Faktencheck: Können Smartphones Grauen Star verursachen? (I) (Allgemein)
Ein Augenarzt in Ulm ist der Ansicht, die intensive Langzeitnutzung von Mobiltelefonen könnte Grauen Star (Linsentrübung) zur Folge haben. Er begründet seine Ansicht mit einer Idee, die er bei der retrospektiven Auswertung der Daten von 16 Patienten mit Grauem Star bestätigt sieht. Der Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk verbreitet die Darstellung des Arztes, als wäre diese eine zweifelsfrei erwiesene Tatsache. Doch was ist wirklich dran an der Story?
Im Teil I des Faktenchecks geht es zuerst einmal darum, den Sachverhalt kurz darzustellen.
Quellen
Der Augenarzt Dr. med. Hans-Walter Roth hat den Praxisbericht mit den Ergebnissen seiner privaten Forschung im April 2023 in der Zeitschrift "Der Augenspiegel" unter dem Titel "Unilaterale Katarakt nach exzessiver Handynutzung" veröffentlicht. Eigenen Angaben zufolge erscheint die Zeitschrift im 68. Jahrgang und ihre Berichterstattung zu Themen aus dem gesamten Spektrum der Augenheilkunde hat vornehmlich das Ziel, den Leser praxisnah über die gegenwärtigen Entwicklungen, Diskussionen und Herausforderungen in der Augenheilkunde zu informieren.
Diagnose-Funk verbreitet den Artikel von Roth einschließlich einer ergänzenden Interpretation der Ergebnisse auf dieser Webseite.
Roths Praxisbericht ist auch für Laien leicht verständlich.
Hans-Walter Roths Idee
Die Idee, die den Augenarzt zu seiner Veröffentlichung inspirierte, ist schnell erzählt. Roth geht davon aus, dass beim Telefonieren mit einem Mobiltelefon ein Auge stets deutlich stärker befeldet wird als das andere, je nachdem, ob die Person Rechts- oder Linkshänder ist. Roth beruft sich auf eine physikalischen Formel, die besage, die Intensität einer Strahlung nehme mit dem Quadrat der Entfernung zur Strahlenquelle ab. Draus folge, dass das von der Strahlenquelle abgewandte Auge nur von einem Viertel der Strahlenmenge im Vergleich zum anderen Auges getroffen werde. Roth schließt daraus, Grauer Star müsse bei dem der Strahlenquelle zugewandten Auge mindestens viermal früher (schneller) nachweisbar sein. Der Unterschied im Schadensausmaß dürfte sogar noch höher ausfallen, würde zusätzlich der Intensitätsverlust der Strahlung beim Durchdringen des Schädelknochens oder des Hirngewebes mit einkalkuliert. Kurz gefasst lautet die Idee des Augenarztes: Sollten Mobiltelefone zu Grauem Star führen, dann müsste bei Linkshändern das linke Auge stärker betroffen sein als das rechte, bei Rechtshändern müsste es genau umgekehrt sein. Ein Vergleich der Sehschärfe beider Augen erlaube es, diesen Schaden exakt zu definieren.
Von der Idee zur Tat
Ausgehend von dieser Idee suchte Roth in einer ihm zugänglichen Patientendatenbank nach Patienten, die vor einer OP wegen Grauem Star standen, bei denen die Linsentrübung der beiden Augen unterschiedlich stark ausfiel (genauer ist dies im Original beschrieben) und die zehn Jahre zuvor noch keine nennenswerten Anzeichen von Grauem Star oder einer anderen Augenerkrankung zeigten. Dies traf gemäß Roth auf 16 Patienten zu.
Diese Patienten wurden befragt, wie viele Stunden durchschnittlich sie täglich ihr Mobiltelefon nutzten und über wie viele Jahre hinweg sie dies taten. Gefragt wurde auch, ob sie das Telefon mehrheitlich an das rechte oder linke Ohr hielten. Alle gaben an, über acht bis zwölf Jahre hinweg ihr Mobiltelefon täglich mindestens vier bis maximal sechs Stunden genutzt zu haben. Die starke Nutzung der Mobiltelefone erklärt Roth damit, die Mehrheit der Patienten stamme aus beratenden Berufsgruppen (Makler, Anlageberater, Anwälte) die beruflich häufig telefonieren müssten.
Ergebnisse
Die Auswertung der so erhobenen Daten ergab: Grauer Star ist bei allen 16 Patienten auf dem Auge, das dem Mobiltelefon näher war, eindeutig stärker ausgeprägt als auf dem anderen Auge. Roth sieht darin seinen Anfangsverdacht bestätigt, die Einwirkung von Funkfeldern, erstrangig die von Mobiltelefonen, begünstige die Bildung von Grauem Star. Dabei spielten Intensität und Einwirkdauer der Strahlung eine Schüsselrolle für die Linsentrübung. Da die Intensität von der Wellenlänge abhänge, stellten aus Sicht des Arztes vor allem die kurzwelligeren Strahlen das höhere Risiko dar.
Wird fortgesetzt ...
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
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H. Lamarr,
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