Kontra Panikerseiten (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 26.06.2010, 16:06 (vor 5269 Tagen) @ Doris

Wer genau für dieses von Misstrauen, Polemik und Verschwörungsideen durchzogene Klima verantwortlich ist, konnte ich bislang nicht herausfinden, es war schon so, als ich 2002 in die Debatte hinein geriet. Schon damals stimmten große Websites diese Misstöne an, Bürgerwelle, Elektrosmognews und Gigaherz. Es gab damals keine einzige Kritikerseite, die sich diesem Sog entziehen konnte, auch wir heulten mit den Wölfen.

Wenn Sie damals nicht auf diesen Seiten gelandet wären, hätten Sie dann Ihre eigene Geschichte ebenfalls so durchgezogen?

Nein, ich hätte sie vermutlich nicht so durchgezogen. Die Entscheidung, gehen wir gegen den Masten an oder nehmen wir ihn hin, wurde damals innerhalb weniger Minuten getroffen - nicht im Kopf, sondern im Bauch. Maßgebend dafür waren keinerlei Sachargumente, sondern Empörung, weil wir als direkte Nachbarn "überfahren" wurden und der damalige Umweltbeauftragte von Vodafone auch erst bei uns vorbei schaute, als die Polizei unsere "Demo" auflöste. Da war das Kind längst im Brunnen. Nach unserem Blitzstart als Sendemastengegner besorgten wir uns nachträglich bei Bürgerwelle und Co. allerlei Begründungen, die uns das Gefühl gaben, richtig gehandelt zu haben. Wir wurden reichlich mit dem beschenkt, was wir heute mühelos als Desinformation pur erkennen. Das Schlimmste war die lange Wartefrist bis zur Inbetriebnahme des Masten, weil wir einfach nicht wussten, welche Werte wir in der Wohnung haben werden.

Sehen Sie Ihre eigene Vorgehensweise, die zur Veränderung Ihrer persönlichen Situation beigetragen haben, heute ebenfalls unter Ihrer neuen Sichtweise und würden diesen Aufwand heute nicht mehr betreiben?

Ihre Frage verstehe ich nicht so ganz. Die eine Veränderung war unser Verdienst, wir haben den unteren Antennenkranz von "unserem" Masten wegbekommen. Die andere Veränderung ist das Verdienst der Szene: Von Anfang an fielen uns diverse sachliche Widersprüche und die Verschwörungstheorien in der Debatte unangenehm auf. Auch der rüde Umgang mit Zweiflern gehörte dazu, damals war uns der Begriff "totalitär" noch völlig fremd und wir trauten uns nur wenig Widerspruch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, was in mir vorging, als ich bei diesem Beitrag erstmals eine eigene Meinung gegen das Szenedogma "Der Mast muss weg" vertrat und schrieb: Das IZgMF unterstützt diese Forderung, die, wenn dichte städtische Bebauung keine Alternative zulässt, eine gerechte Umsetzung des bewährten Solidaritätsprinzips darstellt. Für mich war der banale Satz damals ein Hammer und ich erwartete, dass ein Blitz, kommend aus Tirschenreuth, mich postwendend erschlagen würde. Aber: es geschah nichts.

Wenn Sie sich auf den Seiten informiert hätten, die Sie und ich heute als seriös bezeichnen, dann wären Sie egal, wie die Antenne errichtet worden wäre, immer unter dem Grenzwert gelegen und man hätte Ihnen absolute Bedenkenlosigkeit suggeriert.

Großen Einfluss haben die Seiten von RDW und der FGF gehabt, obwohl wir beide lang bekämpft haben. Das Signal "Bedenkenlosigkeit" spielte dabei so gut wie keine Rolle, zumal es beide Seiten einem nicht aufgedrängt haben. Entscheidend war vielmehr, dass diese Seiten von der Sache her widerspruchsfrei waren, wir mussten insgeheim die Kompetenz dort anerkennen. Und im gleichen Maße, wie das geschah, verloren unsere alten Leitfiguren an Glaubwürdigkeit, weil sie nicht imstande waren, die eigene Widersprüchlichkeit zu beseitigen. Weil das ziemlich abstrakt ist, hier ein Beispiel: Irgendwann wurde mir mit Hilfe des EMF-Portals klar, dass es für das Anrennen gegen Sendemasten keine belastbaren Argumente gab, weil die Intensitäten, bei denen der eine oder andere Effekt beobachtet wurde, fast immer um Größenordnungen höher als bei Sendemasten sind und damit ganz klar in den Bereich der Handys fallen. Damals verkündete ich diese "neue" Erkenntnis in dem Sinne: He, Leute, wir sind auf der falschen Rille, wir bekämpfen das falsche Ziel, nicht die Masten sind das Problem, sondern ... Doch anstelle von Interesse (wie kommsten da drauf?) oder Beifallklatschen gab es, von ein zwei Ausnahmen abgesehen nur eisige Ablehnung, die Szene wollte die Erkenntnis nicht, sie will bis heute viel lieber gegen Sendemasten anrennen. Erst nach dieser Erfahrung begann ich mir die Frage zu stellen: Wieso machen die das und wer hat welche Vorteile davon. Das Misstrauen war geweckt. Ab diesem Punkt hatten z.B. Baubiologen bei mir den gleichen Kriegsgewinnlerstatus, wie er zuvor im RDW-Forum immer wieder mal gezeigt wurde. Und plötzlich hatte ich plausible Antworten für diese quälenden Widersprüche, die ich mir all die Jahre zuvor nicht erklären konnte: Zu diesem Zeitpunkt wurde aus dem "Informationszentrum gegen Mobilfunk" endgültig das "Informationszentrum gegen Desinformation in der Mobilfunkdebatte".

Sie würden auf jeden Fall mit einer höheren Belastung leben als Sie es heute tun - aber unter'm Grenzwert.

Vermutlich ja. Ich habe die tatsächliche Belastung jetzt schon länger nicht mehr gemessen, das Interesse an den Messwerten ist nicht mehr so stark wie früher.

Weitere Gewissensfrage! Mit Ihrem heutigen Wissen, wären Sie frei von jeglichem tief schlummernden leicht unguten Gefühl, wenn Sie sagen wir mal nicht nur den Baubiologen Grenzwert überschreiten ;-) sondern 10 - 20 mW/m² in den Räumen hätten, in denen Sie und Ihre Kinder sich aufhalten?

Dort wo ich soeben sitze, kriege ich mit einer Gigahertz-Knatterbüchse frisch gemessen ungefähr 2 mW/m² ab (Peak). Emissionsquelle ist der W-LAN-Router, die Einwirkzeit auf mich ist ungefähr vier bis acht Stunden pro Tag. Die 20 mW/m² scheinen mir eher hypothetischer Natur zu sein, woher sollen die denn kommen? Dass heute, bei hoher Netzdichte, von einem Mobilfunk-Sendemasten solche Werte in einer Wohnung bewirkt werden, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Und selbst wenn ich bei mir in irgendeiner Raumecke einen solchen Wert hätte, er würde mich nicht mehr groß beunruhigen, am Schlafplatz dagegen schon. Da würde ich dann vermutlich schirmen. Doch weil ich dafür nur diffuse Angst und keine belastbaren Argumente hätte, würde ich dies ohne großes Aufsehen zu erregen zu meiner Beruhigung tun und nicht mit großem Medientheater zur möglichst breit wirkenden Beunruhigung anderer.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Verschwörungstheorie, Desinformation, Knatterbox, Umweltbeauftragter, Widersprüche


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