Forschergruppe schraubt Sargdeckel auf Wiener "Reflex"-Studie (Forschung)
Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz konnten die Beobachtung erhöhter DNA-Schäden nach der Exposition von Zellen mit GSM-Signalen nicht reproduzieren. Dieser Befund dürfte wissenschaftlich das Ende der Causa "Reflex" bedeuten, auch wenn juristisch das letzte Wort noch immer nicht gesprochen ist.
Mitglieder der Forschergruppe sind D. Schuermann, C. Ziemann, Z. Barekati, M. Capstick, A. Oertel, F. Focke, M. Murbach, N. Kuster, C. Dasenbrock und P. Schär. Bemerkenswert ist die Teilnahme von Niels Kuster, denn der "Man in Black" weigert sich zur Enttäuschung von Alexander Lerchl beharrlich, der Retraktion der unter Fälschungsverdacht stehenden "Reflex"-Nachfolgestudie zuzustimmen. Im Gegensatz zur Wiener "Reflex-Studie (Diem et al., 2005) verwendete die Nachfolgestudie (Schwarz et al., 2008) jedoch nicht GSM als einwirkendes Funksignal, sondern UMTS. Doch auch dafür fand die Forschergruppe inkl. N. Kuster 2020 keinen Beweis, eine UMTS-Exposition könne DNA-Schäden oder eine Störung des DNA-Reparaturmechanismus in Zellen hervorrufen.
Die neue Studie trägt den Titel "Assessment of Genotoxicity in Human Cells Exposed to Modulated Electromagnetic Fields of Wireless Communication Devices" und bereits der Abstract macht deutlich, überzeugte Mobilfunkgegner in aller Welt werden sich wahrscheinlich große Mühe geben, diese Studie nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen:
Modulated electromagnetic fields (wEMFs), as generated by modern communication technologies, have raised concerns about adverse health effects. The International Agency for Research on Cancer (IARC) classifies them as "possibly carcinogenic to humans" (Group 2B), yet, the underlying molecular mechanisms initiating and promoting tumorigenesis remain elusive. Here, we comprehensively assess the impact of technologically relevant wEMF modulations on the genome integrity of cultured human cells, investigating cell type-specificities as well as time- and dose-dependencies. Classical and advanced methodologies of genetic toxicology and DNA repair were applied, and key experiments were performed in two separate laboratories. Overall, we found no conclusive evidence for an induction of DNA damage nor for alterations of the DNA repair capacity in cells exposed to several wEMF modulations (i.e., GSM, UMTS, WiFi, and RFID). Previously reported observations of increased DNA damage after exposure of cells to GSM-modulated signals could not be reproduced. Experimental variables, presumably underlying the discrepant observations, were investigated and are discussed. On the basis of our data, we conclude that the possible carcinogenicity of wEMF modulations cannot be explained by an effect on genome integrity through direct DNA damage. However, we cannot exclude non-genotoxic, indirect, or secondary effects of wEMF exposure that may promote tumorigenesis in other ways.
[Modulierte elektromagnetische Felder (weak EMFs, kurz wEMFs), wie sie durch moderne Mobilfunktechniken erzeugt werden, haben Bedenken über gesundheitsschädliche Auswirkungen aufgeworfen. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft sie als "möglicherweise krebserregend für den Menschen" ein (Gruppe 2B), doch die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen, die die Tumorentstehung initiieren und fördern, sind nach wie vor nicht bekannt. Hier bewerten wir umfassend den Einfluss technologisch relevanter wEMF-Modulationen auf die Genomintegrität kultivierter menschlicher Zellen und studierten dabei Besonderheiten des Zelltyps sowie Zeit- und Dosisabhängigkeiten. Klassische und fortgeschrittene Methoden der genetischen Toxikologie und DNA-Reparatur wurden angewandt und die wichtigsten Experimente wurden in zwei getrennten Labors unabhängig voneinander durchgeführt. Insgesamt fanden wir keine schlüssigen Beweise für das Auslösen von DNA-Schäden oder für Veränderungen der DNA-Reparaturkapazität in Zellen, die verschiedenen wEMF-Signalen (d.h. GSM, UMTS, WiFi und RFID) ausgesetzt waren. Zuvor berichtete Beobachtungen über erhöhte DNA-Schäden nach der Exposition von Zellen mit GSM-Signalen konnten nicht reproduziert werden. Experimentelle Variablen, die vermutlich den widersprüchlichen Beobachtungen zugrunde liegen, wurden untersucht und diskutiert. Auf Grundlage unserer Daten kommen wir zu dem Schluss, die mögliche Kanzerogenität von wEMF-Signalen kann nicht mit einer Wirkung auf die Genomintegrität durch direkte Genomschäden erklärt werden. Wir können jedoch nicht ausschließen, dass nicht-genotoxische, indirekte oder sekundäre Effekte der wEMF-Exposition die Tumorgenese auf andere Weise fördern.]
Hintergrund
Reflex-Studie: Replikation in Berlin trotz bester Voraussetzungen gescheitert
Reflex-Replikation: Franz Adlkofer vs. Paul Layer
Reflex-Replikationen - Sammelstrang
Reflex: Der vollständige Johnston-Report (2008)
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –