Baugericht besteht auf Einhaltung der Anlagegrenzwerte (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 16.12.2017, 00:13 (vor 2461 Tagen)

Entscheidung des Baurekursgerichts des Kantons Zürich

BRGE I Nr. 0147/2017 vom 20. Oktober 2017
Mobilfunk-Basisstation. Strahlendämmende Massnahmen. Abnahmemessungen. Zeitpunkt.

Ist aufgrund der rechnerischen Prognose in den Standortdatenblättern von vornherein klar, dass die gesetzlichen Grenzwerte nur mit baulichen strahlendämmenden Massnahmen eingehalten werden können, sind diese vor der Inbetriebnahme zu realisieren und nicht erst nach durchgeführter Abnahmemessung. Es ist für die Betroffenen unzumutbar, während des Zeitraums zwischen Inbetriebnahme und Abnahmemessung möglichweise einer nicht grenzwertkonformen Strahlung ausgesetzt zu sein. Das Baurekursgericht hiess insoweit einen Nachbarrekurs gut.

Dieser Entscheid wurde mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich angefochten (VB.2017.00772).

Entscheidauszug aus BRGE I Nr. 0147/2017

Kommentar: Aus meiner Sicht ist dies ein klassisches Fehlurteil, weil die Richter den Unterschied zwischen Immissions- und Anlagegrenzwert nicht beachtet haben. Die Klägerin wohnt im Obergeschoss eines Hauses, auf dessen Flachdach ein Mobilfunksendemast errichtet werden soll. Aus den Planungsunterlagen geht hervor, dass bei zwei Omen (Orte mit empfindlicher Nutzung) in der Wohnung der Klägerin mit maximalen Immissionen von rd. 2,1 V/m zu rechnen ist, diese Werte aber nur zu erreichen sind, wenn auf dem Dach eine zusätzliche Sperrschicht für die Funkfelder eingezogen wird. Doch die Streitgegner agumentierten: Da die Anlagegrenzwerte rd. das Doppelte der berechneten Immission betragen, könnte dann auf die zusätzliche Sperrschicht verzichtet werden, wenn bei einer Abnahmemessung keine Überschreitung der Anlagegrenzwerte festgestellt werde. In der Vorinstanz wurde daher entschieden, dass der Bauherr innerhalb einer Woche ab Inbetriebnahme bezüglich den Omen durch ein unabhängiges Messbüro eine Abnahmemessung zu veranlassen hat. Werde der Anlagegrenzwert eingehalten, so würden sich weitere Massnahmen erübrigen. Andernfalls sei die Basisstation gleichentags abzuschalten und dürfe erst nach Realisierung der strahlendämmenden Massnahmen wieder eingeschaltet werden.

Das Baurekursgericht kassierte nun diesen Entscheid mit der Begründung, der Klägerin sei es nicht zuzumuten, bis zu einer Woche lang einer Immission ausgesetzt zu sein, die möglicherweise über den Anlagegrenzwerten liegt. Hier haben die Richter nicht gewertet, dass die Anlagegrenzwerte Vorsorgewerte sind, deren Überschreitung zu keinem bekannten Gesundheitsrisiko führt. Schon gar nicht bei Kurzzeiteinwirkung über maximal nur 1 Woche. Erst wenn die zehnmal höheren Immissionsgrenzwerte überschritten werden, ist Gefahr im Verzug, denn diese Immissionsgrenzwerte sind Gefährdungsgrenzwerte die nicht überschritten werden dürfen. Eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte ist im konkreten Fall jedoch bei weitem nicht zu erwarten, eine kurzzeitige Überschreitung der Anlagegrenzwerte ist hingegen risikolos.

Hintergrund
Gibt es in der Schweiz die rechtlich geduldete Grenzwertüberschreitung?

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Anlagengrenzwert, Gefährdungsgrenzwert

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