Prof. W. Thiede: Null von 5 Punkten (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Samstag, 22.12.2012, 23:21 (vor 4314 Tagen) @ Alexander Lerchl

Da Herr Neitzke und Frau Osterhoff keine Pappnasen sind, ist die Quelle aus meiner Sicht in erster Näherung durchaus substanziell. Ob das Werk auch kritischen Stichproben standhält, wird sich erst noch herausstellen müssen.

Dann wollen wir mal. Es wird in dem Dokument geschrieben: "In fünf von 17 Arbeiten, die die Elektrosensitivität untersuchen, werden Personen identifiziert, die reproduzierbar elektrosensitiv sind."

Das ist nachweislich falsch.

Als Quelle für die ansonsten nicht genauer benannten "fünf von 17 Arbeiten" haben Sie im PDF der beiden Ecologs wahrscheinlich Tabelle 2 auf Seite 13 verwendet. In dieser Tabelle sind die Studien, die "echte" Elektrosensible gefunden haben wollen, mit einem Plus-Symbol gekennzeichnet.

Nur, dort sind nicht fünf, sondern sechs Plus-Symbole, der sechste ist Spegel et al, 2005. Warum die Ecologs wahrscheinlich genau diese Studie nicht mitgezählt haben, dürfte an den beobachteten "inversen Effekten" liegen. Dies bedeutet Elektrosensibilität einmal genau andersrum: je mehr Hochfrequenzimmission die 64 Probanden hatten, desto besser ging es ihnen, je weniger, desto schlechter! Davon will Prof. Thiede aber sicher nichts wissen.

In Ihrer Entgegnung haben Sie mMn einen Punkt verschenkt: Denn in dem Zitat von Thiede reden Sie nicht von elektrischen oder magnetischen Feldern, sondern von elektromagnetischen Feldern. Dieser Begriff ist ohne Wenn & Aber mit Hochfrequenz (HF) assoziiert, auch wenn ihn hin und wieder diverse Schnarchzapfen fälschlich mit Niederfrequenz (NF) in Verbindung bringen. Sie [Lerchl] reden also eindeutig von HF-EHS.

Und mit was versucht nun Herr Thiede Sie aus dem Sattel zu heben? Besteht die "Wahrheit" aus fünf Studien zur Elektrosensibilität gegenüber HF-Feldern? Müsste sie ja wohl, weil der Pfarrer sonst Äpfel (HF) mit Birnen (NF) vergleichen würde.

Schauen wir mal bei den fünf Beweisstudien nach:

Da bleibt nicht mehr viel von den Fünfen übrig.

Hietanen scheidet aus, weil es das Gegenteil von dem nachweist, was Prof. Thiede glaubt, dass er nachgewiesen hat. Bleiben noch vier. Oftedal und Müller scheiden aus, weil sie mit NF statt mit HF gearbeitet haben. Bleiben noch zwei. Zwamborn scheidet aus, weil er sich ein paar Jahre später nicht replizieren ließ. Bleibt unterm Strich nur noch Rea übrig. Der aber liegt um den Faktor 180 neben der niedrigsten Mobilfunkfrequenz. Und das Studiendesign, dessen Volltext unter Ihrem Link gratis einzusehen ist, müsste allen EHS, die ich kenne, vor Wut die Haare zu Berge stehen lassen, denn Rea arbeitete mit nur 3 Minuten Befeldungsdauer! Als Frau Dr. Kaul von der BAuA es 2005 wagte, EHS im 10-Minuten-Raster zu befelden, kollabierte die EHS-Szene fast vor Empörung (viel zu kurz). Kaul fand keine EHS. Zu Reas 3 Minuten aber schwieg die Szene begeistert, denn Rea fand, was die Szene so dringend wollte. 2009 hatten wir die Rea-Studie hier im Forum am Wickel.

Fazit: Ja, da hätte sich Prof. Thiede tatsächlich mehr Mühe geben sollen, dann hätte er vielleicht nicht so blamabel abgeschnitten. Sein Buch hat 302 Seiten, ich mag mir gar nicht vorstellen, was dort noch alles an Desinformation drinsteht. Der Aufwand, nur den Unfug seines 5-Zeilen-Zitats (siehe Startposting) nachzuweisen, ist mMn eine nette Bestätigung für Ihre Signatur: Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann. Bei 302 Seiten bleibt nur die Kapitulation und die Gewissheit, dass die normative Kraft des Faktischen ausreichen wird, Pfarrer Thiede mittelfristig ohne Mühe zu widerlegen. Allerdings bin ich im nachhinein auch von den beiden Ecologs enttäuscht, denn die Passage aus der Zusammenfassung (Seite 16) ...

"In fünf von 17 Arbeiten, die die Elektrosensivität untersuchen, werden Personen identifiziert, die reproduzierbar elektrosensitiv sind."

... ist aus heutiger Sicht kein Ruhmesblatt. In der Rückschau schlauer zu sein ist allerdings auch keine Kunst. Das PDF der beiden ist mMn insgesamt gegenüber subjektiven EHS eher von Skepsis geprägt. So gesehen ist die Passage aus der Zusammenfassung für mich fahrlässige Desinformation, denn Prof. Thiede konnte alle Skepsis des PDFs ignorieren und sich genau diese eine für ihn goldene Passage herauspicken (schon den nächsten Satz konnte er nicht mehr verwerten). Wenn seine 302 Seiten nur auf Fleiß wie diesem beruhen (selektives Sichten von Quellen), dann wird ihm der Liebe Gott dafür hoffentlich noch ordentlich die Leviten lesen. Denn Prof. Thiede bringt sein Buch nicht 2005, sondern 2012 heraus, er hätte es also besser wissen müssen, als seinerzeit die beiden Ecologs. Schade, ich dachte eigentlich, er hätte, weil Wissenschaftler, mehr drauf als die einschlägig bekannten Dampfplauderer und -plaudererinnen der Anti-Mobilfunk-Szene, dieser Flügel ist seit jeher dermaßen üppig besetzt, dass er gewiss keinerlei Verstärkung bedurft hätte.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
ECOLOG-Institut, Elektrosensibilität, Replikation, Rea-Studie, Versager, Thiede, Niederfrequenz, Theologe, TNO-Studien, Hietanen, Sachkompetenz, Oftedal, Zwamborn


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