Hardells ICNIRP-Kritik: Kleiner Faktencheck (Allgemein)

Schutti2, Freitag, 23.07.2021, 16:57 (vor 1218 Tagen) @ H. Lamarr

Mir geht es um folgende Behauptung:

Additionally, the ICNIRP increased the reference levels for the general public averaged over 6 min for RF frequencies >2-6 GHz (those that will be used for 5G in this frequency range), from 10 W/m2 (Tables 5 and 7 in ref. no. 6) to 40 W/m2 (Table 6 in ref. no. 8), which paves the way for even higher exposure levels to 5G than the already extremely high ones.

Auf deutsch (thanks to deepl) etwa:
Darüber hinaus hat die ICNIRP die Referenzwerte für die Allgemeinheit, gemittelt über 6 Minuten, für HF-Frequenzen >2-6 GHz (die in diesem Frequenzbereich für 5G verwendet werden) von 10 W/m2 (Tabellen 5 und 7 in [6] ) auf 40 W/m2 (Tabelle 6 in [8]) erhöht, was den Weg für noch höhere Expositionswerte für 5G ebnet als die bereits extrem hohen.

Ich meine:
Hardell schreibt die Unwahrheit.
Seine Behauptung, ICNIRP habe die Referenzwerte für Frequenzen von 2-6 GHz erhöht, trifft nicht zu.

Fakt ist vielmehr:
Der Wert von 10 W/m² gilt in dieser Höhe unverändert weiter.

Hardell bringt zwei verschiedene Referenzwerte (für Ganzkörper- und Teilkörperexposition) durcheinander und verwechselt obendrein noch Basisgrenzwerte mit Referenzwerten.
Es erstaunt, dass dies den Reviewern bei ONCOLOGY LETTERS nicht aufgefallen ist.

Das ist die Kurzfassung.

Wie ich darauf komme?
Durch einen Blick in Hardells Quellen.

Hardells Quelle [6], das waren die alten ICNIRP-Empfehlungen von 1998
Ich nenne sie hier kurz „ALT
Hardells Quelle [8] sind die neuen Empfehlungen von 2020
ich nenne sie hier kurz „NEU

Erstens
In ALT gab es gar keinen Referenzwert für lokale Exposition, sondern nur einen für Ganzkörper-Exposition.
Den Referenzwert für Ganzkörperexposition gibt es auch wieder in NEU; und sein Wert ist unverändert: 10 Watt/m².
Vergleiche Tabelle 7 in ALT mit Tabelle 5 in NEU

Zweitens
Anders als bislang gibt es in NEU jetzt auch Referenzwerte für Lokale Exposition.
Für Frequenzen von 2…6 GHz beträgt dieser Referenzwert 40 W/m². Siehe Tabelle 6 in NEU.
Diesen Wert mit den zuvor genannten 10 W/m² zu vergleichen, heißt Äpfel mit Birnen vergleichen. Sei es aus Unkenntnis oder in böser Absicht.

Drittens
ICNIRP hat seit jeher unterschieden zwischen Basisgrenzwerten und Referenzwerten.
Basisgrenzwerte beruhen unmittelbar auf gesicherten Gesundheitsfolgen und müssen unbedingt eingehalten werden. Basisgrenzwerte, z.B. Ströme im Körper oder in den Körper eindringende Leistungsdichte, sind aber nicht direkt messbar. Daher gibt es

Referenzwerte.
Dies sind mit Modellannahmen aus den Basisgrenzwerten abgeleitete Werte für direkt messbare Größen. Die Ableitung erfolgt so, dass bei Einhaltung des Referenzwertes zugleich sichergestellt ist, dass der eigentliche Basisgrenzwert unterschritten bleibt.

Viertens
Hardell verweist, als er die vermeintlich von 10 auf 40 W/m² hoch gesetzten Referenzwerte anspricht, auch auf Tabelle 5 in ALT. Dort sind aber nicht Referenz-, sondern Basisgrenzwerte angegeben, und zwar ausschließlich für Frequenzen oberhalb von 10 GHz. Der dort stehende Wert von 10 W/m² Leistungsdichte als Basisgrenzwert ist für Laien leicht durcheinanderzubringen mit dem Referenzwert der äquivalenten Leistungsdichte bei ebenen Wellen (Tabelle 7 in ALT), umso mehr als letzterer Wert auch mit 10 W/m² angegeben ist. Aber auch hier darf man nicht Gurken mit Avocado vergleichen, nur weil es etwas ähnlich aussieht.
In den neuen Richtlinien wird, m.E. jetzt klarer, zwischen absorbierter Leistungsdichte (Basisgrenzwert) und einfallender Leistungsdichte (Referenzwert) unterschieden. Beides in Watt pro m², und doch nicht dasselbe.
Den Unterschied muss man nicht verstehen, kann man aber.
Solange nicht, sollte man aber mit Kritik an der ICNIRP vorsichtig sein.
H. Lamarr hatte den technischen Sachverhalt hier schon mal angesprochen.

Fünftens
ICNIRP hat für die Referenzwerte bei Frequenzen > 2 GHz mit der neuen Empfehlung eine weitere Sicherheitsschranke eingezogen: Speziell Im reaktiven Nahfeld der Antenne ist es nicht gestattet, die Grenzwerteinhaltung durch „einfache“ Messung des Referenzwerts (unverändert 10 W/m², siehe „Erstens“) nachzuweisen. Siehe Fußnote 6c zur Tabelle 5 in NEU.
Auch diese sollte bedenken, wer davon redet, die Referenzwerte seien angehoben worden.

Soweit meine Meinung zu dem was ich bei Hardell (mit seinen eigenen Worten) als „scientific misinterpretation“ sehe.

ICNIRP selbst schreibt zusammenfassend zu den Unterschieden zwischen den alten und den neuen Empfehlungen:

There is a range of differences between the new and old guidelines. The main changes relate to EMF exposures above 6 GHz, and account for technological developments of RF EMF, such as 5G. These include additional restrictions to ensure that whole body and brief (< 6 minutes) local RF EMF exposures will not result in excessive exposures. Within this >6 GHz EMF frequency range, the averaging area for local exposure has also been reduced, by a factor of 5. This reduces the maximum exposure of a person relative to the ICNIRP (1998) restrictions.

Es gibt eine Reihe von Unterschieden zwischen den neuen und alten Richtlinien. Die wichtigsten Änderungen beziehen sich auf EMF-Expositionen über 6 GHz und berücksichtigen technologische Entwicklungen von HF-EMF, wie z. B. 5G. Diese beinhalten zusätzliche Einschränkungen, um sicherzustellen, dass Ganzkörper- und kurze (< 6 Minuten) lokale HF-EMF-Expositionen nicht zu übermäßigen Expositionen führen. Innerhalb dieses >6 GHz EMF-Frequenzbereichs wurde auch der Mittelungsbereich für die lokale Exposition um den Faktor 5 reduziert. Dies reduziert die maximale Exposition einer Person relativ zu den Einschränkungen der ICNIRP (1998).

(Again thanks to deepl)

Im Detail werden die Unterschiede zwischen der alten und den neuen Empfehlungen hier erläutert.

Tags:
Exposition, Hardell, ICNIRP-Richtlinien, Ganzkörperexposition, Faktencheck, Schaumberg, ICNIRP-Kritiker, Referenzwert, Basisgrenzwert


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