Haftung: Vermieter von Mobilfunkstandorten können aufatmen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 16.09.2022, 12:19 (vor 560 Tagen) @ H. Lamarr

Da Krahn-Zembol in dem Verfahren der Rechtsvertreter der unterlegenen Gemeinde war, bringt er es mit seiner Warnung auf der Website des Vereins Diagnose-Funk fertig, eine Niederlage in eine Art Sieg für Mobilfunkkritiker zu verwandeln. Ob die Interpretation des Rechtsanwalts auch einer juristischen Belastungsprobe standhält, ist noch offen. Möglicherweise führt diese Anfrage im Online-Dialog der Initiative "Deutschland spricht über 5G" zu einer belastbaren Auskunft.

Das Dialogbüro hat das Urteil des Landgerichts Münster einer juristischen Bewertung unterziehen lassen, die in keiner Weise die von Diagnose-Funk verbreitete alarmierende Bewertung des Rechtsanwalts Krahn-Zembol stützt. Kein Vermieter eines Mobilfunkstandorts muss wegen seiner Haftung als Zustandsstörer die erfolgreiche Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen befürchten. Dies und mehr ist der folgenden Nachricht des Dialogbüros zu entnehmen:

Wird ein Grundstück für den Betrieb einer Mobilfunkanlage vermietet, so enthält der Mietvertrag üblicherweise entsprechende Regelungen, die sicherstellen, dass der Betreiber stets zum gesetzeskonformen Betrieb der Anlage verpflichtet ist. Dementsprechend ist der Betreiber der Mobilfunkanlage dazu verpflichtet, ihren Funktionsablauf entsprechend anzupassen, sollten die gesetzlichen Vorgaben für ihren Betrieb geändert werden.

Stellen Gemeinde eigene Flächen für die Errichtung einer Mobilfunkanlage zur Verfügung, können sie als Zustandsstörerin gegenüber Dritten für etwaige Gesundheitsgefährdungen in Anspruch genommen werden.

Als „Zustandsstörer“ haftet derjenige, der zwar nicht gehandelt hat, aber durch dessen Willen die Beeinträchtigung aufrechterhalten wird.

Eine Gemeinde sah sich aufgrund dieses Haftungsrisikos in einem vom Landgericht Münster am 17.06.2022 entschiedenen Fall (nachzulesen unter: https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/muenster/lg_muenster/j2022/8_O_178_21_Urteil_20220617.html) berechtigt, vor Ablauf der Vertragslaufzeit den von ihr abgeschlossenen Mietvertrag über eine auf dem Gemeindegrundstück befindlichen Mobilfunkanlage kündigen zu können. Sie berief sich insbesondere darauf, dass sie in unzumutbarer Weise für gesundheitliche Spätfolgen einstehen müsse und hierbei nicht hinreichend durch den Netzbetreiber über mögliche Gesundheitsgefährdungen aufgeklärt wurde, auch wenn die Emissionen der Mobilfunkanlage nicht die Grenzwerte der 26. BImSchV überschreiten.

Das Landgericht Münster urteilte hingegen, dass für eine Gemeinde das angeführte „unkalkulierbare eigene Haftungsrisiko“ und damit ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nicht besteht. Zum einen müsse der Gemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft ihr eigenes Haftungsrisiko bekannt sein; etwaige Unkenntnis ist unerheblich und begründet keine Aufklärungspflicht des Netzbetreibers. Zum anderen stützt sich das Gericht in seiner Begründung auf die vertraglichen Zusicherungen des Netzbetreibers zum gesetzeskonformen Betrieb der Anlage sowie auf die vom Netzbetreiber gegenüber der Gemeinde übernommene Haftung für etwaige (Gesundheits-) Schäden. Des Weiteren lagen Bau- und Standortgenehmigungen vor.

Auch verneinte das Gericht ein außerordentliches Kündigungsrecht der Gemeinde wegen Verletzung (vor-) vertraglicher Informations- und Aufklärungspflichten des Netzbetreibers zu möglichen Gesundheitsgefährdungen. So sind Gemeinden als öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht besonders schutzbedürftig und müssen sich daher über eventuelle eigene Risiken informieren, insbesondere da die Diskussionen zu möglichen Gesundheitsgefährdungen öffentlich verfügbar sind.

Insgesamt sah das Gericht die Gemeinde nicht in unzumutbarer Weise belastet, das Mietverhältnis fortzusetzen und verwies auf die Rechtsprechung des BGH. Danach ist bei einer Strahlenexposition unterhalb der Grenzwerte, die in der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) festgelegt sind, nicht von einer Gesundheitsgefährdung auszugehen. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu etwaigen Gesundheitsschäden bei Verwendung von 5G – bei Einhaltung der Grenzwerte – liegen nicht vor.

Die (polizeirechtlich oder nachbarrechtlich, vornehmlich aus § 1004 BGB hergeleitete) Haftung des Zustandsstörers begründet keine Schadensersatzansprüche, sondern nur Beseitigungsansprüche. Sollte sich im Laufe der Zeit herausstellen, dass die Grenzwerte nicht eingehalten [wurden] oder sollten neue wissenschaftliche Erkenntnisse dazu führen, dass die von Mobilfunkmasten ausgehende Strahlung mit Blick auf ihre gesundheitlichen Wirkungen neu bewertet werden muss, würde die Gemeinde ihren Pflichten genügen und einer Haftung aus dem Wege gehen, wenn sie alles Zumutbare unternimmt, um die Störung zu beseitigen (z. B. Kündigung des Mietvertrags und danach Abbau des Funkmastes).

Insbesondere die Haftung auf Schadenersatz (z. B. auf Ersatz für erlittene Gesundheitsschäden oder auf Übernahme von Behandlungskosten geschädigter Nachbarinnen und Nachbarn) sind aus der Haftung als Zustandsstörer nicht zu befürchten.

Für eine Haftung auf Schadenersatz wäre vielmehr erforderlich, dass deliktsrechtliche Ansprüche (primär gemäß § 823 BGB) entstehen. Das setzt jedoch ein Verschulden, mindestens also fahrlässiges Verhalten, voraus. Allerdings wird man dieses nicht unterstellen können, wenn man sich als Gemeinde bei seinem (Vermietungs-)Verhalten auf den Stand der Wissenschaft verlässt und Dritten auf gemeindlichem Grund gestattet, Mobilfunkmasten aufzustellen, von denen Strahlung nur innerhalb der behördlich erlaubten Grenzwerte ausgehen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Haftung, Klarstellung, Krahn-Zembol, Aktenzeichen, Landgericht, RA, Standortvermietung, Faktencheck, Schadenersatzansprüche, Münster, Haftungsrisiko, Zustandsstörer


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