5G-Infoabend in Herrischried: Geschenkkörbe für die Referenten (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 27.08.2022, 16:44 (vor 626 Tagen)

Am 4. Juli 2022 war die Eishalle in Herrischried, Baden-Württemberg, Schauplatz einer großen Mobilfunk-Informationsveranstaltung. Eingeladen hatten drei Gemeinden aus dem Hotzenwald, fünf Referenten trugen ihre Sicht zu Sachfragen der Mobilfunkdebatte vor. Das IZgMF ging diesmal jedoch nicht den Inhalten der Vorträge nach, sondern der Frage: Kam das Großaufgebot den Veranstaltern teuer zu stehen und wie viel Honorar bekamen die Vortragenden? Das Ergebnis der Recherche überrascht.

Hauptveranstalter war die Gemeinde Herrischried, Mitveranstalter waren die Nachbargemeinden Görwihl und Rickenbach. Herrischried ist seit rd. zehn Jahren im Süden Baden-Württembergs ein Hotspot des Widerstands gegen Mobilfunk, treibende Kraft dort ist Reinhard Lang. Der ehemalige Herrischrieder Pfarrgemeindereferent ist dort seit 2005 sesshaft und Mobilfunkgegner aus Leidenschaft. Er und seine Frau Gerlinde sind der festen Überzeugung, die Funkwellen von Mobilfunksendemasten bereiteten ihnen körperliche Beschwerden. Die evidenzbasierte Wissenschaft bestätigt derartige unerwünschte Auswirkungen schwacher elektromagnetischer Felder hingegen nicht und verweist auf den Nocebo-Effekt, die böse Schwester des heilsamen Placebo-Effekts.

Bestreben um Ausgewogenheit erkennbar

Einem Bericht des Südkuriers zufolge waren sechs Referenten eingeladen, drei Mobilfunkkritiker (Dr. med. Wolf Bergmann, Jörn Gutbier, Dr. med. Cornelia Waldmann-Selsam), ein Baurechtler des Landratsamts (Sebastian Döbele), ein Vertreter des Bundesamtes für Strahlenschutz, BfS (Alexander Leymann) und ein Vertreter des Mobilfunkbetreibers Telefonica. Präsent zugegen waren in der Eishalle die drei Mobilfunkkritiker und der Baurechtler, der Vertreter des BfS war online zugeschaltet. Der Telefonica-Mann aber sagte ab, er will später gesondert Rede und Antwort stehen. Durch die Absage geriet das Bemühen der Veranstalter um Ausgewogenheit leicht in Schieflage zugunsten der Kritiker. Ob allerdings selbst ein Kräfteverhältnis von 3:3 tatsächlich ausgewogen gewesen wäre, darüber könnte man streiten.

Warnen vor Funk aus purer Menschenliebe?

In rd. 20 Jahren Beobachtung der Mobilfunkdebatte habe ich gefühlt viele hundert Medienberichte über Informationsveranstaltungen gelesen. Naheliegenderweise standen ausnahmslos die Vorträge der Referenten im Mittelpunkt, über Kosten und Referentenhonorare wurde kein Wort verloren. Als ob dies kein interessantes Thema wäre. Besonders was die wenigen Referenten der Mobilfunkkritiker angeht, die häufig im gesamten Bundesgebiet auftreten, bevorzugt in den südlichen Bundesländern. Da über Geldflüsse in den Medien nicht berichtet wird und auch der Verein Diagnose-Funk in seiner Referentenliste auf der Website Diagnose-Media keinerlei Angaben zu Honoraren macht, entsteht der Eindruck, Referenten der Mobilfunkkritiker seien ausgemachte Menschenfreunde, die überall unentgeltlich auftreten und wenn überhaupt, nur ihre Spesen in Rechnung stellen. Die Veranstaltung vom 4. Juli in der Eishalle gab mir den Impuls, den Bürgermeister von Herrischried zu befragen, ob dieser Eindruck zutrifft oder täuscht. Referenten aus der Industrie und von Behörden treten so gut wie immer unentgeltlich auf.

Bürgermeister Dröse gibt Auskunft

Christian Dröse (Jg. 1979, IT-Berater) setzte sich im August 2020 mit gut 51 Prozent der gültigen Stimmen im zweiten Wahlgang bei der Wahl des Bürgermeisters von Herrischried durch. Mich überraschte er mit der Auskunft, die große Informationsveranstaltung vom 4. Juli habe den drei Gemeinden nahezu nichts gekostet. Denn keiner der Referenten hätte ein Honorar verlangt, die Eishalle sei ohnehin in Gemeindehand und deshalb mietfrei gewesen, lediglich für die Tontechnik seien Kosten von rd. 260 Euro angefallen. Hinzu kämen noch je 15 Euro für Geschenkkörbe, die am Ende den anwesenden Referenten als kleines Dankeschön überreicht wurden. Die unerheblichen Gesamtkosten von rd. 300 Euro betrachte ich als vorbildlich gewirtschaftet, wer glaubte, die sparsamen Schwaben hätten sich ihre Veranstaltung erheblich mehr kosten lassen, ist im Irrtum. Doch was wäre gewesen, hätten einer oder mehrere Referenten Honorarforderungen gestellt? "Dann", so Dröse, "wären wir auf die Forderungen nicht eingegangen." Dies bestätigt Hauptamtsleiter Volker Schneider. Er macht deutlich, Herrischried entlohne die Referenten von gemeindlichen Informationsveranstaltungen grundsätzlich nicht.

Der Bürgermeister räumt ein, der Abend in der Eishalle sei ohnehin eine Ausnahme gewesen. Die Gemeinde wolle für Informationsveranstaltungen dieser Art eher keine Plattform bieten. Und Schneider fügt hinzu, eine Wiederholung sei nach mehrheitlicher Sicht im Gemeinderat definitiv nicht geplant. Allerdings: Da erst zwei Jahre im Amt und wegen der Versammlungsverbote infolge Corona hat der Bürgermeister bisher nur wenige Gelegenheiten gehabt, Erfahrung mit anderen Veranstaltungen dieser Art zu sammeln.

Auch Fahrtkosten wurden nicht erstattet. Diese wurden anfangs von den Mobilfunkkritikern gefordert, die aus Freiburg (Bergmann), Herrenberg (Gutbier) und Kassel (Waldmann-Selsam) anreisten. Da jedoch die anderen Referenten keine derartigen Forderungen stellten, lehnte die Verwaltung von Herrischried jegliche Fahrtkostenerstattung ab.

Nach welchen Kriterien die Gemeinde die Auswahl der Referenten vorgenommen habe, wollte ich wissen. Die Auswahl der drei mobilfunkkritischen Referenten überließ Herrischried dem Gemeindebürger Reinhard Lang, der sich auch in dem mobilfunkkritisch orientierten Verein "Lebenswerter Hochrhein" engagiert. Die anderen drei Referenten wählte die Gemeinde in Absprache mit dem Innenministerium Baden-Württemberg, dem Landratsamt und der Initiative "Deutschland spricht über 5G" aus.

Fazit

Die Recherche in Herrischried zeigte das unerwartete Ergebnis, auch die Referenten der Mobilfunkkritiker traten am 4. Juli 2022 dort auf, ohne Honorarforderungen zu stellen. Dies deutet tatsächlich darauf hin, Mobilfunkkritiker sind Altruisten, die keine Kosten und Mühen scheuen, die Menschheit vor dem schleichenden Untergang durch Befeldung mit elektromagnetischen Wellen zu warnen. Ein allgemeingültiger Beweis für die Selbstlosigkeit mobilfunkkritischer Referenten ist die einzelne Stichprobe in Herrischried indes nicht. Denn materieller und immaterieller Profit hat viele Gesichter. Er könnte sich z.B. in diskreter Werbung für kostenpflichtige Produkte von Referenten materialisieren (medizinische Dienstleistungen, Bücher der Referenten, Fördermitgliedschaften bei mobilfunkkritischen Vereinen ...). Unwahrscheinlich aber nicht völlig auszuschließen ist auch eine Kostenübernahme durch "Sponsoren". Beispielsweise steht die Tabakindustrie im Verdacht, Mobilfunkkritiker verdeckt zu fördern, um mit irrationalen Ängsten gegenüber Funkwellen die Bevölkerung von den Risiken des Rauchens abzulenken. Beweise für diesen Verdacht gibt es jedoch nicht.

[Admin: Text "die sparsamen Schwaben" mit Link hinterlegt am 28.08.2022 22.31 Uhr]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Nocebo, Bergmann, Referenten, BfS, Waldmann-Selsam, Gutbier, Kommerz, Herrischried, Hotzenwald, Honorar, Landratsamt, Fördermitgliedschaft, materieller/immaterieller Profit, Leymann, Ausgewogenheit


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