HUJs Irrtümer (7): Supsi-Untersuchung grundfalsch verstanden (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 03.12.2023, 02:47 (vor 304 Tagen) @ H. Lamarr

Am 12. April 2007 überraschte der Gigaherz-Präsident seine Anhänger mit dem Beitrag "Ende der Standardlüge Nr. 1". Worum es bei der angeblichen "Standardlüge Nr. 1" geht, erklärt Ex-Elektriker Jakob mit seinen einleitenden Worten:

Mit einem Riesenaufwand versuchten letzten Herbst die Schweizer Mobilfunkbetreiber, zusammen mit etlichen mobilfunk-angefressenen Gemeinderäten, in einer landesweiten Messkampagne zu beweisen, dass die Strahlungswerte himmelweit unterhalb der in den Baueingaben prognostizierten (berechneten) Werte liegen würden. Dabei wurden offensichtlich (oder absichtlich) falsche Messpunkte gewählt. Denn die Studie der Scuola universitaria professionale della Svizzera Italiana (Supsi) liefert uns nun ein komplett anderes Bild. [...]

Aha, ein komplett anderes Bild also ...

Dieses komplett andere Bild, das aus seiner Sicht das Ende der "Standardlüge Nr. 1" der Mobilfunkbetreiber besiegelt, schildert Jakob anschließend so:

15% der Messpunkte mit Grenzwertüberschreitungen

Die Supsi hat im Kanton Tessin 91 Mobilfunkantennen und insgesamt 400 Orte empfindlicher Nutzung (OMEN) untersucht.
Nur gerade bei 65% der untersuchten OMEN lagen die Messwerte unterhalb der berechneten Werte.
Bei 20% lagen die gemessenen Werte oberhalb der berechneten.
Und bei den restlichen 15% ergaben sich sogar Grenzwertüberschreitungen.
Das bedeutet: Ende der Standardlüge Nr.1 der Mobilfunkbetreiber. [...]

Jakob zufolge wurde bei 15 Prozent der 400 gemessenen Omen eine Grenzwertüberschreitung gefunden. Mit anderen Worten: Bei 60 Omen sind die Bewohner angeblich unzulässig stark befeldet worden.

Das schauen wir uns jetzt einmal im Original der Supsi-Untersuchung an, die in den Jahren von 2000 bis 2005 durchgeführt und 2006 veröffentlicht wurde. Jakob nannte seinerzeit zwar einen Link zum Original, der allerdings inzwischen längst tot ist. Glücklicherweise veröffentlichte jedoch am 2. Dezember 2023 die Bibliothek der ETH-Zürich die alte Supsi-Untersuchung noch einmal, so dass wir Jakobs Behauptung am Original prüfen können. Dort heißt es im Abschnitt Schlussfolgerungen klipp & klar:

[...] Bei 65% der untersuchten Messpunkte liegen die Messwerte deutlich tiefer als die berechneten Werte, bei 20% liegen sie über den berechneten Werten, und bei den übrigen Messpunkten liegen beide Werte in derselben Grössenordnung. [...]

Moment mal ...!

Bei den restlichen 15 Prozent stimmen dem Original zufolge also die berechneten Immissionswerte in etwa mit den gemessenen Werten überein (bestmöglicher Fall). Gemäß Jakob trat bei diesen 15 Prozent jedoch das Schlimmste auf, was einem Schweizer Mobilfunknetzbetreiber passieren kann, die Anlagegrenzwerte wurden überschritten. Der Gigaherz-Präsident verdreht damit die Aussage der Supsi-Untersuchung ins glatte Gegenteil! Was er nicht erkannt hat: Die Grenzwertüberschreitungen sind (zu einem kleinen Teil) in den 20 Prozent der Messwerte enthalten, die über den berechneten Werten liegen.

Weiter heißt es an anderer Stelle im Original, insgesamt sei bei 22 Messpunkten eine Grenzwertüberschreitung festgestellt worden. Statt bei Jakobs 15 Prozent der Messpunkte kam es somit bei nur 5,5 Prozent der Messpunkte zu einer Überschreitung des Anlagegrenzwerts. Das hätte mit Verlaub auch dem Gigaherz-Präsidenten auffallen können. Ein "komplett anderes Bild" sieht jedenfalls für jeden verständigen Menschen tatsächlich komplett anders aus :-).

Die vermeintlich geringe Trefferquote der Berechnungen versieht das Original der Supsi-Untersuchung übrigens mit einem Fragezeichen. Denn die Autoren machen auf eine Einschränkung aufmerksam, die sich erheblich auf die Trefferquote auswirkt:

Für die Interpretation der Studie ist zu bemerken, dass bis Juni 2002 bei der Berechnung der Immissionen eine Messungenauigkeit von 35% angenommen wurde. Nach der Revision der NISV wurde von diesem Vorgehen abgesehen.

Heißt im Klartext: Wenn auf eine berechnete Immission sicherheitshalber noch die Messungenauigkeit von +35 Prozent aufgeschlagen wird, dann ist es nicht verwunderlich, wenn bei 65 Prozent der Messungen die tatsächlichen Messwerte mehr oder weniger deutlich unter den berechneten Werten lagen.

Rätselhaft bleibt, wie es der Gigaherz-Präsident fertig brachte, die unmissverständliche Aussage der Autoren zu den "restlichen 15 Prozent" ins Gegenteil zu verdrehen. Bekannt ist allerdings, dass Hans-U. Jakob erhebliche kognitive Defizite zeigt, sobald sein Textverständnis gefordert wird. Möglicherweise verstellt ihm tief verwurzeltes Wunschdenken dann regelmäßig den Blick auf selbst eindeutige Tatsachen.

Aus meiner Sicht ist die Supsi-Untersuchung stellenweise jedoch irritierend und daher nicht ganz so einfach zu deuten. Der Tabelle III zufolge gehen die 22 Überschreitungen des Anlagegrenzwerts an Omen auf das Konto von 17 (von 91 geprüften) Mobilfunkbasisstationen (12+5). In Tabelle IV sind es jedoch 18 Basisstationen, die den Anlagegrenzwert an mindestens einem Omen überschritten haben. Was stimmt denn nun?

Hintergrund
Gibt es in der Schweiz die rechtlich geduldete Grenzwertüberschreitung?

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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