Wie Mobilfunkgegner mit Erwin Schliephake Ängste schüren (II) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 08.09.2019, 18:04 (vor 1763 Tagen) @ H. Lamarr

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2016 – Dr. med. Wolf Bergmann
Dr. Bergmann ist ein altgedienter Homöopath und Mobilfunkgegner, der auffallend häufig Behauptungen in die Welt setzt, die sich leicht widerlegen lassen. Einmal verstieg er sich derart, dass er sich eine Abmahnung einhandelte. Peinlich: Die Kosten für seinen Fehltritt sollte 2007 die Szene der Mobilfunkgegner tragen. 2016 leistete er sich dann Folgendes (Quelle):

[...] Wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung von Hochfrequenzwellen, wie sie jetzt in der Mobilfunktechnologie angewandt werden, auf die menschliche Gesundheit gibt es seit über 8 Jahrzehnten. Bereits 1932 beschrieb Schliephake das „Mikrowellensyndrom" [...].

Der Mediziner Bergmann zerschellt diesmal an seiner technischen Inkompetenz. Schliephake konnte das "Mikrowellensyndrom" 1932 nicht beschreiben, folglich findet sich in seinem Text das Wort "Syndrom" auch nicht, weil es 1932 keine von Menschen erzeugten Mikrowellen gab (Wellenlängen von 30 Zentimeter bis 1 Millimeter), sondern bestenfalls Funkwellen von 3 Meter Wellenlänge. Bergmann scheint auf Peinlichkeiten abonniert zu sein.

2017 – Ulrich Weiner
Uli Weiner tingelt seit vielen Jahren als angeblicher "Elektrosensibler" durch die Boulevardmedien. Der selbsternannte Unternehmensberater, der seine Firma ab Mai 2000 im Laufe eines Insolvenzverfahrens abwickeln musste und 2009 einen – mit einer Lebensversicherung wegen seiner "Elektrosensibilität" schon fix und fertig ausgehandelten Vergleich infolge arglistiger Täuschung wieder verlor, ist das enfant terrible der Anti-Mobilfunk-Szene. Unbeirrt von allen Rückschlägen, so wurde er vor etwa 10 Jahren aus dem Verein "Bürgerwelle" ausgeschlossen, tourt Weiner durchs Land und erzählt fachlichen Laien Märchen über die Schrecklichkeiten elektromagnetischer Wellen. 2017 tischte er Zuhörern eine freche Lüge über Schliephakes Wirken auf, nur um sich gleich anschließend selbst zu widerlegen (Quelle, ab Minute 8:20):

[...] Man hat Menschen untersucht, die neben Sendeanlagen [gewohnt haben], in dem Fall war das der Großdeutsche Rundfunk, das waren Mittelwellenanlagen, Langwellenanlagen, Kurzwellenanlagen – diese Studie [Weiner deutet auf die hinter ihm auf eine Leinwand projizierte Schliephake-Arbeit] bezieht sich auf den Kurzwellenbereich. Man hat Untersuchungen gemacht mit den Arbeitern an diesen Sendern und mit den Anwohnern, in den jeweiligen Nachbarortschaften, in den umliegenden Gebäuden. Was ja auch realistisch wäre, wenn man solche Studien auch heute machen würde. Und man kam einfach zu folgendem Ergebnis [Weiner liest die oben zitierte Textpassage aus Schliephakes Arbeit vor]. [...]

Die Unverfrorenheit, mit der Weiner den Vortrag Schliephakes in eine wissenschaftliche Bevölkerungsstudie uminterpretiert, ist beängstigend, der Großdeutsche Rundfunk, der 1932 keineswegs großdeutsch war, ist nur ein geschichtliches Defizit des Dauerlächlers. Weiner lügt, dass sich die Balken biegen. Zugleich hält er sein Publikum für dumm. Jedenfalls für dumm genug, niemand im Publikum würde bemerken, dass seine einleitenden Behauptungen und der wenige Sekunden später rezitierte Text aus dem Schliephake-Artikel in keiner Weise zusammen passen. Vielleicht hat er es selbst nicht bemerkt. Aus meiner Sicht vergeudet Weiner sein Talent. Er sollte besser versuchen, an Publikumsbrennpunkten Hausfrauen Wundermittel zum Reinigen verkohlter Bratpfannen zu verkaufen. Diese Tätigkeit wäre für ihn risikoloser, sie würde mutmaßlich nicht auf YouTube als Video auftauchen.

2018 – Prof. Karl Hecht
Wie schon 2009, drückte sich Karl Hecht auch 2018 darum herum, Klartext über das zu verbreiten, was Schliephake wirklich mitteilte. Stattdessen eierte der Professor abermals um den Kern der Wahrheit herum (Quelle):

[...] Wie erwähnt, beobachtete der deutsche Arzt Dr. Erwin Schliephake schon 1932, dass Menschen, die in der Nähe von Funkwellenanlagen arbeiten, beträchtliche Schlafstörungen auswiesen, die sich an Tagen mit schweren Erschöpfungszuständen und Kopfschmerzen reflektierten. [...]

Es ist schon fast komisch, wie Hecht die wahren Aussagen Schliephakes mit umständlichen Umschreibungen umkurvt. Eines Professors würdig ist daraus entstandene Desinformation nicht. Schliephake selbst behauptet übrigens nicht, erkranktes Wartungspersonal von Kurzwellensendern "beobachtet" zu haben. Er formuliert unscharf, so dass offen bleibt, woher die Information stammt.

2018 – Prof. Werner Thiede
Prof. Werner Thiede ist Theologe und Pfarrer im Ruhestand, er sollte die Gratwanderung zwischen Wissen und Glauben meisterhaft beherrschen. Doch auch Thiede, der für sein Leben gerne schreibt, wagt sich als Mobilfunkgegner tief in die Regionen fachlicher Inkompetenz vor. Das hat Folgen, die er nicht bemerkt, andere hingegen schon:

[...] Hatte nicht schon Professor Erwin Schliephake 1932 in der Deutschen medizinischen Wochenschrift ein Forschungsergebnis veröffentlicht, wonach Personen, die sich längere Zeit in der Nähe elektrisch schlecht abgeschirmter Sender aufhielten, Symptome einer typischen vegetativen Störung zeigten – darunter „Schlafstörungen in der Nacht“? [...]

Thiede ist sich seiner fachlichen Inkompetenz in der Mobilfunkdebatte offenbar durchaus bewusst. Er hat deshalb zu Sachfragen keine eigene Meinung, sondern importiert Meinungen, die ihm zusagen, formuliert diese ein bisschen um und gibt sie als die seine aus. Wo Thiede in Sachen Schliephake Nektar saugte ist nicht schwer zu erraten, es können nur seine Gesinnungsfreunde Gerd Oberfeld und Markus Kern gewesen sein, denn die auffälligen Fehler in deren Schliephake-Verwurstungen, die finden sich auch bei Thiede wieder. War da nicht etwas? Ja: Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten!

Fazit: Traue keinem Mobilfunkgegner, auch nicht den akademisch geschulten, blind über den Weg, sondern prüfe jede ihrer Behauptungen nach – und deiner ist das Himmelreich der Sorglosigkeit über angebliche Schadwirkungen des Mobilfunks.

Hintergrund
Kurzwellentherapie von Dr. Josef Kowarschik, Springer-Verlag (1936)

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Desinformation, Weiner, Bergmann, Inkompetenz, Lüge, Hecht, Schliephake, Zitatverfälschung, Thiede


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