Ex-Physiklehrer füsiliert Physik von Signalreflexionen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 10.06.2023, 22:36 (vor 343 Tagen)

André Masson, Physiklehrer im Ruhestand und anerkannter Wärmebildquerulant in der Schweiz, echauffiert sich auf der Gigaherz-Website, bei drei neu ausgeschriebenen Antennenprojekten in Langenthal verlange die Fachbehörde des Kantons Bern überraschenderweise keine Abnahmemessungen mehr an Omen (Orte mit empfindlicher Nutzung). Die zuständige kantonale Behörde kann, muss aber nicht, eine solche Abnahmemessung anordnen, wenn die berechnete Immission an einem Omen den Anlagengrenzwert (5 V/m) zu mehr als 80 Prozent ausschöpft.

Da leider auch Masson von der Gigaherz-Seuche befallen ist, sich leidlich wirr zu artikulieren, war für mich der Grund für die Erregung des Gigaherz-Gastautors nicht eindeutig auszumachen. Irgendwie stört sich Masson daran, Signalreflexionen würden bei der rechnerischen Ermittlung der maximalen Immission an einem Omen nicht berücksichtigt. Der Ex-Physiklehrer ist der Ansicht, mit rechnerischer Berücksichtigung der Immissionen würden Überschreitungen des Anlagegrenzwerts ersichtlich. Da dies aber nicht geschehe, seien Abnahmemessungen der einzige Weg, Überschreitungen des Anlagegrenzwerts infolge Reflexionen festzustellen.

Das klingt halbwegs vernünftig. Ist es aber aus meiner Sicht nicht.

Masson bringt zur Untermauerung seiner Thesen von den Tod und Verderben bringenden Reflexionen steinalte Diagramme, die er vor mehr als 20 Jahren selbst angefertigt haben will. Diese Diagramme zeigen Signalschwankungen in der Größenordnung von 30 dB (Faktor 30), die angeblich allein auf Reflexionen beruhen sollen. Soweit, so gut. Eine qualitative Beurteilung der Diagramme ist jedoch nicht möglich, da die Y-Achsen keine Angaben zur Feldstärke geben. Es kann sich also um belanglose Schwankungen im Bereich von mV/m handeln, oder um starke Schwankungen im Bereich von V/m. Die Diagramme sind daher nicht mehr als schmückendes aber weitgehend nutzloses Beiwerk, zumal Masson es versäumt hat, Auskunft über die Basisline der gemessenen BCCH-Signalisierung zu geben (BCCH-Messkurve ohne Fremdeinflüsse).

Was das Bafu über die Auswirkungen von Reflexionen zu berichten weiß, ist leicht verständlich in dem Urteil 1C_100/2021 des Bundesgerichts vom 14. Februar 2023 nachzulesen (Abschnitt 7.2.1 ff), auf das Masson zwar aufmerksam macht, das er aber anscheinend nicht gelesen hat. Hätte er man tun sollen.

Das Gezeter um Reflexionen ist mMn für einen Physiklehrer beschämend absurd. Denn die unberechenbaren Interferenzen infolge Reflexionen sind besonders in Innenräumen jedem bekannt, der schon einmal ein EMF-Messgerät in den Fingern hatte und vergeblich versucht hat, die wild zappelnden Messwerte auf einen konkreten Wert festzunageln. Das gelingt nicht, weil die chaotisch verteilten Minima und Maxima zeitlich und räumlich instabil sind. Wo eben noch ein Maximum war kann im nächsten Moment ein Minimum sein, weil z.B. draußen ein Fahrzeug vorbeifährt. Und wird das Messgerät zudem im Raum bewegt genügen wenige Zentimeter, um auch noch mit der räumlichen Abhängigkeit der Interferenzen konfrontiert zu werden. Sollte also tatsächlich wegen eines Maximums der Anlagegrenzwert überschritten werden, so ist dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein vorübergehender Vorgang, der gut und gerne nach z.B. ein paar Sekunden von einem Minimum abgelöst werden kann. Diesen schnöden Sachverhalt zu einem Gefährdungsszenario hoch zu spielen ist mMn eines Physikers unwürdig.

Entscheidend dabei ist: Es geht Masson nicht um eine Überschreitung der Immissionsgrenzwerte, sondern der vorsorglich in der Schweiz geltenden Anlagegrenzwerte. Wie hier in epischer Breite dargelegt, ist mit einer begrenzten Überschreitung der Anlagegrenzwerte jedoch keine Gefährdung von Personen verbunden, sondern im Falle einer Interferenzwirkung lediglich eine kurzzeitige Reduzierung der Dicke des Vorsorgepolsters, das sich die Schweiz gegönnt hat. Aus eben diesem Grund wird bei Abnahmemessungen auch nicht die Messunsicherheit in das Messergebnis mit eingerechnet, es gilt einfach der abgelesene Messwert. Diese Großzügigkeit gilt nicht, geht es um die Immissionsgrenzwerte, die in der Schweiz nicht tiefer sind als z.B. in Deutschland oder Frankreich. Dann wird die Messunsicherheit auf den Messwert aufgeschlagen, um eine Gefährdung von Personen verbindlich auszuschließen. Doch um die Immissionsgrenzwerte geht es in der Posse nicht, die Masson auf der Website von Gigaherz für Laien veranstaltet.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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