Dr. med. J. Mutter: Netzbetreiber verhinderten DMF-Studien (Allgemein)
Anlässlich der Anhörung vor dem Umweltausschuss des Bayerischen Landtags am 5. Juli 2012 behauptete Dr. med. J. Mutter im Fragenkomplex (E) "Objektivität von Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Medien im Interessenskonflikt zwischen Profit und Vernunft":
"Wie ist die Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, zu sehen, der im Rahmen eines Fachgesprächs gesagt hat, dass auf Druck der Netzbetreiber mehrere geplante Studien nicht durchgeführt worden sind, wenn die Mobilfunkindustrie keinen Einfluss auf das Deutsche Mobilfunk Forschungsprogramm hatte, außer dass sie das Geld abgeliefert hat? So wurde eine Kohortenstudie und eine Studie zur tatsächlichen Strahlenbelastung der Bevölkerung und andere mehr nicht durchgeführt."
Soweit die Behauptung des Mediziners, der auf Vorschlag der "Grünen" als Sachverständiger zu der Anhörung geladen war.
Doch die Behauptung von Dr. Mutter ist tendenziös - und sie entspricht nicht den Tatsachen. Das kann jeder selber leicht nachprüfen, denn das Bundesamt für Strahlenschutz stellt die Reden seines Präsidenten anlässlich der drei Fachgespräche, die es zum DMF (Deutsches Mobilfunk Forschungsprogramm) gegeben hat, auf seiner Website ein. Das, was Dr. Mutter zu hören glaubte, wurde beim dritten Fachgespräch in Wahrheit von BfS-Präsident Wolfram König am 28. April 2005 gänzlich anders gesagt.
Zu der angeblich unterdrückten Kohortenstudie sagte König: "Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei den Netzbetreibern für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit zu bedanken."
Die deutsche Teilnahme an dieser Studie (Cosmos) wurde später wegen zu geringer Beteiligungsbereitschaft in der Bevölkerung abgesagt. Dies bedeutete jedoch keineswegs das Ende dieser Studie, die jetzt (ohne deutsche Mitwirkung) z.B. in Großbritannien stattfindet. Die Suggestion des Herrn Mutter, die Kohortenstudie "Cosmos" sei aufgrund von Betreiber-Lobbyismus versenkt worden, sie ist in allen Punkten falsch.
Der BfS-Präsident gab noch weitere Auskünfte:
"Drei weitere Projekte mit hoher Priorität mussten zu meinem großen Bedauern zurückgestellt oder gestrichen werden:"
- "Die Ausschreibung für das Projekt "Kurz- und mittelfristige Effekte von Mobilfunksignalen auf Gehirnfunktion und kognitive Leistungsfähigkeit", wurde aufgehoben, da kein wirtschaftliches Angebot eingegangen ist."
- "Im Bereich Dosimetrie war es ein Ziel, die Möglichkeiten zur Minimierung der HF-Exposition der Bevölkerung durch regionale integrierte Netzplanung zu untersuchen. Um die bestehenden Mobilfunknetze zu evaluieren und Strategien zur Minimierung zu entwickeln, sind Informationen über den Netzaufbau verschiedener Betreiber erforderlich. Leider haben die Netzbetreiber in diesem Projekt der Zusammenarbeit nicht zugestimmt. Sie sehen in der Offenlegung der Netzstrategie ureigenste Unternehmensinteressen tangiert. Da bereits einige expositionsminimierte Netzmodelle ohne Einbeziehung von Betreiberdaten entwickelt wurden, ist von einer weiteren Studie ohne eine aktive Beteiligung der Betreiber kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten. Damit musste das Projekt gestrichen werden."
- "Ein weiteres Ziel im Bereich der Dosimetrie war es, die tatsächlichen, individuellen Expositionsdaten einer repräsentativen Bevölkerungsgruppe gegenüber Mobilfunk, aber auch anderer hochfrequenter Feldquellen zu erfassen. Hierfür ist der Einsatz von Personendosimetern unerlässlich. Leider hat sich die Entwicklung von geeigneten HF-Personendosimetern verzögert, so dass die Durchführung einer derartigen Studie bisher noch nicht möglich war."
Da bleibt von den Unterstellungen des Herrn Mutter nicht mehr viel übrig: statt "Druck", hat es in einem einzigen Fall lediglich eine "verweigerte Zustimmung" gegeben.
Im Verweigern kennen sich freilich auch organisierte Mobilfunkgegner gut aus. So wundere ich mich häufig über den Stuttgarter Peter Hensinger (Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk), der 2006 zur Szene der Mobilfunkgegner hinzu stieß, und vom Stand weg Politik und Wissenschaft öffentlich lauthals kritisierte. Das wäre nicht weiter schlimm, wäre Herr Hensinger ein echter Experte, also jemand, der aufgrund von Ausbildung und/oder ausgeübtem Beruf zu substanzieller Kritik befähigt ist. Unqualifizierte Kritiker, die sich über den vierten Bildungsweg im www auf einschlägigen Seiten gelagerter Argumentationshülsen bedienen, die sich einseitig informieren, aus der Debatte materiellen/immateriellen Profit ziehen und die Widersprüche mit Verschwörungstheorien überbrücken, die gibt es hierzulande im Überfluss. Leicht erkennbar an ihrer Selbstüberschätzung und der Gewissheit, mit der sie sich ihrer Sache so unerträglich sicher sind. So befand Mobilfunkgegner Hensinger kürzlich "Kraft seiner Kompetenz", die wissenschaftlich ausgebildeten Behördenvertreter hätten bei der Anhörung auf "Stammtischniveau" argumentiert.
Ist der Mann im Besitz des heiligen Grals, dass er so dreist urteilen kann? Eher nicht, denn es kursieren Gerüchte, Hensinger sei Drucker, Deutschlehrer oder Hausmeister in einem Krankenhaus gewesen. Er selber vermeidet jegliche klare Aussage zu seiner fachlichen Expertise. Also habe ich ihn am 5. Juli genau danach befragt, doch der Mann von Diagnose-Funk verweigerte die Auskunft. Ich meine aus gutem Grund: Wer gemeinsam mit einem sogenannten "Dipl.-Astrologen" (Uwe Dinger) die Anti-Mobilfunk-Website Diagnose-Funk betreibt, der müsste schon extrem viel EMF-Fachkompentenz in die Waagschale werfen können, um diese Scharte auszuwetzen. Da er dies nicht kann, macht Hensinger mMn um die Preisgabe seiner beruflichen Qualifikation, die Politik und Wissenschaft zu kritisieren, so einen großen Bogen. Er wird das Geheimnis öffentlich nur lüften, wenn er muss.
Hintergründe
Der umstrittene Mediziner Dr. J. Mutter ist hier im Forum seit langem Thema kritischer Betrachtungen. Solange der Umweltmediziner an der Uniklinik Freiburg beschäftigt war, blieb er in der Anti-Mobilfunk-Szene eher unauffällig. Das änderte sich schlagartig Anfang 2008, als die Uni für Mutter keinen Platz mehr hatte, und er sich selbstständig machen musste. Bereits im November 2006 sah sich der Mediziner in der Lage, Deutschlands Vorzeige-Elektrosensiblen Uli W. in einem Attest "Elektrosensibilität" zu bescheinigen - zur Vorlage bei Versicherungen und Behörden. Wie vage dieses Gutachten ist, um das lange ein Geheimnis gemacht wurde, lässt sich in der hier verlinkten Quelle nachlesen. Die Substanzlosigkeit dieses Gutachtens ("... ist nicht auszuschließen, dass hochfrequente gepulste elektromagnetische Felder an den Beschwerden von Uli W. beteiligt sind") erklärt, warum es so lange versteckt wurde. Uli W. erweckt noch heute gerne den Eindruck, er habe ernst zu nehmende Atteste für seine behauptete Elektrosensibilität.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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