15 Hensinger vs. Gutbier: Mindestversorgungspegel (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 15.08.2021, 23:36 (vor 1214 Tagen) @ H. Lamarr

Wir sehen in dem Screenshot gelb markiert, wovon der Schwabe redet: 0,000 05 µW/m²

Das sei, sagt Hensinger, der Mindestversorgungspegel, mit dem es sich mit einem Mobiltelefon noch ganz ordentlich telefonieren lässt. Woher er den Wert hat, verrät uns der Stuttgarter nicht. Na gut, hoffen wir mal, dass er nicht selbst gerechnet, sondern sich medienkompetent informiert hat, z.B. bei Jugend forscht :-).

Szenenwechsel. Doch wir bleiben in Bad Feilnbach und bei Diagnose-Funk. Diesmal aber ist es Diagnose-Funker Jörn Gutbier, der am 19. Mai 2021 in Bad Feinbach persönlich antrat, also wenige Monate nach Hensingers Fernberatung, um den verstörten Bürgern dort seinen "reinen Wein" über das schreckliche Risiko Mobilfunk einzuschenken.

Und wie der Zufall es will, zaubert auch Gutbier den Bad Feilnbachern einen Mindestversorgungspegel aus dem Hut. Welchen, das kann man sich in diesem Posting von Forumteilnehmer "KlaKla" ansehen.

Wahrscheinlich werden es die wackeren Bad Feilnbacher nicht bemerkt haben, doch Gutbier verkauft ihnen mit 0,0005 µW/m² plötzlich einen 10-mal höheren Mindestversorgungspegel als sein Vereinskollege Hensinger. Wie kommt das? Hat einer von beiden die Anzahl der Nullen falsch abgeschrieben? Rasender technischer Fortschritt in der Halbleitertechnik (Empfängerempfindlichkeit der HF-Eingangsstufe) kann es nicht sein, denn dieser müsste Gutbiers Wert im Vergleich zu Hensingers Darstellung absenken und nicht, wie es der Fall ist, anheben. Was aber könnte sonst noch den Widerspruch in den Darstellungen der beiden Diagnose-Funker erklären?

Eine belastbare Lösung kann ich leider nicht anbieten. Im Gegensatz zu Hensinger nennt Gutbier aber immerhin die Quelle für seinen Wert. Doch diese ist nicht etwa eine deutsche Behörde, eine Universität oder ein seriöses Grundlagenwerk der Nachrichtentechnik, sondern das private "EMF-Institut" von Dr. Peter Nießen in Köln. Im Vergleich zu Gutbier und Hensinger darf Nießen aus meiner Sicht zwar durchaus als EMF-Experte gelten, in Fachkreisen hat der Kölner allerdings dem Vernehmen nach nicht den allerbesten Ruf, zumindest was sein frühes Wirken anbelangt. Da dies nur eine unbelegte Behauptung ist, hier eine konkrete Kritik an frühen W-Lan-Gutachten Nießens aus der Zeit 2001 bis 2004.

Nießen beschäftigte sich bereits früh mit der Frage, welchen Mindestversorgungspegel Mobiltelefone benötigen. Ein Beispiel, das auf verschlungenen Wegen zur Stadt Füssen gelangte, ist hier zu lesen. Fakt ist, Nießen hat damit etliche Mobilfunkgegner befruchtet, die seine Erkenntnisse meist 1:1 übernommen haben. Aber: Nießens Überlegungen stammen aus dem GSM/UMTS-Zeitalter (GSM900) und den von ihm bevorzugt genannten Mindestversorgungspegel hat er nicht bei der deutschen BNetzA abgegriffen, sondern bei dem Schweizer Bundesamt für Kommunikation (Bakom). Warum dort, das erklärt er in seinen Ausführungen nicht. So begegneten mir bei meiner Recherche im www die schon erwähnten Mobilfunkgegner, die allesamt mit dem Mindestversorgungspegel des südlichen Nachbarlandes argumentieren, einen hierzulande gültigen Wert konnte ich nirgends ausmachen. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass der Mindestversorgungspegel eines Landes auch von politischen und technischen Erwägungen abhängt, der Schweizer Wert also nicht wie ein physikalisches Gesetz weltweit Gültigkeit hat. Doch das ist wieder eine andere Geschichte, die ich vielleicht später einmal angereichert mit Fakten erzählen werde. Hier und jetzt geht es mir nur darum zu zeigen, wie das EMF-Institut seit mehr als zehn Jahren das Gerede von Mobilfunkgegnern über den Mindestversorgungspegel in Deutschland geprägt hat.

Der von Nießen für GSM900 verbreitete Bakom-Pegel beträgt weder 0,00005 µW/m² (Hensinger) noch 0,0005 µW/m² (Gutbier), sondern 0,0001 µW/m². Gutbier umschifft diese Abweichung um Faktor fünf, indem er in seiner Darbietung von einer "überarbeiteten Vorlage" Nießens redet. Was überarbeitet wurde, warum und von wem, darüber hält er sich bedeckt. Unklar ist auch, warum die von Nießen (siehe verlinktes PDF) und Gutbier genannten "Minimierungsfaktoren" teils merklich voneinander abweichen.

Fazit: Der von Mobilfunkgegnern propagierte Mindestversorgungspegel für Mobilfunk beruht mehrheitlich auf frühen Überlegungen von Peter Nießen, der sich wiederum auf eine alte Wertangabe des Schweizer Bakom stützt. Heute findet sich beim Bakom-Webauftritt für das Suchwort "Mindestversorgungspegel" kein einziger Treffer mehr, bei der BNetzA gibt es zwar zwei, jedoch wenig substanzielle Treffer. Nicht viel besser sind die Ergebnisse für das Suchwort "Mindestversorgungsfeldstärke". Da die Funkausbreitungseigenschaften stark frequenzabhängig sind, halte ich die Nennung eines einzigen Werts (noch dazu ohne Frequenzangabe) ohnehin für äußerst fragwürdig, mir erscheint ein Graph des Mindestversorgungspegels abhängig von der Trägerfrequenz mit der Modulation als Parameter die sinnvollere Angabe. Auffällig: Bei meiner Internetrecherche wurden die ohnehin wenig ergiebigen Trefferlisten je nach gesuchten Wortkombinationen teils stark von unqualifizierten Kolportage-Websites der Anti-Mobilfunk-Szene "verseucht".

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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