5G-Proteste mit "elektrosensiblen" Pappkameraden in Berlin (Allgemein)
Seit Anfang August 2019 blasen organisierte Mobilfunkgegner mit Mahnwachen und Kundgebungen zum Großangriff auf 5G im September. Der Höhepunkt soll heute in Berlin stattfinden. Die Generalprobe gestern in Bern ging mit nur etwa 1000 Teilnehmern allerdings schief.
Trotz wochenlangem Werben für die zweite nationale Großkundgebung gegen 5G in Bern, versammelten sich gestern in der Hauptstadt der Schweiz nur rd. 1000 5G-Phobiker. Wie viele werden es heute von 14 Uhr bis 16 Uhr vor dem Reichstagsgebäude in Berlin sein? Am vergangenen Freitag sollen Klimaschützer in Berlin immerhin 100'000 Teilnehmer mobilisiert haben, eine Anzahl, von der Mobilfunkgegner nur träumen können.
Schon anlässlich der ersten Anti-5G-Kundgebung im Mai 2019 in Bern wurde die Idee geboren, die Anzahl der Demonstranten mit virtuellen Teilnehmern, die nur auf dem Papier mit dabei waren, zu erhöhen. Deutsche "Elektrosensible" haben diese Idee aufgegriffen. Im Vorfeld der Berliner Kundgebung riefen sie Leidensgenossen dazu auf, sich bei dem Verein "Weiße Zone Rhön" zu melden und als virtuelle Teilnehmer der Veranstaltung registrieren zu lassen. Der Verein will jedem registrierten virtuellen Teilnehmer eine individuelle Nummer zuordnen und reale Teilnehmer sollen heute vor dem Reichstagsgebäude mit Pappschildern umherlaufen, welche weithin sichtbar die Nummern der Registrierten zeigen. Um Schmu auszuschließen, will der Verein die Registrierungen bis 22. Dezember 2019 verwahren, um notfalls notariell beglaubigt deren Echtheit zu beweisen. Nach dem Stichtag ist die Vernichtung der Registrierungen zugesagt. Die Welt der "Elektrosensiblen", sie ist eine sonderbare, denn wer, außer Geschäftemachern mit der irrationalen Angst vor Elektrosmog, sollte sich für die hinterlegten Registrierungen selbst diagnostizierter Elektrosensibler schon interessieren?
Mit Pappschildern hatte im Oktober 2012 der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk schlechte Erfahrungen sammeln müssen. Anlässlich seiner für München geplanten Großdemonstration gegen Tetra-Behördenfunk vor der geschichtsträchtigen Feldherrnhalle hatten die Veranstalter zahlreiche Schilder mit Spruchparolen vorbereitet. Allein, es fehlten dort die Teilnehmer, die diese Schilder wie Standarten vor sich her hätten tragen sollen. So welkte der gelbe Schilderwald seinerzeit ungetragen am Rand der viel zu groß geratenen Rednertribüne im herbstlichen Nieselregen vor sich hin.
In Berlin ist es heute bei 24 °C sonnig. Beste klimatische Voraussetzungen also für die vier Redner der Anti-5G-Veranstaltung. Es treten auf:
► Prof. Klaus Buchner (bröckelndes Anti-Mobilfunk-Urgestein aus München, das besser schweigen sollte)
► Jörn Gutbier (Architekt und Baubiologe mit kommerziellen Interessen an der Mobilfunkdebatte)
► Eduard Meßmer (Beamter im Ruhestand und Petent der sogenannten Bundestagspetition)
► Peter Hensinger (gelernter Drucker im Ruhestand, seit 2006 Sendemastengegner)
Organisator der Kundgebung, die auch einen Protestumzug durchs Regierungsviertel vorsieht, ist der Hamburger Baubiologe Michael Mumm. Der Aufmarsch der Mobilfunkgegner will die Aufmerksamkeit der Medien auf die morgen verhandelte "Bundestagspetition" lenken. Ein mMn sinnfreies Ziel, denn nicht morgen, sondern erst in einigen Wochen wird der Petitionsausschuss bekannt geben, ob er der Petition von Meßmer statt gibt, oder diese dem Papierkorb übergeben hat.
Dass die Redner fachliche Laien in Sachen 5G-Mobilfunk sind, wird die Zuhörer, die noch weniger über Mobilfunk Bescheid wissen als die Redner, wohl kaum stören. Denn wer nichts weiß, muss ohnehin alles glauben. Auffällig: Franz Adlkofer, wohnhaft in Berlin, wird von Diagnose-Funk nicht als Redner genannt. Er muss mutmaßlich noch für die morgige Verhandlung der "Bundestagspetition" vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages büffeln.
Das Berliner Presseportal KenFM hatte vor, mit seinem TV-Kanal die Berliner Proteste gegen 5G medial einzuläuten. Dazu war eine Talkrunde mit drei Experten geplant, die unter der Moderation von Ken Jebsen das "Risiko 5G" kontrovers über eine Stunde lang diskutieren sollte. Jebsen wollte die Diskussion am 13. September im Studio aufzeichnen und am 15. September im Zuge der Sendung "Zur Sache" ausstrahlen. Doch das Vorhaben konnte nicht realisiert werden, denn es gelang KenFM nicht, eine angemessen besetzte Talkrunde zu organisieren. Unter anderem versuchte KenFM vergeblich, Prof. Lerchl für den Talk zu gewinnen. Wer die anderen angestrebten Teilnehmer gewesen wären, wollte KenFM auf Anfrage des IZgMF nicht preisgeben. Franz Adlkofer war sicher ein heißer Kandidat, es wäre nicht sein erster Auftritt im Jebsen-Portal gewesen. Für KenFM spricht, dass sie die Sendung ersatzlos ausfallen ließen und sich nicht dazu entschlossen, dem Publikum drei überzeugte Mobilfunkgegner zu präsentieren, die sich gegenseitig in ihren Außenseiterstandpunkten beigepflichtet hätten. Wie ätzend ein solcher Auftritt gewesen wäre, kann man sich bei dem Kölner Lokalsender NRWtv ansehen, der Klaus Buchner und dem "Elektrosensiblen" Uli Weiner Gelegenheit gab, sich die Bälle gegenseitig zuzuspielen. Eingeladene Mobilfunknetzbetreiber hatten zuvor ihre Teilnahme an der Show aus gutem Grund abgesagt.
Leider gibt es in Deutschlands Hauptstadt keine einzige Webcam, die den Ort der Anti-5G-Kundgebung im Blick hat, um die Anzahl der Teilnehmer abschätzen zu können. Von Veranstaltern genannten Teilnehmerzahlen ist grundsätzlich nicht zu trauen. Wie die Berichterstattung der Medien über die gestrige Veranstaltung in Bern zeigte, ist jedoch auch Vorsicht gegenüber den Schätzungen von Journalisten angebracht. Zumindest dann, wenn der Blätterwald zwar vernehmlich raschelt, sämtliche Meldungen jedoch auf den fertig formulierten Text einer Nachrichtenagentur zurück gehen. Statt erfrischender Vielfalt also muffige Einfalt herrscht, weil eben alles auf der fragwürdigen Schätzung eines einzigen Beobachters vor Ort beruht. Sollte die Kundgebung in Berlin von den Medien überhaupt wahrgenommen werden, kommt es also darauf an, ob die Meldungen von einer Agentur kommen, oder von unterschiedlichen Reportern, die vor Ort waren.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –