2001 - Der Krebsalarm von Heidmühlen, der keiner war (Allgemein)
Anti-Mobilfunk-Vereine weiden sich geradezu daran, Schreckensnachrichten zu verbreiten. Je schrecklicher, desto besser, am besten handelt die Nachricht von auffälligen Krebshäufungen, deren Ursache amtlich unbekannt ist. Dieses Schema gilt in der Anti-Mobilfunk-Szene seit Beginn an bis heute. Der folgende Krebsalarm wurde am 21. Januar 2005 von dem Anti-Mobilfunk-Verein Bürgerwelle verbreitet, als Quelle wird das Hamburger Abendblatt vom 18. April 2001 genannt. Das richtige Datum der Quelle lautet 10. April 2001 und wer das Original mit der Kopie vergleicht wird schnell bemerken, dass das Original mit einigen Ergänzungen (folgend rot markiert) für die Bürgerwelle zurecht getrimmt wurde, damit die Meldung überhaupt mit Radar und Mobilfunk in Zusammenhang gebracht werden konnte. Wurde im Original das Dorf Heidmühlen noch richtig geschrieben, tauft die von der Bürgerwelle kolportierte Meldung das Dorf beliebig in Heimühlen um:
Radarturm: in 10 km Abstand fast kein Haus das krebsfrei ist
Bemerkung: Mobilfunk-Mikrowellen haben eine Pulscharakteristik und befinden sich im Frequenzbereich von Radarstrahlen.
Ein Dorf in Angst vor Krebs
In 80 % der Häuser von Heimühlen lauert der Tod. Die Bewohner fragen: warum?
Heimühlen - Das schleswig holsteinsche Gesundheitsministerium wird eine überaus auffällige Häufung von Krebsfällen in dem Dorf Heimühlen (Kreis Segeberg) prüfen. Die epidemiologische Task Force (Eingreiftruppe) des Ministeriums sollte die Daten auswerten, sagt Ministeriumssprecher Michael Morsch.
Heidmühlens Bürgermeister Geert Uwe Carstensen (CDU) schätzt, daß in vier Fünfteln aller 200 Häuser im Dorf Krebskranke wohnen oder bereits verstorben sind. Der idyllische Ort hat 675 Einwohner. Besonders schlimm ist laut Carstensen die Dorfstraße betroffen: Hier gibt es kein Haus, das krebsfrei ist“.
Der Bürgermeister hatte zu einer Einwohnerversammlung, bei der „das Thema jeder Kaffeetafel“ sachlich erörtert werden sollte, Fachleute hinzugebeten: Uta Kunze, Leiterin der Landesgkrebsregister in Bad Segeberg, und Alexander Katalinic sprach von einer möglichen „überzufälligen Häufigkeit“ Tatsächlich gibt es im ganzen Bundesgebiet unerklärliche regionale Zufallshäufungen von Krebsfällen.
Auf großflächige Erhebungen will Bürgermeister Carstensen nicht warten. „Das Krebsregister braucht noch zwei Jahre bis alle Daten erfasst sind“, sagt er. „Das dauert uns zu lange.“ Carstens fordert ein örtliches Kataster in dem ausschließlich alle Krebsfälle von Heidmühlen auf ihre Ursache geprüft werden.
Segebergs Landrat Georg Gorissen will dem Bürgermeister helfen.“ Ich werde Kontakt zu Fachinstituten aufnehmen“, sagt er. Die hohe Krebsrate in der Kommune rechtfertigt eine gezielte Analyse.“ In Heimühlen steht ein Radarturm der Deutschen Flugsicherung in Boosted, etwa zehn Kilometer entfernt im Verdacht, Ursache für die Krebshäufigkeit zu sein. Der Turm ist erst vor einem Jahr stillgelegt worden. Das Gesundheitsministerium winkt ab:“ Unwahrscheinlich. Der Radarturm sondert seine Strahlen kegelförmig in den Himmel ab“. Als weitere Gefahrenquelle vermuten Heimühlener giftige Industrieschlämme, die Bauern früher als Dünger ausgebracht haben sollen. „Ich wollte das Zeug nie haben“, sagt Markus Breiholz (87) Der Landwirt in Rente kann sich auch vorstellen, dass das Grundwasser ein Risikofaktor ist „Hier hat jeder seinen eigenen Brunnen in den Garten gebohrt, und in der Nähe floß die Gülle ab.
Die Frau von Manfred Schul (64) ist im vergangenen Oktober an Eierstockkrebs gestorben. „Die war im März noch so vergnügt und lustig“, flüsterte der Rentner aus der Dorfstraße und zählt Fälle in seinem Bekanntenkreis auf. „Krebs ist eine Katastrophe hier.
An einer seltenen Krebserkrankung leidet Hannelore Lambrecht ein paar Häuser weiter. Sie hat Schilddrüsenkrebs, Ärzte haben die Drüse entfernt „Die Angst bleibt“. Sagt sie.
Gudrun Carstensen hatte glück. Ihr Tumor war gutartig. Ihre Schwägerin starb an Brustkrebs. Übermorgen wird eine 42 Jahre alte Mutter beerdigt. Ihre Zwillinge werden heute vier Jahre alt.
Gudrun Carstensen sagt leise: „Jedes mal frage ich mich: „Wann bin ich dran?“
Soweit die beunruhigende Darstellung auf der Website der Bürgerwelle.
Und was wurde nun aus dem Krebsnest Heidmühlen?
Nichts, denn das angebliche Krebsnest gab es gar nicht! Bereits am 26. April 2001 berichtete der Landrat des betroffenen Landkreises, also Jahre vor der Kolportage der Originalmeldung durch die Bürgerwelle, dass die Krebsrate in Heidmühlen nicht höher als anderswo sei:
Unter großem öffentlichen Interesse wurde im April der Verdacht auf eine Häufung von Krebserkrankungen und Krebstodesfällen in der Gemeinde Heidmühlen im Kreis Segeberg verfolgt. Daraufhin wurden innerhalb von nur zwei Wochen ausführliche Untersuchungen der Situation vor Ort durch das Krebsregister Schleswig-Holstein, Gesundheitsamt, Wasserwirtschaftsamt, Umwelt- und Sozialministerium und von Landestoxikologen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im Rahmen einer Expertenrunde am 26.4.2001 in Bad Segeberg mit dem Bürgermeister der betroffenen Gemeinde vorgestellt und diskutiert. Gemeinsam kam man zu dem Schluss, dass "kein erhöhtes Krebsrisiko für Heidmühlen feststellbar" sei.
Näheres hierzu ist der Orginalpresseerklärung zu entnehmen.
Zusammenfassung
Das Hamburger Abendblatt berichtet am 10. April 2001 von einem alarmierenden gefühlten Krebscluster in einem norddeutschen Dorf. Noch im selben Monat wird die Meldung von Experten mit Fakten widerlegt, die Krebsrate in dem Dorf ist keineswegs spektakulär hoch, sondern liegt gut im Landesdurchschnitt. Nachdem die heiße Story serviert wurde vergingen nur 16 Tage bis zu deren völliger Erkaltung. Dennoch wurde die Geschichte, mit Ergänzungen zielgruppengerecht etwas dramatisiert, rd. vier Jahre später am 21. Januar 2005 der Bürgerwelle zugespielt, und von dieser veröffentlicht. Warum weder der Informant (Gerd Zesar) noch die Bürgerwelle den Wahrheitsgehalt der kolportierten Meldung prüften, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Da es einfach gewesen wäre, die Entwarnung der Experten zu finden, halte ich es für gut möglich, dass die Richtigstellung absichtlich übersehen wurde, um Ängste gegenüber Funkwellen schüren zu können.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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20.06.2013, 08:02
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- IARC bezieht Oberfeld-Studie in Krebsbewertung mit ein -
H. Lamarr,
20.06.2013, 09:36
- IARC bezieht Oberfeld-Studie in Krebsbewertung mit ein -
Alexander Lerchl,
20.06.2013, 10:02
- IARC bezieht Oberfeld-Studie in Krebsbewertung mit ein - H. Lamarr, 20.06.2013, 11:13
- IARC bezieht Oberfeld-Studie in Krebsbewertung mit ein -
Doris,
20.06.2013, 11:43
- IARC bezieht Oberfeld-Studie in Krebsbewertung mit ein - Doris, 20.06.2013, 13:34
- IARC bezieht Oberfeld-Studie in Krebsbewertung mit ein -
Alexander Lerchl,
20.06.2013, 10:02
- Retrahierte Studie im 2B-Monograph: IARC antwortet nicht -
Alexander Lerchl,
27.06.2013, 17:40
- Retrahierte Studie im 2B-Monograph: IARC antwortet doch! - Alexander Lerchl, 28.06.2013, 04:09
- IARC: Oberfeld-Studie gelöscht -
Alexander Lerchl,
05.07.2013, 21:19
- IARC: Oberfeld-Studie gelöscht -
H. Lamarr,
05.07.2013, 21:44
- IARC: Oberfeld-Studie gelöscht - Doris, 05.07.2013, 23:08
- IARC: Oberfeld-Studie gelöscht - H. Lamarr, 10.12.2016, 13:06
- IARC: Oberfeld-Studie gelöscht – Nachtrag - H. Lamarr, 18.03.2021, 00:06
- IARC: Oberfeld-Studie gelöscht -
H. Lamarr,
05.07.2013, 21:44
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17.07.2016, 19:12
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Alexander Lerchl,
19.07.2016, 20:26
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H. Lamarr,
18.07.2016, 22:59
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Alexander Lerchl,
17.07.2016, 19:12
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