EU-Ausschuss Scheer sieht Bedarf für neue EMF-Grenzwerte (Forschung)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 23.08.2022, 10:50 (vor 631 Tagen)

Der wissenschaftliche EU-Ausschuss Scheer hat seine Ankündigung von 2021 wahr gemacht und eine vorläufige Neubewertung des Risikos HF-EMF vorgenommen. Scheer sieht Bedarf für neue HF-EMF-Grenzwerte, enttäuscht zugleich aber Mobilfunkkritiker. Interessengruppen aller Art können bis 25. September 2022 die Scheer-Stellungnahme kommentieren.

Auf Anfrage der Europäischen Kommission, ob die Empfehlung 1999/519/EG des Rates und die Richtlinie 2013/35/EU in Hinblick auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über HF-EMF noch zeitgemäß sind oder einer Novellierung bedürfen, hat der wissenschaftliche EU-Ausschuss "Gesundheit, Umwelt und neu auftretende Risiken" (Scheer) eine vorläufige Stellungnahme vorgelegt [Nachtrag vom 14. April 2023: Der Link ist gesperrt, Ersatzlink]. Scheer spricht sich dafür aus, nicht die Empfehlung und die Richtlinie selbst zu überarbeiten, sondern deren technische Anhänge, in denen die Grenzwerte beziffert sind. Zur Begründung gibt der Ausschuss an, er habe keine Beweise für gesundheitsschädliche Auswirkungen infolge chronischer oder akuter HF-EMF-Exposition unterhalb der in der EU geltenden Grenzwerte feststellen können. Technologischer Fortschritt und neue funkgestützte Anwendungen, insbesondere im oberen Bereich des Hochfrequenzspektrums (Millimeterwellen), erforderten in den Anhängen jedoch die Aktualisierung mit Grenzwerten für neue dosimetrische Größen.

In die Recherchen von Scheer eingeflossen sind Meta-Analysen, systematische Reviews und, falls erforderlich, narrative und Scoping-Reviews sowie einzelne Forschungsarbeiten, die ab 2015 zu HF-EMF (100 kHz bis 300 GHz) veröffentlicht wurden. Ab 2015 deshalb, weil Scheer (genauer SCENIHR) seinerzeit seine bislang jüngste Sichtung und Bewertung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes vorgenommen hat. Scheer entstand 2016 aus der Zusammenlegung der beiden wissenschaftlichen EU-Ausschüsse SCENIHR und Scher.

Die Stellungnahme von Scheer ist jetzt zur öffentlichen Konsultation freigegeben worden, um Rückmeldungen von Wissenschaftlern und Interessengruppen zu erhalten. Interessenvertreter können ihre Kommentare zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Ausschusses bis zum 25. September 2022 online einreichen.

Alles richtig gemacht hat Scheer mit zwei seiner externen Berater, die gleich zu Beginn der Stellungnahme ausdrücklich benannt werden: Fiorella Belpoggi und Alexander Lerchl. Mit dieser geschickten Beraterauswahl hat sich der Ausschuss Fachkompetenz von beiden Flügeln der Mobilfunkdebatte besorgt und zugleich verhindert, dass Mobilfunkkritiker, die auf den Bremer Professor gewöhnlich mit Schnappatmung reagieren, ihrer Empörung diesmal freien Lauf lassen können :-).

Belpoggi wurde nicht etwa wegen ihrer 5G-Gesundheitsreview für Stoa als externe Beraterin ausgewählt (diese Review wird von Scheer mit keinem Wort erwähnt), sondern wegen ihrer "Ramazzini"-Studie (Falcioni et al.). Bei Lerchl war es dessen Expertise in Tierstudien.

Hintergrund
Scheer bereitet Neubewertung der Sicherheit von HF-EMF vor

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Novellierung, Fachkompetenz, Lerchl, Belpoggi, Millimeterwellen, EU-Ausschuss Scheer


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum