Faktencheck: Franz Adlkofers "Tödliche Strahlung" (Allgemein)
Seit 2004 ist der Ex-Tabaklobbyist Franz Adlkofer eine feste Größe in der Anti-Mobilfunkszene. Laut Klaus Scheidsteger, einem seiner Gesinnungsfreunde, soll Adlkofer trotz seines hohen Alters im Hintergrund die Fäden ziehen. Das hört sich nach einem schlauen Fuchs an, der sich nicht so leicht stellen lässt. Doch der Schein trügt, wie jeder weiß, der hier regelmäßig mitliest. Im Januar 2019 beging der Fuchs einen Fehler, der an seiner Qualifikation als Wissenschaftler zweifeln lässt.
Franz Adlkofer brachte im Januar 2019 einen Artikel mit dem reißerischen Titel "Tödliche Strahlung" in dem nicht unumstrittenen Online-Magazin "Rubikon" unter. Der Ex-Tabaklobbyist wiederkäut dort vornehmlich eine Hirntumorstudie aus Großbritannien (Alasdair Philips et al.), auf die bereits im März 2018 Microwave News, USA, aufmerksam machte.
Adlkofer bringt in seinem Artikel zwei Furcht einflößende Grafiken (relativer Anstieg der Hirntumor-Neuerkrankungen in UK bezogen auf 1995), die ab 1996 bis 2014 eine deutliche Zunahme der Erkrankungsrate zeigen (in Grafik 1 zuletzt den 3,5-fachen Wert gegenüber 1995). Dass dies auf sehr niedrigem Werteniveau der Fallzahlen geschieht, und deshalb weitaus weniger dramatisch ist als es wirkt, wird gerne übersehen.
Doch Adlkofer leitet daraus wie von ihm gewohnt Dramatisches ab:
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO in Lyon, Frankreich, die die Mobilfunkstrahlung 2011 bereits als „möglicherweise kanzerogen beim Menschen“ eingestuft hat, wird deshalb der Forderung unabhängiger Wissenschaftler, diese Bewertung mit „kanzerogen beim Menschen“ alsbald der Realität anzupassen, nicht auf Dauer widerstehen können.
Was mich daran stört: In Adlkofers Artikel kommt das Wort "Latenzzeit" kein einziges mal vor, so als ob Hirntumoren keine Latenzzeit hätten ...
Da mich die Latenzzeit von Hirntumoren schon länger umtreibt, denn die Angaben dazu sind vage und widersprüchlich, habe ich 2016 diesen Strang gestartet und einige Nennungen zur Hirntumorlatenz gesammelt. Adlkofer ist dort mit der Äußerung vertreten:
Zehn Jahre Latenzzeit für Krebs und Alzheimer seien zu kurz gegriffen, da müsste man besser mit 20 Jahren rechnen.
Er sagte dies 2008 in München auf einer Veranstaltung von Dr. Hans-C. Scheiner, bei der George Carlo als hundemüder Hauptreferent auftrat.
Rückblickend spielte 2008 das Hirntumorrisiko infolge EMF-Einwirkung noch keine bedeutende Rolle, die Interphone-Studie brachte erst zwei Jahre später erste ernst zu nehmende wenngleich widersprüchliche Hinweise hervor. Da GSM-Mobilfunk in Deutschland Mitte 1992 startete und 16 Jahre später (2008) noch immer keine beunruhigenden Meldungen über eine Zunahme von Hirntumoren kursierten, wurden in der Anti-Mobilfunkszene, die das Thema bislang eher hypothetisch auf dem Schirm hatte, die Latenzzeiten länger und länger. Weil die Forschung – bis auf Lennart Hardell – partout nichts ernsthaft Alarmierendes lieferte, konnte damals nur mit dieser schrittweisen Verlängerung das Munkeln & Raunen über ein möglicherweise wachsendes Hirntumorrisiko weiter am dampfen gehalten werden. Adlkofer ging auf Nummer sicher und prognostizierte 2008 die besagten 20 Jahre, die ab erstmaliger Nutzung des Handys einer Person und der erstmaligen Diagnose eines auf der EMF-Exposition beruhenden Hirntumors verstreichen würden. Damit ließ sich 2008 die hiesige Anti-Mobilfunkszene noch für vier weitere Jahre bis 2012 vertrösten.
Gemäß dieser Quelle startete GSM in UK bereits 1991 (Vodafone). Mit der Adlkofer-Prognose von 2008 dürfte sich die EMF-Exposition der Briten nun frühestens ab 2011 mit einem Anstieg der Hirntumorinzidenz bemerkbar gemacht haben. Die beiden Grafiken, die Adlkofer jetzt so begeistern, zeigen jedoch ein völlig anderes Bild. Dort beginnt der Anstieg bereits 1996, also nicht 20 Jahre nach der GSM-Einführung in UK, sondern nur fünf Jahre danach!
Organisierte Mobilfunkgegner sind dafür berüchtigt, derartige Widersprüche zu ignorieren, wenn es ihnen in den Kram passt. Frei nach Konrad Adenauer, dem fälschlich das Zitat zugeschrieben wird: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!
Keine der gesammelten Latenzzeiten nennt die kurze Spanne von nur fünf Jahren, nicht einmal nach der Exposition mit Röntgenstrahlung. Adlkofer ist sich des Widerspruchs der ungewöhnlich kurzen Latenzzeit mit dem behaupteten Kausalzusammenhang zu EMF-Einwirkung beim Verfassen seines Artikels wohl durchaus bewusst gewesen, deshalb klammerte er die Latenzzeit in seinem Text zu 100 Prozent aus. Doch was ist das für ein "Wissenschaftler", der sich von einem Nachrichtentechniker eine solche Irreführung der Öffentlichkeit ankreiden lassen muss? Die Antwort ist einfach: Er ist ein Wissenschaftler, der mindestens 20 Jahre im Dienst der Tabakindustrie die Risiken des Passivrauchens so erfolgreich verharmlost hat, dass sein Arbeitgeber sich 1991 anlässlich einer Vorstandssitzung ausgesprochen lobend über ihn äußerte. Wer den Hintergrund nicht kennt: Die Tabakindustrie steht im Verdacht, mit Adlkofers alarmierenden (aber unter Fälschungsverdacht stehenden) Mobilfunkstudien von den Risiken des Rauchens ablenken zu wollen.
Ein Einwand könnte nun lauten, dass GSM auch in UK nicht das erste Mobilfunknetz war. Zuvor gab es dort ab 1985 das noch mit Analogtechnik aufgebaute TACS-Netz, das später mit ETACS auf mehr Kanäle aufgebohrt und erst Ende Mai 2001 abgeschaltet wurde. Die Endgeräte hatten seinerzeit im Vergleich zu GSM sehr hohe Sendeleistungen von bis zu 7 W (oder mehr), anstelle von "Handys" gab es jedoch anfangs nur voluminöse Telefonkoffer mit Schnurhörer oder die Geräte waren im Kofferraum von Fahrzeugen montiert und sendeten mit Außenantenne.
Doch auf Alarm gebürstete Mobilfunkgegner ignorieren – wieder bis auf Lennart Hardell – geschlossen die Analognetze, obwohl deren frühe Verbreitung besser zu den Latenzzeiten von Hirntumoren passen würde. Warum ist das so? Meine Antwort:
- Wegen technischer Begrenzungen war kein Analognetz für den Massenfunk tauglich.
- GSM lief ab Beginn der 1990-er Jahre den Analognetzen schnell den Rang ab.
Das heißt: Sollten die Endgeräte der Analognetze für Hirntumoren verantwortlich sein, wären a) nur wenige Menschen davon betroffen und b) wegen der kurzen "Lebenszeit" der Analognetze würden sie schlimmstenfalls über einen befristeten Zeitraum eine Beule im zeitlichen Verlauf jeder nationalen Hirntumorstatistik in den Industrieländern verursachen, jedoch keinen stetigen nicht enden wollenden Anstieg. Für Alarmisten ist dies ein wenig verheißungsvolles weil vergängliches Szenario, bei dem sie nach Erreichen des Scheitelpunkts der Beule sinkende Hirntumorraten verkraften müssten. Das wäre Gift für Alarmisten. Dann schon lieber auf moderne Digitalnetze ab GSM setzen und damit arbeiten, dass wegen der Ungewissheit über die tatsächliche Latenzzeit von Mobilfunk-Hirntumoren die Zeitdauer ganz nach momentanem Bedarf mal verkürzt, mal verlängert wird, stets aber mit demselben Ziel, die Bevölkerung zu beunruhigen.
Hintergrund
Glioblastome in UK: Scheinkorrelation mit Handynutzung
Kreisverkehr: Wie Mobilfunkgegner sich gegenseitig zitieren
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –