Dr. G. Ratto: Vergiftung von "Max" eher unwahrscheinlich (Allgemein)

Gast, Sonntag, 26.08.2012, 22:34 (vor 4277 Tagen) @ H. Lamarr

Ein guter Geist hat mir den Tipp gegeben, es doch einmal beim BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) zu versuchen, das sei nämlich sowohl für ESLs als auch für Quecksilber zuständig.

Da ich (Spatenpauli) beim BfR nicht so recht weiter kam, habe ich bei der Wissenschaftlerin Dr. G. Ratto (Pseudonym) angeklopft und folgende Auskünfte zum Themenkomplex "Quecksilbervergiftung" von ihr bekommen:

Ich glaube, dass die Berichte des BfR nicht alle Fallbeschreibungen enthalten. Das BfR muss die komplette Statistik aber haben (laut Organigramm Fachgruppe Vergiftungs- und Produktdokumentation). Schauen Sie sich den Fall des 13-jährigen Jungen aus dem Jahr 2009 an, der ist grausig. Dazu hat das Institut sogar eine Pressemitteilung als Warnung herausgegeben. Und darin steht etwas von 26 ähnlichen Fällen.

Die individuelle Empfindlichkeit gegenüber Quecksilber (Hg) ist tatsächlich sehr unterschiedlich (Faktor 100, wenn nicht 1000, bezogen auf Hg-Konzentration im Urin). Der 13-Jährige ist schwer erkrankt, sein Vater und seine Brüder dagegen bei ähnlicher Dosis nicht.

Die drei Kinder, deren Fall Sie sich als Beispiel ausgesucht haben, waren schon vor der Vergiftung geistig behindert. Quecksilber ist ein Nervengift, ein kleiner zusätzlicher Schaden am Hirn ist unter solchen Umständen nicht leicht zu diagnostizieren. Das periphere Nervensystem hat zwar reagiert (Zittern), doch die Kinder erwiesen sich gegenüber der Hg-Belastung insgesamt als sehr widerstandsfähig.

Qucksilbervergiftungen nicht verharmlosen
Unfälle mit Thermometern sind inzwischen so selten, weil es die mit Quecksilber kaum mehr gibt. Das war früher anders. Möglicherweise kommt der Unterschied zwischen der Erhebung über die letzten 20 Jahre in Deutschland und über 35 Jahre in der Schweiz (von wann bis wann?) teilweise daher. Außerdem: Dem BfR werden nur Fälle gemeldet, wo ein Verdacht auf Vergiftung besteht, und nicht alle Unfälle mit zerbrochenen Thermometern. Der erste Satz bei den Schweizern (Tox-Zentrum) klingt aber so, dass sie die Unfälle und nicht die Vergiftungen gezählt haben.

Hier noch einige Publikationen zu weiteren Fällen in Deutschland. Verharmlosen sollte man Quecksilbervergiftungen jedenfalls nicht.

Thermometer
Bleichsalbe 1 und Bleichsalbe 2

Ebenfalls interessant: Anscheinend verursacht Quecksilber nicht Autismus, wie es Dr. med. J. Mutter annimmt. Sondern Personen, die gegen Quecksilber besonders empfindlich sind, neigen genetisch bedingt auch stärker zu Autismus: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21797771

Vergiftung von "Max" eher unwahrscheinlich
Auch ich halte es für unwahrscheinlich, dass der kleine Junge Max aus dem Film "Bulb Fiction" eine Quecksilbervergiftung hatte. Max war zuvor schon krank und diese Erkrankung kann sich durchaus verschlimmert haben, auch ohne zerbrochene Energiesparlampe. Die genannten Symptome passen nur teilweise - Haarausfall nein, Bauchweh, Müdigkeit ja, Autistische Züge könnten wie zuvor angesprochen auf eine genetisch bedingte hohe Empfindlichkeit gegenüber Quecksilber hindeuten.

Wichtiger objektive Gradmesser einer Vergiftung wäre die Quecksilberkonzentration im Urin, die aber rückt Herr Dr. Mutter vermutlich nicht heraus, falls er sie überhaupt erhoben hat. Laut Herrn Dr. med. von Mühlendahl können Symptome schon deutlich unterhalb von 50 µg/l Urin auftreten. Dafür müsste Max die gesamten 5 mg aus der Lampe eingeatmet und nach und nach über 100 Liter Urin wieder ausgeschieden haben (oder 10 % in 10 Liter oder 1 % in 1 Liter, aber nicht weniger). Klingt abenteuerlich. Das UBA hat unter Worst-Case-Bedingungen nach dem Zerbrechen einer ESL Hg-Konzentrationen bis 7 µg pro Kubikmeter Luft gemessen (PDF) und nach 5 Stunden war die Konzentration noch nicht unter dem Grenzwert. Das würde heißen: Quecksilber aus mehr als 1 m³ Atemluft in 1 Liter Urin wieder ausscheiden. Das entspricht beides in etwa den 24-Stunden-Werten von Erwachsenen. Werte für Kinder habe ich auf die Schnelle nicht gefunden, da Kinder aber hohe metabolische Umsatzraten haben wird es nicht wesentlich weniger sein. Die Konzentration blieb aber sicher nicht 24 Stunden lang so hoch, höchstens vielleicht in der ersten Nacht. Ob das reicht? Unwahrscheinlich! Zu 100 % ausschließen kann man es ohne genaue Daten jedoch nicht.

Biologische Halbwertszeit von Quecksilber
Quecksilber wird sehr langsam ausgeschieden, die biologische Halbwertszeit beträgt 58 Tage (steht so im BfR-Bericht 2009). D.h. selbst wenn der Junge (Max) tatsächlich in der ersten Nacht um 7 µg/m^3 eingeatmet hätte und in den folgenden Tagen vielleicht noch einige weitere µg/m^3, hätte er das Quecksilber nicht sofort in 1 Liter Urin ausgeschieden, sondern die Hälfte davon über 58 Tage verteilt. Es ist daher wirklich äußerst unwahrscheinlich, dass die Urinkonzentration 1 µg/l erreicht hat, und dies dürfte auch bei einem empfindlichen Kind nicht zu einer Vergiftung geführt haben.

Fall "Max" müsste gemeldet worden sein
Falls der behandelnde Arzt im Krankenhaus, in dem Max lag (also nicht Dr. Mutter!) einen Verdacht auf Quecksilbervergiftung hatte, hätte er diesen an das BfR melden müssen (natürlich anonymisiert). Das BfR müsste dazu Auskunft geben können, ob es bisher überhaupt irgendeine Meldung zu ESL erhalten hat. Im Protokoll einer Sitzung vom 19./20.04.2010 heißt es von Seiten des BfR: "Die Human-Biomonitoring-Kommission fragt, ob der Quecksilberanteil in Energiesparlampen aus Sicht der Kommission [Anm., gemeint ist die BfR-Kommission „Bewertung von Vergiftungen“] eine relevante Gesundheitsgefahr darstellt. In den Giftinformationszentren gibt es immer wieder Anfragen zu dieser Problematik aber keine Vergiftungsfälle. Aus Sicht der Zentren stellt dies auch kein gesundheitsrelevantes Problem dar.".


[Admin: editiert am 27.08.12 um 21:50 Uhr - Link ergänzt und kleine Textergänzung]

Tags:
Energiesparlampen, Pressemitteilung, Quecksilber


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