03 Peter Hensinger vs. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 31.03.2019, 23:09 (vor 2045 Tagen) @ H. Lamarr

Peter Hensinger ist derzeit als Teilnehmer der 5G-Tea-Party in Hochform. Der gelernte Drucker durfte in einem 6-Minuten-Radiobeitrag auf SWR2 den Gegenpart zu Nicole Meßmer geben (BfS-Pressestelle). Über das BfS sagte Hensinger sprachlich etwas unrund (Minute 3:13):

Es ist wie beim Diesel, wie beim Glyphosat andre Bundesämter eine Entwarnungsbehörde, wo die Industrielobby einen mächtigen Einfluss hat.

Soso, das BfS ist also eine Pfui-Teufel-Entwarnungsbehörde.

Doch Hensinger spricht mit gespaltener Zunge. Denn wenn es darum geht, Alarm zu schlagen, kommt Hensingers Verein Diagnose-Funk die angebliche "Entwarnungsbehörde" BfS als wichtiger Belastungszeuge gerade recht. So erschreckte Hensingers Vereinskollege Jörn Gutbier erst im Januar 2019 die Räte der Stadt Herrenberg mit zwei Krebsstudien des BfS:

Mobilfunkstrahlung kann Krebs auslösen. Das ist seit letztem Jahr gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Mobilfunkstrahlung lässt auch bei sehr geringer Dosis entartete Zellen schneller wachsen – sie ist Krebs promovierend – zweifach bestätigt durch Wiederholungsstudien des Bundesamtes für Strahlenschutz.

Hensinger, 2. Vorstand von Diagnose-Funk, entwertet das BfS als "Entwarnungsbehörde", Gutbier, 1. Vorstand von Diagnose-Funk benutzt das BfS hingegen als kompetente "Warnungsbehörde" für seinen Krebsalarm. Offensichtlich weiß in dem Verein die linke Hand nicht, was die rechte tut.

Geht's noch?

Doch damit nicht genug. Gutbier behauptete in Herrenberg, "Mobilfunkstrahlung kann Krebs auslösen. Das ist seit letztem Jahr gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis." Das ist in zweifacher Hinsicht Stuss (auch wenn Gutbier sich gleich im nächsten Satz berichtigend widerspricht). Denn a) stimmt es nicht, dass Funkfelder Krebs auslösen (verursachen) können und deshalb ist es b) nur ein Wunschtraum von Mobilfunkgegnern, die krebsverursachende Wirkung sei sogar eine "gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis". Für Gutbiers Fehler in Herrenberg muss Hensinger nicht haften.

Vor ein paar Tagen aber brachte Diagnose-Funk die Gutbier-Behauptung in leicht abgewandelter Form auf der Website des Vereins zum Vortrage, und dafür muss auch Hensinger gerade stehen:

Übrigens: das Bundesamt für Strahlenschutz selbst hat in zwei Wiederholungsstudien festgestellt, dass ein krebspromovierendes Potential der Mobilfunkstrahlung als gesichert (!) anzusehen ist.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass Gutbiers erster Fehler diskret behoben wurde. Funk kann Krebs jetzt nicht mehr "auslösen", sondern ist nur noch "krebspromovierend", das bedeutet, das Wachstum eines vorhandenen Tumors wird unter Funkeinwirkung begünstigt. Warum das so ist weiß gegenwärtig auch die Wissenschaft noch nicht. Immerhin hat der Verein damit einen bösen Schnitzer seines 1. Vorstands nicht wiederholt. Dass die Erkenntnis der tumorpromovierenden Wirkung "als gesichert (!) anzusehen ist" ist, kann sich der auf Dramatik versessene Verein jedoch nicht verkneifen.

Um zu verstehen, was an dem "gesichert" so bemerkenswert ist, muss man wissen, dass das IZgMF dem Verein Diagnose-Funk 2017 eine Falschmeldung nachgewiesen hat. Damals schob der Verein die Behauptung, "dass die krebspro­­movierende Wirkung unterhalb der Grenzwerte als gesichert angesehen werden muss" noch dem BfS unter. Fälschlich, wie sich herausstellte. Nicht das BfS sah dies so und schon gar nicht die Wissenschaft, sondern allein die Autorin Klose der ersten Wiederholungsstudie sprach davon, ihre Erkenntnis sei als "gesichert anzusehen". Diagnose-Funk versuchte also, die Einschätzung einer einzigen externen Person (Jacobs University, Bremen) als Einschätzung des BfS auszugeben.

Mit Vergnügen sehe ich jetzt, dass Diagnose-Funk und namentlich Jörn Gutbier der Kritik des IZgMF Folge leisten und dem BfS die Einschätzung der Studienautorin nicht mehr fälschlich in die Schuhe schieben. Mit Kopfschütteln sehe ich hingegen, dass sie stattdessen versuchen, die Einschätzung der Studienautorin als gesicherten Stand des Wissens auszugeben. Ich erkenne darin unseriöses Dramatisieren, denn seit der Folgestudie zur Wiederholungsstudie hat sich bis auf eine Studie zur Dosimetrieverfeinerung nichts weiter getan, was es rechtfertigen könnte, die Erkenntnisse als "gesichert" anzusehen.

So fehlt denn auch das Zauberwort "gesichert" dort, wo das BfS selbst sich zu den angeblich gesicherten Erkenntnissen über die tumorpro­­movierende Wirkung von Funkfeldern äußert, also zu den vom BfS beauftragten zwei Studien (und der am Anfang stehenden Pilotstudie von Tillmann et al.). Zum Bedauern von Diagnose-Funk resümiert das Amt undramatisch:

Die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen kann durch keine der drei Studien beantwortet werden. Bei kleinen Tieren wie Mäusen werden die inneren Organe stärker von den Feldern erreicht als beim Menschen.

Bereits die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Tiermodelle ist schwierig, denn bei Ratten (Hirntumore) und anderen Mausmodellen (Lymphome) wurde ein krebsfördernder Einfluss hochfrequenter elektromagnetischer Felder nicht gefunden.

Zur Ableitung von Grenzwerten können die Ergebnisse nicht herangezogen werden. Sie stützen aber die Empfehlungen des BfS zur Minimierung der Exposition gegenüber hochfrequenten EMF.

Interessanterweise räumt das BfS auf der verlinkten Seite auch mit der Behauptung von "zwei Wiederholungsstudien" auf. Gutbier und sein Verein wollen mit dieser Formulierung den Eindruck erwecken, die ursprüngliche Pilotstudie (Tillmann et al., 2010) sei 2-mal bestätigt worden und der Befund deshalb "bombensicher". Doch das ist eine Täuschung. Die Pilotstudie wurde nur 1-mal wiederholt (Klose et al., 2015). Die angebliche zweite Wiederholung (Lerchl et al., 2018) war keine Replikation, sondern eine Studie zur Abklärung grundlegender Wirkmechanismen.

Wenn man sich nun rückblickend ansieht, welcher Aufwand nötig ist, um eine nur wenige Zeilen umfassende teils kaum erkennbare Desinformation des Vereins Diagnose-Funk zu veranschaulichen und nachvollziehbar zu widerlegen, wird deutlich, warum Fake-News im Netz so selten widersprochen wird. Autoritäten und Entscheider reagieren so gut wie nie auf Falschmeldungen aus der Anti-Mobilfunk-Szene. Für sie sind Vereine wie Diagnose-Funk meiner Erfahrung nach wie nörgelnde Kinder, die selbst dann gewohnheitsmäßig um etwas betteln, wenn die Chance erhört zu werden Null ist.

Hintergrund
Schon lange versucht die Anti-Mobilfunk-Szene, die Glaubwürdigkeit des BfS zu untergraben, um die Stimme des Amtes in der Streitfrage zu entwerten, ob Mobilfunk biologisch gefährlich ist. Ein gescheiterter Entwertungsversuch aus dem Jahr 2011 ist <hier> dokumentiert. Dort geht es um die Kompetenz des Amts. Üblicherweise wird den Strahlenschützern von Mobilfunkgegnern die heimliche Vertretung von Interessen der Mobilfunkindustrie unterstellt mit der Begründung, der Staat habe anno 2000 rund 50 Mrd. Euro für die UMTS-Lizenzen eingenommen und sei so in einer Bringschuld gegenüber der Industrie. Beweise oder auch nur ernst zu nehmende Hinweise für ihre Unterstellungen konnten organisierte Mobilfunkgegner allerdings zu keiner Zeit beibringen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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