"Risiko 5G": Antwort der Bundesregierung auf AfD-Anfrage (I) (Allgemein)
Im Schweizer Parlament häufen sich seit März 2019 mehr oder weniger qualifizierte Anfragen an die Regierung wegen befürchteter Gesundheitsrisiken infolge des 5G-Netzausbaus. Jetzt hat die 5G-Hysterie auch auf den Deutschen Bundestag übergegriffen. Wenig überraschend war es die AfD-Fraktion, die das für Populisten wie geschaffene Thema Elektrosmog mit Fragen zu gesundheitlichen Risiken von 5G verknüpfte und Antworten von der Bundesregierung erhielt. Steigbügelhalter der AfD ist die hier im Forum nur zu gut bekannte sogenannte Kompetenzinitiative.
In den vergangenen Monaten wurde den etablierten organisierten Mobilfunkgegnern Deutschlands das Heft aus der Hand genommen. Mit einer in Anti-Mobilfunkkreisen bislang nicht gekannter Intensität stürzten sich neue Akteure auf Risiken, die der 5G-Netzausbau angeblich mit sich bringt. Die Spannweite des seltsamen Bündnisses reicht von vorgeblich privaten Einzelkämpfern und selbsternannten Experten aus Kreisen der Esoterik sowie der Verschwörungsseher über eine christliche Sekte bis hin zu staatsfeindlichen Gruppierungen am linken und rechten Rand des politischen Spektrums. Gemeinsamer Nenner des Zweckbündnisses: Die Bevölkerung soll gegen 5G mobilisiert werden. Kein einziger Bündnisteilnehmer ist freilich imstande, dieses Vorhaben mit ernst zu nehmenden Sachargumenten zu untermauern, ersatzweise müssen deshalb groteske Argumente, Verdächtigungen und Behauptungen herhalten. Dass die Kampagne gegen 5G bei dieser trostlosen Kompetenzausstattung überhaupt Chancen hat zu verfangen liegt an der teils professionellen Darreichungsform der Desinformation und daran, dass die Bevölkerung noch weniger über 5G weiß als die Desinformanten. Die Methoden der Kampagne erinnern stark an die Tea-Party-Bewegung in den USA, deren Ziel die Ablösung des damaligen Präsidenten Obama war. Bei 5G ist es anders, der neue Funkstandard soll künftig in jeder Industrienation zur Schlagader wirtschaftlichen Erfolgs werden. Hinter der inszenierten Anti-5G-Bewegung steckt daher mutmaßlich ein verdeckter Wirtschaftskrieg, der westliche Industrienationen ins Hintertreffen bringen will.
Dass die AfD das populistisch aufgeladene Thema 5G aufgreifen wird, dafür gab es seit Herbst 2018 Anzeichen. So tauchte im Wahlprogramm der AfD anlässlich der Bayerischen Landtagswahl die Forderung fachlich unqualifizierter Mobilfunkgegner auf, Risiken des neuen Mobilfunkstandards 5G vor seinem flächendeckenden Ausbau wissenschaftlich neutral untersuchen zu lassen. In dieselbe Kerbe haute im April 2019 ein AfD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag:
Konkret wurde es jedoch erst vor wenigen Wochen, als die AfD-Fraktion im Bundestag sich anschickte, eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu formulieren, die am 10. Mai 2019 als Drucksache 19/10074 zu Papier gebracht wurde. Zu diesem Zeitpunkt musste die Fraktion noch googeln, um sich überhaupt erst einmal über behauptete Gesundheitsrisiken von 5G zu informieren. Die Kompetenzdefizite der AfD-Politiker hatten fatale Folgen, denn sie griffen ausgerechnet bei der sogenannten Kompetenzinitiative zu, dem 2007 gegründeten Anti-Mobilfunk-Verein des 2002 emeritierten Literaturprofessors Karl Richter. Dieser Verein hatte im März 2019 eine Broschüre herausgebracht, in der sich der 2008 emeritierte US-Biochemiker Martin L. Pall über angebliche 5G-Risiken austoben durfte. Die Vorbemerkungen zu Palls Ausführungen schrieb ein deutscher Ex-Tabaklobbyist, lektoriert wurde die Broschüre von zwei fachlichen Laien. Pall selbst ist kein in der Bioelektromagnetik versierter Wissenschaftler, der auf anerkannten wissenschaftlichen Fachveranstaltungen wie der Bio-EM auftritt, sondern er wird in der Anti-Mobilfunk-Szene international als Referent für Laienpublikum herum gereicht. Sämtliche im EMF-Portal gelisteten Publikationen Palls (gegenwärtig acht) datieren lange nach seiner Emeritierung.
Der AfD muss schon bald nach ihrer Kleinen Anfrage das Licht aufgegangen sein, dass sie mit der "Kompetenzinitiative" und deren Pall-Broschüre keinen Staat machen konnte. Denn nach Informationen des IZgMF beauftragte die Bundestagsfraktion der AfD noch im Mai ihre Scouts, nach geeigneten Beratern Ausschau zu halten, die der Fraktion helfen könnten, sich über 5G eine wirklich kompetente Meinung zu bilden. Das Ergebnis der Suche ist gegenwärtig noch nicht bekannt. Am künftigen Auftreten der AfD in Sachfragen zu 5G wird sich jedoch ziemlich leicht erkennen lassen, ob die Partei auch bei 5G auf Populismus baut und auf andere unqualifizierte Experten der Anti-Mobilfunkszene setzt, oder ob sie es ehrlich meint, sich deshalb qualifizierte Berater angelt und folglich den Ball im 5G-Strafraum flach spielt.
Doch nun zurück zur Kleinen Anfrage der AfD, die offiziell am 29. Mai 2019 von der Bundesregierung beantwortet wurde, tatsächlich aber wohl aufs Konto des BfS geht. Fragen und Antworten werden folgend im Wortlaut wiedergegeben, zur besseren Unterscheidung sind die Fragen rot formatiert (Zitatformat). Anzumerken ist, die Antworten der Bundesregierung wurden von mir einer unlektorierten Vorabfassung entnommen (Drucksache 19/10524):
Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Axel Gehrke, Dr. Robby Schlund, Paul Viktor Podolay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/10074
Aktueller Erkenntnisstand über mögliche Wirkungen elektromagnetischer Felder sowie über vermutete gesundheitliche Risiken des 5G-Netzausbaus
Vorbemerkung der Fragesteller
In einer Schriftenreihe der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e. V. (Heft 12) mit dem Titel: „5G als ernste globale Herausforderung“ (1. Auflage, März 2019) wird auf stichhaltige Beweise für acht verschiedene große Gesundheitsgefahren, die von elektromagnetischen Feldern (EMF) ausgehen, und ihre Wirkmechanismen hingewiesen. Diese Gefahrenliste ist nicht abschließend. Für jede dieser acht Wirkungen liegen zwischen zwölf und 35 Übersichtsarbeiten vor. Zu den Wirkungen gehören laut der Publikation:
1. Angriffe auf das Nervensystem sowie auf das Gehirn,
2. Angriffe auf das Hormonsystem,
3. Erzeugung von oxidativem Stress,
4. Angriffe auf die DNA,
5. Erhöhung der Apoptoserate,
6. Verringerung der Fruchtbarkeit von Männern und Frauen,
7. Überschussproduktion von intrazellulärem Calcium und
8. der Angriff auf Körperzellen, um Krebs auszulösen.
Anknüpfungspunkt der wissenschaftlichen Betrachtung waren die spannungsabhängigen Calciumkanäle. Laut der Studie lassen die derzeit gültigen Sicherheitsstandards Belastungen zu, die in etwa 7,2 Millionen Mal zu hoch sind (S. 6 der o. g. Publikation).
In der Publikation wird darauf hingewiesen, dass diese Studie als „Warnschrift“ rechtzeitig vor der Einführung von 5G auch an die zuständigen Behörden der Europäischen Union geschickt wurde. Eine Stellungnahme, die auf die erwiesene Empfindlichkeit des beschriebenen Wirkmechanismus und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen eingeht, sei wohl bis jetzt ausgeblieben (S. 4). Die Broschüre ist kostenpflichtig bestellbar oder kostenlos als PDF-Datei herunterladbar (http://kompetenzinitiative.net/KIT/KIT/broschuerenreihe/).
1. Wurde der Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragesteller genannte Publikation der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e. V. bzw. wurden ihr deren Quelldokumente vor Beginn der Versteigerung der 5G-Lizenzen zugeleitet, und falls ja, mit welchem Datum, und durch welche zuleitende Institution?
Nein
2. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Studie vorgetragenen Erkenntnisse bezüglich der acht genannten Gesundheitsgefahren?
Bei der genannten Publikation handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Studie. Der angegebene Autor vertritt seit mehreren Jahren die These, dass sowohl niederfrequente Felder der Stromversorgung als auch hochfrequente Felder des Mobilfunks über spannungsabhängige Kalziumkanäle in Zellen schädliche gesundheitliche Wirkungen auslösen. Als Nachweise zitiert der Autor meist seine eigenen bisherigen Schriften und Überlegungen zu diesem Thema sowie eine kleine und einseitige Auswahl von ähnlichen Texten und z. T. älteren Veröffentlichungen, die seine These unterstützen sollen.
Aus Sicht der Bundesregierung entsprechen die Ausführungen nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, der sich aus der Gesamtheit der vorliegenden Studienergebnisse unter Berücksichtigung allgemeiner wissenschaftlicher Qualitätsstandards ergibt. Die beschriebenen gesundheitlichen Wirkungen sind weder für Expositionen durch nieder- noch durch hochfrequente Felder nachgewiesen. Über spannungsabhängige Kalziumkanäle vermittelte Wirkungen sind für Felder des Mobilfunks nicht zu erwarten, da sich bei Mobilfunkfrequenzen im Mega- und Gigahertz-Bereich die Richtung der Felder so schnell ändert, dass sich über der Zellmembran keine Spannung aufbaut.
Mehrere der adressierten postulierten Wirkungen wurden zum Beispiel im Rahmen des durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) konzipierten und koordinierten Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms untersucht, mit dem Ergebnis, dass sich frühere Hinweise auf Risiken nicht bestätigt haben. Zu bestimmten Fragestellungen, wie z. B. der Frage nach einem Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit, hat das BfS fachliche Stellungnahmen publiziert, siehe etwa unter www.bfs.de/DE/bfs/wissenschaft-forschung/stellungnahmen/emf/maennliche-fruchtbarkeit/dossier-maennliche-fruchtbarkeit.html.
Fortsetzung in Teil II
--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –