Ständerat kostet der Schweiz ohne Not ein Vermögen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 28.01.2019, 11:24 (vor 1933 Tagen) @ Gustav

Das Märchen von den angeblich NICHT strengeren schweizer EMF-Anlagegrenzwerten kursiert in der Schweiz seit langem unter technisch überforderten Mobilfunkgegnern. Urheber des Märchens ist Ex-Elektriker und Gigaherz-Präsident Jakob. Er und seine Anhänger versuchen bei allen sich bietenden Gelegenheiten, die gegenüber den Grenzwerten in anderen Ländern zweifelsfrei um den Faktor zehn niedrigeren EMF-Anlagegrenzwerte der Schweiz (bezogen auf Feldstärke, bezogen auf Leistungsflussdichte Faktor 100) madig zu machen.

Ja, diese schwachsinnige Aussage hat es sogar in den Schweizer Nationalrat geschafft.

Vom Nationalrat weiß ich es nicht, im Ständerat war es Brigitte Häberli-Koller, die sich um Kopf und Kragen redete, hätte ein anderer Ständerat ihr nur die Fehler in ihren Ausführungen vorhalten können. Hier die relevante Passage aus ihrer Rede am 5. März 2018:

Betreffend Elektrosensibilität liegen gemäss Bafu derzeit ebenfalls keine erhärteten Erkenntnisse vor. Aufgrund der bekannten Fakten lässt sich aber sagen, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die gegenüber elektromagnetischer Strahlung besonders empfindlich ist. Diese Menschen leiden unter körperlichen Belastungen und haben grosse gesundheitliche Probleme, die es ernst zu nehmen gilt. Weil es Hinweise gibt, dass solche Auswirkungen durchaus möglich sind, ist das neuvorgesehene NIS-Monitoring so wichtig und zentral.
Es trifft übrigens nicht zu, dass die Schweiz zehnmal strengere Grenzwerte hat als die EU-Länder. Viele Studien zeigen, dass diese Länder unter anderen Voraussetzungen Messungen vornehmen und dort die Grenzwerte anders bestimmt werden. Experten führen aus, dass überall dort, wo sich Menschen aufhalten können - auch nur kurz -, in der Schweiz, in Deutschland und in anderen Ländern grundsätzlich derselbe Grenzwert für die elektrische Feldstärke von Mobilfunkanlagen eingehalten werden muss. Je nach Frequenz liegt dieser Immissionsgrenzwert zwischen 40 und 61 Volt pro Meter für die kumulierte Strahlung aller Sendeanlagen. In der Schweiz gibt es zusätzlich den sogenannten Anlagegrenzwert für Gebäude, in denen sich Personen länger aufhalten können. Dieser gilt nur für eine einzige Sendeanlage und beträgt je nach Sendefrequenz 4 bis 6 Volt pro Meter. Der Vergleich des Anlagegrenzwertes mit dem ausländischen Immissionsgrenzwert ist so unzulässig. Stehen mehrere Sendeanlagen in enger Nachbarschaft, können Werte von 8 Volt pro Meter und mehr gemessen werden, was toleriert wird.
Auch in Deutschland, das keinen Anlagegrenzwert kennt, sind die Messwerte in Gebäuden vergleichbar mit denen der Schweiz. Die Behauptung, wonach die Schweiz tiefere Grenzwerte als das Ausland habe, stimmt nicht. Der Schweizer Anlagegrenzwert kann nicht dem ausländischen Immissionsgrenzwert gegenübergestellt werden. Das wäre so, wie wenn man Äpfel mit Birnen vergleichen würde.

Leider hat niemand die offensichtlichen Widersprüche und unbegründeten (falschen) Behauptungen in Häberli-Kollers Ausführungen angesprochen. Die Ständerätin räumt in ihrer Rede sogar ihre Interessenbindung als Vizepräsidentin des Hauseigentümerverbandes Schweiz ein. Mit ihrem Votum gegen die Lockerung der Anlagegrenzwerte macht sie deutlich, die Zusammenhänge zwischen Sendemastendichte und zulässigem Anlagegrenzwert nicht richtig verstanden zu haben. Hätte sie es, hätte sie als Lobbyistin des Hauseigentümerverbandes ohne Wenn & Aber FÜR eine Lockerung stimmen müssen, denn dann wäre den Hauseigentümern die jetzt einsetzende weitere Netzverdichtung in der Schweiz erspart geblieben, wenn auch nur für begrenzte Zeit. Die Schweiz hat schon jetzt eine doppelt so hohe Standortdichte wie z.B. Deutschland. Und niemand kann behaupten, dass Sendemasten auf Flächen und Dächern einem Orts- oder Landschaftsbild gut tun.

Frau Häberli-Koller hat auch Jakobs Märchen nicht verstanden. Er behaupte ja, die Gebäudedämpfung wäre es, die schon "von ganz allein" und ohne Anlagegrenzwert zu niedrigen Immissionen in Schlafräumen etc. führe. Dabei hat ihn bereits vor mindestens zehn Jahren das Bundesgericht zurechtgewiesen, seine Behauptung sei Stuss, weil bei der Berechnung der maximal an einem Standort zulässigen Sendeleistung zur Einhaltung der Anlagegrenzwerte die Gebäudedämpfung NICHT berücksichtigt wird. Anwohner in der Schweiz dürfen daher nachts bei OFFENEM Fenster schlafen, ohne dass dadurch der Anlagegrenzwert überschritten wird. In Deutschland müssen die Fenster zu bleiben. Ich werde das Urteil mal raussuchen, um es Gigaherz-Jakob in Erinnerung zu rufen. Schauderhaft: Alle 22 Ständeräte, die gegen die Lockerung der Anlagegrenzwerte gestimmt haben, kosten der Schweiz ohne Not ein Vermögen (siehe Hintergrund). Wären ihre Bedenken vernünftig begründet gäbe es daran nichts auszusetzen, doch da war nichts außer den subjektiv empfundenen Bedenken infolge massiver Desinformation aus dem technisch überforderten Stimmvolk.

Hintergrund
Faktencheck: Mehr Sendemasten durch Vorsorgewerte?

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Schweiz, Anlagengrenzwert, Faktencheck, Vergleich, Ständerat, Häberli-Koller, Gebäudedämpfung


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