Rööslis EHS-Review: Die Echokammer schlägt zurück (Elektrosensibilität)
Die WHO vergab eine systematische Review zum Themenkomplex "Elektrosensibilität" an Martin Röösli. Der Schweizer Wissenschaftler machte sich mit einer achtköpfige Arbeitsgruppe an die Arbeit und lieferte im November 2023 die Endfassung. Seit Dezember 2023 ist diese auf der Website des Journals Environment International für jeden zugänglich (Volltext). Aus Sicht der Autoren ist ihre Review derzeit der beste verfügbare Beweis für die Sicherheit von HF-EMF. Grenzenlose Erleichterung will sich dennoch nicht einstellen.
Die Mobilfunkkritiker John W. Frank, Ronald L. Melnick und Joel M. Moskowitz sind von der EHS-Review der Arbeitsgruppe Röösli nicht begeistert. Im Webportal der Zeitschrift Reviews on Environmental Health veröffentlichten sie am 15. Juli 2024 unter dem Titel "A critical appraisal of the WHO 2024 systematic review of the effects of RF-EMF exposure on tinnitus, migraine/headache, and non-specific symptoms" einen ausführlichen Kommentar (Volltext). Darauf macht als Erster Microwave News mit einer Kurzmeldung aufmerksam. Den Autoren zufolge ist ihr Kommentar eine kritische Bewertung der wissenschaftlichen Qualität der besagten EHS-Review unter Anwendung der vom Oxford Centre for Evidence-Based Medicine entwickelten Kriterien.
Aufgrund ihrer Bewertungsergebnisse fordern die drei Mobilfunkkritiker nun die Retraktion der EHS-Review und eine Beurteilung der derzeit verfügbaren Evidenz und der zukünftigen Forschungsprioritäten durch unparteiische Experten.
Kommentar: Dass sich die drei Mobilfunkkritiker mit ihren Forderungen durchsetzen können, halte ich für unwahrscheinlich, denn die Kontroverse ist einer der wichtigsten Motoren für wissenschaftlichen Fortschritt. So wie staatliche Eingriffe in die Meinungsäußerungsfreiheit nur mit allergrößter Behutsamkeit und bei schwerwiegenden Verstößen anzuraten sind, ist in der Wissenschaft die Schwelle für eine Retraktion hoch. Alexander Lerchl kann ein Lied davon singen. Aus meiner Sicht werden die drei Autoren die Nichterfüllung ihrer Forderungen jedoch gelassen hinnehmen, da sie mit ihrem Kommentar bereits das erreichten, was sie primär angestrebt haben: Zweifel an der Qualität der EHS-Review und an der Integrität der Arbeitsgruppe Röösli wecken. Gegenseitiges Entwerten ist in der Mobilfunkdebatte nicht ungewöhnlich, sondern an der Tagesordnung. Entscheidend ist deshalb, wer die Entscheidungsträger hinter sich hat, die das Spiel kennen und kompetent beurteilen können, ob sie es mit einer Qualitätsstudie zu tun haben und ob Kritik daran gerechtfertigt ist oder nicht. Üblicherweise ziehen Mobilfunkkritiker dabei den Kürzeren. Dies erklärt, warum die Kritiker seit Jahrzehnten nicht recht vom Fleck kommen, obwohl ihre Häuptlinge in den Echokammern der Szene wie Superstars gefeiert werden.
Mutmaßlich arbeiten die drei Kritiker inzwischen bereits an der Entwertung von Rööslis zweiter EHS-Review, die er ebenfalls im Auftrag der WHO abgeliefert hat. Sie können ja schlecht die eine verreißen und die andere kommentarlos hinnehmen.
Für meine Behauptung, dass für Kritiker primär die Entwertung von Studien und Autoren der "Gegenseite" im Vordergrund steht und nicht wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn, spricht die Augenklappe, die bei den meisten Profi-Entwertern ein Auge verdeckt. Damit meine ich: Selbst an qualitativ zweifelsfrei schlechten Studien aus dem Unterholz der eigenen Szene stoßen sie sich nicht. Fachlich überforderte Szenemitglieder dürfen solche schwarzen Schafe unbehelligt feiern, der Missmut der Profi-Entwerter ist allenfalls daran erkennbar, dass sie sich stillschweigend eines Werturteils enthalten.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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