EMF-Reduktionsfaktor: Die Schweiz sitzt auf einem Pulverfass (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 16.11.2020, 10:24 (vor 1396 Tagen) @ e=mc2

Zum Handwerkszeug seriöser Journalisten gehört es, nicht nur eine Stimme zu Gehör zu bringen, sondern im Interesse der Ausgewogenheit auch der Gegenstimme Raum zu geben, damit sich Leser/Zuschauer ein eigenes Urteil bilden können. So weit so gut.

[...] Aber in einem Nachrichtenmagazin würden auch ein paar Fakten nicht schaden. Warum nicht explizit zitieren was die Schweizer Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung zu diesem Thema gesagt hat?
Die Arbeitsgruppe stellt fest, dass bei den heute verwendeten Mobilfunkfrequenzen unterhalb der Immissionsgrenzwerte der NISV bisher Gesundheitsauswirkungen nicht konsistent nachgewiesen wurden,...

Das SRF berichtet in seiner Sendung über die für 5G günstige Meinungsumfrage einer Pro-5G-Lobbyorganisation und präsentiert als Gegenmeinung notgedrungen die kindlich wirkende Uhrmacherin. Aus SRF-Sicht wurde der Job damit hinreichend pluralistisch erledigt, aus meiner und Ihrer Sicht nicht, denn eine Uhrmacherin kann zwar zu EMF-Risiken eine laienhafte Meinung haben und sogar die gängige "Volksmeinung" vertreten, wissenschaftlich qualifiziert begründen kann sie diese jedoch nicht. Ein treffendes Vorbild für so eine unqualifizierte Volksmeinung, die ganze Nationen spalten kann, erlebten wir in den 1970er Jahren in Deutschland anlässlich des irrationalen Gezerres um die staatlich verordnete Gurtpflicht für Autofahrer. Damals setzte sich der Staat gegen die Volksmeinung durch, manchmal müssen Menschen eben zu ihrem Glück gezwungen werden.

Hätte das SRF die von Ihnen zitierte Passage aus dem Bericht der Arbeitsgruppe mit eingewoben, wäre aus meiner Sicht auch nicht viel gewonnen gewesen, denn in voller Länge sagt die Arbeitsgruppe:

[...]Die Arbeitsgruppe stellt fest, dass bei den heute verwendeten Mobilfunkfrequenzen unterhalb der Immissionsgrenzwerte der NISV bisher Gesundheitsauswirkungen nicht konsistent nachgewiesen wurden, während gleichzeitig aus Wissenschaft und Praxis unterschiedlich gut abgestützte Beobachtungen für Effekte unterhalb der Immissionsgrenzwerte vorliegen. [...]

Das ist eine typische Ja-Aber-Feststellung, welche Zweifel an der Unbedenklichkeit der Immissionsgrenzwerte nicht ausräumt.

Doch wenn ich mich nicht irre, sind auch in der Schweiz die Würfel zugunsten von 5G längst gefallen, ohne dass die Bevölkerung und die Medien diesbezügliche Signale des Staates wahrgenommen haben. Das endlose Theater um die Anlagegrenzwerte lenkt auch Schweizer Mobilfunkgegner erfolgreich ab, denn tatsächlich spielt die Musik woanders, nämlich bei dem angekündigten Reduktionsfaktor für die Sendeleistung, wenn diese in adaptive Antennen eingespeist wird. Guckt man sich an, was der Bundesrat und die Behörden dazu schon seit 2019 haben verlauten lassen, steht klipp und klar fest, dieser Reduktionsfaktor, dessen Wert die damit befassten Ämter derzeit intern ausdiskutieren, wird demnächst mit der Vollzugshilfe für die Kantone die Bewilligung von 5G-Baugesuchen wieder in Gang setzen – und in den Kreisen der Gegner für einen Aufschrei der Empörung sorgen. Dabei muss man nur lesen, was bereits amtlich dokumentiert ist, um zu dieser Einschätzung zu kommen. Ich bastle momentan an einem Beitrag mit Belegen dazu, die Angelegenheit lässt sich aber nicht ganz so einfach in Worte packen. Dies bedeutet: Sobald die Schweizer Regierung die Katze aus dem Sack lässt, werden sich die Populisten der Anti-Mobilfunk-Szene auf den Bühnen versammeln und laut die irreführende Vereinfachung propagieren, der Bundesrat habe sein Wort gebrochen und die Anlagegrenzwerte über die Hintertür gelockert. Faktisch ist das zwar gelogen, wer zu bequem ist, sich mit dem Sachverhalt vertraut zu machen, und das sind mMn viele, wird auf die Hetzer jedoch hereinfallen. Wollen wir wetten? Die Schweiz sitzt auf einem Pulverfass, die Lunte brennt und ist nur noch kurz! Doch die Schweiz wird den Knall schadlos überstehen, so wie die Deutschen inzwischen seit Jahrzehnten ohne Murren den Sicherheitsgurt anlegen, bevor sie den Zündschlüssel ihres Autos drehen ...

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum