zwischen Schädlingen und Nützlingen unterscheiden. Hinzu kommen Herbizide (Unkrautvernichter), die für Insekten giftig sein können und ihnen die Nahrungsgrundlage entziehen. Es ist daher kaum noch strittig, dass Pestizide beträchtlichen Anteil am weltweiten Rückgang der Biomasse haben.

Um den Ruf von Pestiziden ist es schlecht bestellt, die Hersteller würden es mit Sicherheit begrüßen, könnten sie einen anderen Schuldigen oder wenigstens Mitschuldigen präsentieren. Die Tabakindustrie geriet vor Jahrzehnten in die gleiche Bedroullie, als zunehmend klarer wurde, dass ihre Produkte gesundheitsschädlich sind. Findige Tabaklobbyisten kamen seinerzeit auf die Idee, Ablenkungsforschung zu betreiben und deren Ergebnisse breit zu streuen. Es ging darum, andere Gesundheitsrisiken zu finden, echte oder erfundene, sie zu dramatisieren und auf diese Weise von einer Fokussierung auf das Risiko Rauchen abzulenken. So gab es Versuche, die Verdauungsprodukte von Kanarienvögeln und Tonerstaub als Gefahrenquellen zu etablieren. Auch die gezielte Verbreitung und Sicherung von Unwissen sollte helfen, Zweifel am Risiko Rauchen möglichst lange wach zu halten.

Diagnose-Funk war zwar eines der bevorzugten Sprachrohre des erfolgreichen Ex-Tabaklobbyisten Franz Adlkofer, der zuletzt mit alarmierenden Mobilfunkstudien auf sich aufmerksam machte, für den Verdacht, der Verein betreibe mit seiner Insektenstudie bewusst Ablenkungsforschung zugunsten der Agrochemieindustrie, habe ich jedoch keine Anhaltspunkte. Diese unglückliche Verbindungslinie dürfte eher zufällig entstanden sein. Wie oben angesprochen gibt es hingegen eine lange Indizienkette, dass Diagnose-Funk den Profiteuren irrationaler Furcht vor HF-EMF zuarbeitet. Dies rechtfertigt den begründeten Verdacht, dass dies kein Zufall ist, eindeutige Beweise für ein schuldhaftes Verhalten des Vereins liegen mir bislang nicht vor.

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