Die geheimen Gespräche der Pflanzen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 14.06.2022, 14:06 (vor 654 Tagen) @ H. Lamarr

Wenn ein Baum allein im Wald spricht, macht er dann ein Geräusch? Cordis, der Forschungs- und Entwicklungsinformationsdienst der Europäischen Gemeinschaft, hat die Pfanzenpathologin Ilaria Pertot zu den geheimen Gesprächen der Pflanzen befragt.

„Es ist wirklich so, dass Pflanzen miteinander kommunizieren können und dies häufig auch tun“, beginnt Pertot. „Und Pflanzen können mit allen anderen Pflanzen sprechen, sie sind nicht nur auf Gespräche mit ihrer eigenen Art beschränkt.“

Pflanzen kommunizieren nicht wie Insekten und andere Organismen mithilfe von Schwingungen. Stattdessen geben sie flüchtige organische Verbindungen, eine Art Duftstoff namens Kairomon, aus ihren Blüten, Blättern und Wurzeln ab. Jede Verbindung ist anders, aber sie senden Signale an Pflanzen und andere Organismen in der Nähe, um sie mit spezifischen Informationen zu versorgen oder sie vor einem möglichen Angriff zu warnen.

„Wenn sich ein Insekt von den Blättern einer Pflanze ernährt, setzt diese Pflanze bestimmte flüchtige organische Verbindungen frei, um andere Pflanzen in der Nähe zu warnen. Wenn ein Mensch beschließt, ein Stück einer Pflanze abzuschneiden, warnt die Pflanze wiederum alle Pflanzen in der Nähe vor der potenziellen Gefahr“, so Pertot weiter. „Eine Pflanze kann natürlich nicht einfach aufstehen und weglaufen, also liegt ihr Schwerpunkt auf der Verteidigung.“

Die Verteidigung kann in Form einer physischen Reaktion erfolgen, z. B. durch die Verstärkung der Zellwände, um eine stärkere, robustere Barriere zu schaffen, oder durch eine chemische Reaktion, bei der giftige Verbindungen entstehen, um Pflanzenfresser und Krankheitserreger abzuschrecken.

Pflanzen kommunizieren sogar mit anderen, nicht-pflanzlichen Arten, z. B. mit den sie umgebenden Mikroorganismen.

Pflanzen senden absichtlich Signale von ihren Wurzeln in den Boden, um bestimmte Mikroorganismen anzulocken, die für ihr Wachstum und ihre Entwicklung nützlich sind – im Grunde eine Einladung an die „gute“ Mikrobiota, in die Pflanze einzuziehen, so wie ein Mensch in eine neue Wohnung einziehen würde.

Die Pflanze profitiert in vielerlei Hinsicht, wenn die richtigen „Mietparteien“ einziehen. Sie tragen zum Pflanzenschutz bei, können bei der Regulierung der Zell- und Hormonproduktion helfen und das Wurzelwachstum fördern, damit die Pflanze eine größere Fläche des Bodens erkunden kann.

Die geheime Sprache der Pflanzen lernen

Pertot und ihr Team hoffen, den pflanzlichen Kommunikationsprozess praktisch nutzbar zu machen, um die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen zu erhöhen – ein Schlüsselelement des EU-finanzierten Projekts RhizoTalk, an dem sie mitgearbeitet hat.

„Wir sind dabei, die molekularen Werkzeuge zum Verständnis der pflanzlichen Kommunikation zu konzipieren, indem wir die Genexpressionen der Pflanzen überwachen“, erklärt sie. „Es geht im Grunde genommen um das Entschlüsseln einer Sprache. Die Gene der Pflanze sind eine Art Stein von Rosette, der uns den Weg weist.“

Sobald Pertot und ihr Team den molekularen Weg für die Produktion von flüchtigen organischen Verbindungen kennen, hoffen sie, die Geheimsprache der Pflanzen zu entschlüsseln.

Sobald sie diese Sprache fließend beherrschen, könnten die Forschenden den Kommunikationsprozess der Pflanzen steuern, um sie beispielsweise besser vor Parasiten zu schützen. Schon eine geringfügige Veränderung der Pflanzen-DNA würde dazu führen, dass ein Parasit die Pflanze nicht mehr als lebensfähigen Wirt erkennt. Somit würden Pestizide überflüssig.

„Die Prozesse, die hinter der pflanzlichen Kommunikation stehen, könnten nicht nur die Widerstandsfähigkeit erhöhen, sondern auch natürliche Alternativen für viele chemisch synthetisierte Moleküle bieten, die zur Herstellung von Farben, Reinigungsmitteln und Pestiziden verwendet werden. Das wird in den kommenden 10 Jahren unser großes Ziel sein“, so Pertot abschließend.

Nun wissen Sie es also. Ihr nächster Waldspaziergang mag in Ihren Ohren ruhig klingen, aber Sie wissen jetzt, dass er alles andere als ruhig ist – vielleicht sprechen die Bäume sogar über Sie.

Quelle: Cordis - Forschungsergebnisse der EU

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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