Microwave News tappt mit Schöllhorn in die Mausefalle (I) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 24.08.2025, 23:32 (vor 1 Tag, 1 Stunden, 18 Min.)

Microwave News von Louis Slesin gilt als der Rolls-Royce unter den Anti-Mobilfunk-Websites. Seitdem Slesin mit dem Stuttgarter Verein Diagnose-Funk kooperiert, hat Microwave News wegen tendenziöser Artikel allerdings an Strahlkraft eingebüßt. Und jetzt stellt der New Yorker auf seiner Website eine kolumbianisch-deutsche systematische Review vor, von der er besser die Finger gelassen hätte, wäre ihm wirklich klar gewesen, was er da auf seinem Monitor gesehen hat.

Die besagte Review stellt Slesin hier vor. Es geht, wie könnte es an dieser Stelle auch anders sein, um den Einfluss elektromagnetischer Wellen auf Lebewesen (Volltext). Und selbstredend ist die Review alarmierend. Ihre Befunde unterstreichen erhebliche Gesundheits- und Umweltrisiken, die mit zunehmender EMF-Exposition verbunden sein sollen, und verdeutlichen die dringende Notwendigkeit von Strategien zur Minderung dieser Risiken. Methodisch makellose systematische Reviews halten in der Evidenzpyramide den Spitzenplatz, sie sind formal das Nonplusultra einer wissenschaftlichen Studie. Früher in der Bioelektromagnetik eher selten, haben systematische Reviews auf diesem Fachgebiet in den letzten Jahren deutlich an Fahrt gewonnen, nachdem die WHO zehn systematische Reviews in Auftrag gegeben und auch bekommen hat, um ihre kommende Neubewertung des Risikos Mobilfunk auf eine feste Grundlage zu stellen.

Rücksprung ins Jahr 2017

Die kolumbianisch-deutsche Review kommt mit nur drei Autoren aus. Zwei davon sind Biomechaniker an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz (Saliba Danho und Wolfgang I. Schöllhorn), der dritte (Juan Felipe Escobar Huertas) ist Biomechaniker an der Universidad Nacional de Colombia in Bogota. Alle drei betonen in ihrem Autorenprofil, dass sie keine medizinische Fachkraft seien.

Den Anstoß für dieses Posting gab der Deutsche Wolfgang I. Schöllhorn. Denn er begegnete uns schon einmal. Am 28. Oktober 2017 trat er gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Diana Henz in der Sendung RTL Explosiv auf im Zusammenhang mit alarmierenden EEG-Messungen an einem Autofahrer, der Elektrosmog im Fahrzeug ausgesetzt war. Diagnose-Funk war seinerzeit von dem Auftritt hell begeistert. Im IZgMF-Forum war niemand begeistert. Dieses Posting dokumentiert zunächst, wie eine "elektrosensible" Münchenerin von der Sendung, die heute nicht mehr abrufbar ist, stark beeindruckt ist. Anschließend macht dort ein kritischer Kommentar deutlich, dass die Sendung lediglich eine Dauerwerbesendung für den "Gabriel-Chip" sei, ein Produkt der pseudowissenschaftlichen Esoterik, das angeblich schädliche Auswirkungen von Funkstrahlung vom Besitzer des Chips abwendet.

Noch im selben Jahr (2017) reichten Schöllhorn, Henz und ein dritter Autor eine wissenschaftliche Studie bei dem Journal Frontiers in Neuroscience ein. Das Paper berichtet von beträchtliche Auswirkungen der elektromagnetischen Felder eines Mobiltelefons auf das EEG von Probanden. Anders verhielt es sich, wenn auf den Mobiltelefonen ein Original-Gabriel-Chip klebte: Dann waren die Auswirkungen der Funkfelder auf das EEG signifikant schwächer. Die Studie des Trios blieb dem IZgMF nicht verborgen. Diesmal reagierten wir auf die Provokation nicht nur mit einem einzelnen Posting, wie bei der RTL-Story, sondern mit einem Teilstrang Kargo-Kult-Wissenschaft: Beispiel Gabriel-Chip, der gegenwärtig nicht weniger als 14 Postings mit teils bemerkenswerten Rechercheergebnissen umfasst.

Kurzum: Der frühere Auftritt von Schöllhorn war in keiner Weise geeignet, Vertrauen in die wissenschaftliche Integrität des Biomechanikers zu fassen, äußert er sich zu gesundheitlichen Folgen einer Mobilfunkexposition. Slesin aber weiß von alledem offenbar nichts, obwohl er die Kargo-Kult-Studie kennen könnte, weil diese bei dem griechischen Mobilfunkkritiker Dimitris J. Panagopoulos gar nicht gut ankam.

Für mich war der Name Schöllhorn ein elektrisierendes Triggerwort, für Slesin war der Name nur Schall und Rauch. So ist das eben, wenn einem infolge von tausenden Kilometern Distanz zum Ort eines Geschehens der Erlebnishintergrund fehlt, um einen Sachverhalt kundig bewerten zu können. Diagnose-Funk hat seinerzeit gerade noch mit fremder Hilfe die Kurve gekriegt. Ein paar Tage nach ihrer peinlichen Begeisterung über die RTL-Explosiv-Sendung kapierten sogar die Stuttgarter, dass sie einem Fake aufgesessen waren und reagierten zerknirscht.

Wird fortgesetzt ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Microwave News tappt mit Schöllhorn in die Mausefalle (II)

H. Lamarr @, München, Montag, 25.08.2025, 20:01 (vor 4 Stunden, 49 Minuten) @ H. Lamarr

In Teil I ging es erstrangig um die stark kommerziell orientierte Komponente von Schöllhorns erstem Auftritt 2017/2018 in der Elektrosmog-Debatte. Daraus folgen Verdachtsmomente, die jetzt vorgelegte systematische Review könnte ebenfalls nicht fleckenfrei sein. Für diesen Teil der Recherche habe ich mit ChatGPT zusammen gearbeitet.

In Cureus erschien 2025 die besagte systematische Review unter dem Titel „A Systematic Review of the Impact of Electromagnetic Waves on Living Beings“. Die Arbeit sammelte 24 Primärstudien ein und zieht weitreichende Schlussfolgerungen zu Gesundheits- und Umweltproblemen durch EMF. Bei genauerer Betrachtung ist die Review methodisch jedoch klar tendenziös: Suchstrategie und Einschlusskriterien sind ergebnisgerichtet, positive Befunde wurden laut Paper explizit ausgeschlossen und die Bewertung von Publikationsbias ist zirkulär. Insgesamt eignet sich die Review nicht als neutrale Evidenzbasis — eher als Hinweisensammlung.

Was ist auffällig?

[image]◄ Bild: Copilot von Microsoft


Suchstrategie ist ergebnisgeleitet: Viele verwendete Suchbegriffe sind ausdrücklich auf "negative effects / adverse / detrimental" ausgerichtet — das erzeugt Treffer, die bereits in Richtung negativer (schädlicher) Ergebnisse vorselektiert sind.

Expliziter Ausschluss positiver Studien: Die Autoren geben an, Studien mit "positiven Effekten" ausgeschlossen zu haben. Das macht die Review per Definition selektiv und verhindert eine unvoreingenommene Bilanzierung der Literatur. Im Abschnitt Methoden der Review steht tatsächlich, dass nur Studien berücksichtigt wurden, die einen "schädlichen" oder "negativen" Einfluss von elektromagnetischen Feldern auf Organismen untersuchten. Arbeiten, die keine Effekte oder gar positive Effekte berichteten, wurden also nicht eingeschlossen. Das ist eine methodische Schieflage und entspricht nicht dem Anspruch einer echten systematischen Review.

Zeit-/Sprachfilter & 5G-Ausschluss: Beschränkung auf 2017–2024, nur Englisch/Deutsch und ein pauschaler Ausschluss von 5G-assoziierten Frequenzen (ohne überzeugende Begründung) — das alles kann relevante Forschung unzulässig ausschließen.

Grade/RoB-Anwendung problematisch: Tools wie Robins-I, Syrcle, Quin und Grade werden genannt, ihre Anwendung ist aber nicht durchgängig transparent begründet; Publication bias wird als unproblematisch bewertet mit der Begründung, "wir haben nur negative Studien aufgenommen" — das ist zirkulär und methodisch unhaltbar.

Narrative Synthese + Overclaiming: Trotz vieler kleiner, heterogener Studien mit mittlerem bis hohem Bias werden starke Aussagen zu "significant health and environmental risks" getroffen — das ist überinterpretierend.

Transparenzlücken bei Funding/COI: In der Tabelle der Review finden sich viele "N/A"-Einträge (keine Angaben) bei Funding/COI; das erschwert eine saubere Beurteilung möglicher Interessenkonflikte.

Auffällig knapp besetzt: Ebenfalls stutzig macht die Besetzung der Autorenschaft: Gerade einmal drei Personen firmieren unter der "systematischen Review". Nach heutigen Standards ist das ungewöhnlich wenig. Systematische Reviews gelten als Teamarbeit. Weil Literaturrecherche, Screening, Datenextraktion und Bias-Bewertung unabhängig doppelt durchgeführt werden sollten, sind heutzutage fünf oder mehr Autoren üblich.

Was sagen die eingeschlossenen Primärstudien?

Die 24 eingeschlossenen Arbeiten stammen überwiegend aus akademischen/universitären oder staatlichen Kontexten; es gibt keine flächendeckende Industrie-Sponsoring-Struktur in der Auswahl. Doch das ist kein Qualitätsmerkmal. Vielmehr hat die gewählte Such- und Auswahlstrategie systematisch verhindert, dass industrienahe (und damit häufig positiv/neutral ausfallende) Studien überhaupt berücksichtigt werden.

Es gibt aber einige auffällige Fälle (z.B. Studien mit militärischem/vertraglichen-Funding) sowie mehrere Studien, bei denen die Review selbst keine Funding-Angaben notiert hat (N/A) — das reduziert die Aussagekraft und Transparenz.

Fazit

Die Primärstudien sind heterogen, oft klein und teilweise methodisch limitiert — zusammen bilden sie höchstens eine hypothesengenerierende Basis, sie zeigen keine belastbare Evidenz für weitreichende Gesundheitsschlüsse. Unterm Strich präsentiert sich die Review wie eine Kargo-Kult-Studie: Die äußere Form imitiert seriöse Wissenschaft, doch im Inneren ist sie hohl. Möglicherweise dient das Paper dem Zweck, Elektrosmog Laien gegenüber als gesundheitsgefährdend zu stigmatisieren, um damit den Absatz pseudowissenschaftlicher Schutzprodukte zu fördern. Belege für diesen Verdacht liegen derzeit jedoch nicht vor. Unter diesen Umständen ist es dennoch unverständlich, dass Microwave News die Review aus der Masse neuer Studien hervorhob – offenbar ohne die methodischen Schwächen zu erkennen. Damit tut sich das Portal keinen Gefallen, denn wer Kargo-Kult als seriöse Wissenschaft verkauft, beschädigt seine eigene Glaubwürdigkeit.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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