SVP-Nationalrat sieht Streuströme als Problem der Rinderzucht (Allgemein)
Am 12. September 2024 reichte SVP-Nationalrat Jacques Nicolet in der großen Kammer des Schweizerischen Parlaments die Motion 24.3873 ein (Streustrom: Tierhaltung von der Plage befreien und Spezialistinnen und Spezialisten in diesem Bereich ausbilden). Ziel: Der Bundesrat wird beauftragt, die Ausbildung von Spezialistinnen und Spezialisten (in verschiedenen Bereichen) zu fördern, die Streustrom erkennen sollen und Landwirtinnen und Landwirte über Massnahmen zum Schutz ihrer Tiere beraten können.
Begründung
Die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) hat kürzlich eine Studie über die Problematik von Streustrom in der Schweiz durchgeführt und dabei beunruhigende Tatsachen bezüglich der Auswirkungen auf die Gesundheit der Nutztiere beleuchtet. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Streustrom insbesondere in Milchviehbetrieben häufig vorkommt. Laut der Studie hatten oder haben 37 Prozent der 1428 befragten Landwirtinnen und Landwirte Probleme mit Streustrom.
Die Ursachen sind vielfältig und können interner Natur sein, zum Beispiel Störungen bei elektrischen Anlagen (schlechte Erdung, beschädigte Verkabelung usw.), oder externer Natur, zum Beispiel Solarmodule, Mobilfunkantennen, Windenergieanlagen oder Eisenbahnlinien. Diese Problematik kann verheerende Folgen für den Tierbestand haben, die von einer verminderten Leistung bis zum Tod der Tiere reichen. Auch die finanziellen Verluste der betroffenen Betriebe sind beträchtlich und können ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit gefährden. In der Studie haben nämlich 13 Prozent der von Streustrom betroffenen Landwirtinnen und Landwirte angegeben, dass sie finanzielle Verluste zwischen 100'000 Franken und 1'000'000 Franken erlitten haben, und 33 Prozent haben über Verluste zwischen 20'000 Franken und 85'000 Franken berichtet. Milchkühe reagieren unter anderem aufgrund ihrer Haltungsbedingungen besonders empfindlich auf Streustrom, wodurch ein bereits angeschlagener Sektor weiter geschwächt wird. Der beträchtliche Mangel an Expertinnen und Experten, die sich mit dieser Problematik auskennen und Lösungen finden oder Landwirtinnen und Landwirte beraten können, führt dazu, dass man lange warten muss, bis das Problem gelöst ist, was sich direkt auf die wirtschaftlichen Einbussen und auf die Moral der Tierhalterinnen und Tierhalter auswirkt.
Die Problematik von Streustrom muss anerkannt werden, die Normen der Niederspannungs-Installationsverordnung (NIV) müssen angepasst werden und es müssen kompetente Spezialistinnen und Spezialisten ausgebildet werden. Nur so können Nutztiere geschützt und Landwirtinnen und Landwirte in der Führung ihres Betriebs unterstützt werden. Diese Motion zielt darauf ab, die notwendigen rechtlichen Grundlagen zu schaffen, um diese Problematik einzudämmen.
Kommentar: 2016 waren Streuströme für die Schweizerischen Rinderzüchter anscheinend noch kein Problem gewesen. Seinerzeit stellte die im Dezember 2013 in Betrieb gegangene Online-Meldestelle Nunis (Nutztiere und NIS) der Universität Zürich ernüchtert fest, 1 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz hätten den angebotenen Fragebogen angesehen und ein Interesse an der Thematik bekundet, aber weniger als 1 Promille hätte den Fragebogen ausgefüllt, was unter den Erwartungen gewesen sei. Als eine der möglichen Ursachen für die schwache Resonanz nannte Projektleiter Prof. Hässig:
NIS und Kriechströme stellen in der Landwirtschaft kein wichtiges Problem dar: Die Problematik scheint in der Öffentlichkeit grösser zu sein, als sie wirklich ist, möglicherweise deshalb, weil sich in der Vergangenheit einige wenige betroffene Landwirte wirkungsvoll mediales Gehör verschaffen konnten.
Zusammenfassend begründete Hässig die Aufgabe der Meldestelle damit, dass, aufgrund des geringen Interesses der Tierhalter für Probleme mit Verdacht auf NIS oder vagabundierende Ströme, die Gesundheitsprobleme beim Nutztier von untergeordneter Bedeutung sind.
Warum acht Jahre später Streuströme für 37 Prozent von 1428 befragten Landwirtinnen und Landwirte plötzlich kein untergeordnetes Problem mehr sind, liegt möglicherweise an der unterschiedlichen Art und Weise der Datenerhebung. Denkbar wäre, die von Hafl befragten Landwirte wissen nicht, woher die Probleme bei ihren Rindern kommen, sondern sie vermuten lediglich, Streuströme könnten die Verursacher sein. Wenn dies zutrifft, hat Nationalrat Nicolet eine Meinungsbekundung unzulässigerweise in eine Tatsachenbehauptung verwandelt. Nicht vertrauenerweckend ist zudem der Umstand, dass das Hafl-Papier a) für mich heute nicht zu finden war und b) dieser Quelle zufolge keine wissenschaftliche Studie ist, sondern die Bachelorarbeit einer Studentin.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –