RTEMF-Sitzungsprotokoll zu EHS-Reviews und Vereinseingabe (Elektrosensibilität)
Auch ein deutscher Anti-Mobilfunkverein kann sich nicht für die beiden EHS-Reviews (Beobachtungsstudien & Experimentalstudien) der Arbeitsgruppe Röösli erwärmen. Ebenso wie Frank, Melnick und Moskowitz wollten sich auch die Deutschen nicht direkt mit der kritisierten Arbeitsgruppe duellieren. Trugen die Gesinnungsfreunde in den USA ihre Kritik immerhin noch öffentlich in einem wissenschaftlichen Journal vor, verfielen die Deutschen auf die schräge Idee, im Juni 2024 die Reviews der Arbeitsgruppe Röösli mit einem Brief gegenüber dem Runden Tisch EMF (RTEMF) des Bundesamts für Strahlenschutz madig zu machen. Kurz gesagt: Der Verein denunzierte die Arbeitsgruppe Röösli beim BfS.
Anlässlich der 31. Sitzung des RTEMF am 3. Juli 2024 in Erfurt beschäftigten sich Review-Co-Autor Stefan Dongus (Swiss TPH) als Gastteilnehmer und die ständigen Teilnehmer des RTEMF mit den beiden EHS-Reviews und mit der Eingabe des Anti-Mobilfunkvereins, welche von den Teilnehmern nicht als Denunziation, sondern freundlicherweise "wertschätzend" zur Kenntnis genommen wurde. Anschließend (kursiv) der zugehörige Auszug aus dem Protokoll der Sitzung:
Für die Elektromagnetische Hypersensibilität (EHS), auch Idiopathische Umweltintoleranz, die auf elektromagnetische Felder zurückzuführen ist (IEI-EMF), genannt, gibt es drei maßgebliche wissenschaftliche Erklärungsansätze: elektromagnetische Hypothese (kausaler Zusammenhang), kognitive Hypothese (Nocebo-Effekt), attributive Hypothese (EHS als Bewältigungsstrategie für vorhandene Beschwerden) [1].
In jeweils einem SR wurden experimentelle Humanstudien [2] (akute Reaktionen) und epidemiologische Studien [3] (Beobachtungsstudien zu Langzeitauswirkungen) betrachtet. Der SR zu experimentellen Humanstudien bezog nur Studien ein, in denen die Teilnehmer*innen kontrollierten HF-EMF-Expositionen ausgesetzt worden sind, den Expositionsstatus dabei aber nicht kannten (Verblindung). Der SR zu epidemiologischen Studien berücksichtigte HF-EMF-Expositionen mit einer Dauer von mindestens einer Woche, als Expositionsquellen wurden dabei sowohl Nahfeldquellen, wie das an den Kopf gehaltene Mobiltelefon, als auch Fernfeldquellen, wie beispielsweise Mobilfunkbasisstationen berücksichtigt. Die Endpunkte umfassten unspezifische Symptome wie Tinnitus, Migräne, Kopfschmerzen, Schlafqualität und allgemeine Befindlichkeit.
Beobachtungsstudien, die den Zusammenhang zwischen selbstberichteter Fernfeldexposition und Symptomen untersuchen, weisen in der Regel größere Effektschätzer auf, als Studien, die modellierte Fernfeldexposition heranziehen. Das deutet auf den Nocebo-Effekt hin.
Interessant ist, dass sich Sensitivität und Spezifität für eine Wahrnehmung von EMF deutlich zwischen der IEI-EMF-Stichprobe und der Stichprobe der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Konkret scheinen IEI-EMF-Personen eher dazu zu neigen, die Anwesenheit von Exposition zu melden, wenn tatsächlich eine Exposition vorlag, aber weniger wahrscheinlich das Fehlen von Exposition zu melden, wenn keine Exposition vorhanden ist. Daraus resultiert, dass das zusammengefasste Verhältnis von korrekten zu falschen Schätzungen für beide Stichproben ähnlich ist, was darauf hindeutet, dass die Genauigkeit der Felderkennung einem zufälligen Treffer entspricht.
Insgesamt deutet die Evidenz nicht darauf hin, dass HF-EMF-Exposition unterhalb der Grenzwerte Symptome verursacht. Insbesondere bei den Beobachtungsstudien ist die Evidenz durch inhärente Limitationen der Beobachtungsstudien allerdings sehr unsicher.
Diskussion: Für die Ergebnisse zur Selbstwahrnehmung wäre die wissenschaftlich gut untersuchte Nocebo-Hypothese eine einleuchtende Erklärung. Den RTEMF erreichte im Vorfeld der Sitzung die Eingabe einer zivilgesellschaftlichen Initiative (auf eigenen Wunsch anonym), die sich kritisch mit den SRs der WHO zu einem möglichen Zusammenhang zwischen HF-EMF-Expositionen und dem Auftreten von Symptomen unter Berücksichtigung von IEI-EMF-Bevölkerungsgruppen auseinandergesetzt hat. Dass sich die Initiative mit ehrenamtlichen Ressourcen in den fachwissenschaftlichen Diskurs einbringt, ohne einen zur Bewertung von Fachartikeln erforderlichen fachwissenschaftlichen Hintergrund zu haben, um damit auch eine Brücke zwischen Fachwissenschaft und Zivilgesellschaft zu bauen, wurde von den Mitgliedern des RTEMF wertschätzend zur Kenntnis genommen. Der RTEMF erkennt an, dass IEI-EMF ein Thema von öffentlicher Relevanz ist und beschließt deshalb, sich mit der Eingabe in dieser Sitzung zu beschäftigen. Der RTEMF hat sich in der Sitzung mit den Argumenten der Eingabe befasst, welche in verschiedener Weise den wissenschaftlichen Gehalt der SRs hinterfragen (siehe Anlage 1):
Die Widerlegung einer möglichen Existenz von IEI-EMF ist aus Sicht des RTEMF nicht möglich, weil Wissenschaft keinen Beweis dafür liefern kann, dass etwas nicht existiert. Vereinzelte mutmaßliche individuelle Ausprägungen und Einflussfaktoren lassen sich zudem schwer wissenschaftlich untersuchen. Der RTEMF ist sich einig, dass es zu EHS Forschungslücken gibt, wie sie auch in den SRs aufgezeigt werden. Gleichzeitig erkennt der RTEMF an, dass das Schließen dieser Forschungslücken methodologisch herausfordernd ist.
Der RTEMF beauftragt das KEMF, eine Einschätzung zu der Stellungnahme zu verfassen. Sie wird nach Fertigstellung diesem Protokoll angefügt (siehe Anlage 2).
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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