Faktencheck 072: Finanzierung des EMF-Projekts seit 2005 (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 19.06.2024, 14:57 (vor 108 Tagen) @ H. Lamarr

Jetzt wird es spannend, denn es geht darum, auf welche Weise sich das EMF-Projekt der WHO finanziert. Die folgenden Angaben sind keine Mutmaßungen oder Sekundärquellen entnommen, sondern sie wurden im Progress Report 2001 - 2002 des Projekts im Juli 2002 auf der Projektwebsite veröffentlicht. Bei der WHO ist dieser alte Jahresbericht leider nicht mehr abzurufen, wer Zweifel an meinen Angaben hat, mag das Internet Archiv bemühen oder die WHO direkt ansprechen. Mir liegt der fragliche Jahresbericht nur deshalb vor, weil ich vor vielen Jahren, als dies noch für jedermann möglich war, alle Jahresberichte des EMF-Projekts von 1996 bis 2014 gesichert habe.

Damit kein Missverständnis aufkommt, die oben beschriebene Finanzierung des EMF-Projekts auch mit Geld aus der Industrie gilt für das Jahr 2002 und davor. Doch im Zeitraum 2004 bis 2005 hat die WHO die Projektfinanzierung überdacht und auf staatliche und nicht-staatliche Finanzierung umgestellt. Von Industriefinanzierung über eine "Firewall" (Royal Adelaide Hospital) ist nicht mehr die Rede. Im damaligen Progress Report heißt es nun zur Finanzierung (aus dem Englischen übersetzt) erstmals:

Das Projekt wird ausschließlich durch außerbudgetäre Beiträge der teilnehmenden Länder und Agenturen finanziert. Die WHO stellt Sachleistungen in Form von Büroräumen und Dienstleistungen zur Verfügung und stellt sehr strenge Anforderungen an die Finanzierung durch nicht-staatliche Organisationen. Alle Beiträge und Abrechnungen werden von der WHO streng geprüft.

Einige Länder stellen Sachleistungen in Form von Personalstunden zur Verfügung. Dazu gehören Beiträge von Dr. Colin Roy von der australischen Behörde für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit, von Dr. Eric van Rongen vom Gesundheitsrat der Niederlande, von Dr. Tom McManus von der Regierung der Republik Irland, von Dr. Victor Cruz vom peruanischen Nationalen Institut für Forschung und Ausbildung in der Telekommunikation (INICTEL) und von anderen, die unentgeltlich Übersetzungen von Merkblättern und anderen Dokumenten zur Verfügung gestellt haben [...]. Darüber hinaus richten einige Länder Sitzungen aus oder stellen Drittmittel zur Verfügung, um die Kosten für Sitzungen zu decken. Einrichtungen wie die Europäische Kommission stellen über EMF-NET und COST 281 Mittel für die Teilnahme von Referenten an WHO-Tagungen bereit. Verschiedene staatliche oder staatlich finanzierte Einrichtungen wie das schwedische Strahlenschutzinstitut (SSI) und die Forschungsgemeinschaft Funk e.V. (FGF) tragen entweder direkt oder durch die Übernahme der Reisekosten von Referenten zu den Kosten der Tagungen bei. Die FGF unterstützt auch die Aktualisierung der Forschungsdatenbank.

Eine Zusammenfassung der erhaltenen und ausgegebenen Mittel findet sich in Tabelle 3. Es ist anzumerken, dass das Projekt darauf abzielt, etwa gleich viele Beiträge von nationalen Behörden und nicht-staatliche Organisationen zu erhalten. Dies wurde im Laufe der Jahre weitgehend erreicht, allerdings sind höhere staatliche Beiträge erforderlich, um dieses Gleichgewicht zu erhalten.

Zwar gibt es noch einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben, doch werden die meisten Mittel für die Gehälter des Personals ausgegeben, und die WHO verlangt, dass mindestens ein Jahr im Voraus Mittel zur Deckung der Gehälter zur Verfügung stehen. Aufgrund des großen Arbeitsvolumens wird mehr Personalzeit benötigt, um die Aktivitäten abzuschließen. Kürzlich wurde eine Personalstelle ausgeschrieben, die jedoch wegen des starken Rückgangs der erwarteten Beiträge gestrichen werden musste.

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Ein großes Problem ist, dass die für das Projekt bereitgestellten Mittel im Laufe der Jahre zurückgegangen sind. Es wurde zwar eine kleine Mittelreserve gebildet, doch ist diese nun aufgebraucht. Eine konzertierte Finanzierungsaktion ist notwendig, um die bereits begonnenen Projektaktivitäten abzuschließen.

Aus verwaltungstechnischer Sicht. Das Budget der WHO wird halbjährlich festgelegt. Das Budget für das EMF-Projektprogramm wird in Kürze für den Zweijahreszeitraum 2006-2007 aufgestellt. Darüber hinaus gibt es eine neue WHO-Politik, die vorsieht, dass ein bestimmter Anteil der Aktivitäten/Mittel an die Regionalbüros übertragen wird. Das EMF-Projekt erwägt derzeit, einen Teil seiner Aktivitäten an das Europäische Regionalbüro zu verlagern, obwohl anerkannt wird, dass auch in anderen Regionen, insbesondere in Südamerika, ein großer Bedarf an lokalem Fachwissen und Aktivitäten besteht.

Kommentar: Das Haar in der Suppe ist die Erwähnung der deutschen FGF, weil diese von der Mobilfunkindustrie gegründet wurde. Ergo werden Berufszweifler einwenden, die Industrie habe über die Hintertür weiter Einfluss auf das EMF-Projekt gehabt. Geradlinig gedacht, kann man das so sehen. Differenziert betrachtet war die FGF, die sich zum Jahresende 2009 selbst auflöste, jedoch weitaus transparenter als die meisten Anti-Mobilfunk-Vereine.

Auffällig ist: Alle, welche die FGF als Lobbyverein der Mobilfunkindustrie stigmatisierten, hatten keinerlei Probleme, mit dem Ex-Tabaklobbyisten Franz Adlkofer einträchtig zusammenzuarbeiten. Adlkofer stand zu Lebzeiten unter dem Verdacht, seine beiden alarmierenden Mobilfunkstudien im Auftrag der Tabakindustrie angefertigt zu haben, um von den Risiken des Rauchens abzulenken. Die Doppelmoral ging sogar so weit, dass Mobilfunkgegner die dunkle Vergangenheit Adlkofers aktiv verschleierten, um die öffentliche Schockwahrnehmung seiner Studien nicht zu schmälern. Derartige taktische Täuschungsmanöver lassen sich der FGF nicht nachsagen, auch wenn ein BUND-Landesverband wegen angeblicher "Verharmlosung und Verschleierung der Risiken" 2004 demonstrativ aus der FGF ausgetreten ist. Dazu muss man wissen, dass der BUND-Landesverband RLP seinerzeit unter starkem Einfluss von "Baubiologen" stand, die ihrerseits ein vitales kommerzielles Interesse daran haben, dass in der Bevölkerung irrationale Furcht vor dem "Risiko Mobilfunk" infolge sachlicher Aufklärung nicht einschläft. Der demonstrative Austritt aus der FGF kann daher gut und gerne nur dem taktischen Zweck gedient haben, die Glaubwürdigkeit der FGF zu untergraben. Für diese Entwertungstaktik organisierter Mobilfunkgegner gibt es konkrete Beispiele, z.B. dieses hier oder jenes.

Und Vorsicht: Die heutige Website der FGF hat mit der echten FGF nichts zu tun! Wer sich von der echten FGF selbst ein Bild machen möchte, muss sich im Internet Archiv schlau machen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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