Mobilfunk & Hirntumoren: Großstudie in UK festigt Entwarnung (Forschung)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 30.03.2022, 14:16 (vor 776 Tagen)

2013 berichteten die Autoren einer großen prospektiven Hirntumorstudie mit mehr als 1 Million Frauen in einer ersten Follow-up-Auswertung, die Nutzung von Mobiltelefonen zeige keinen Zusammenhang mit der Entwicklung von Hirntumoren. Jetzt, 2022, liegt das zweite Follow-up vor, das sich auf mehr Daten stützen kann, jedoch zu keinen anderen Ergebnissen kommt.

Mit ihrer Großstudie kommen Wissenschaftler der Universität Oxford und der IARC zu anderen Ergebnissen, als die viel diskutierten Tierstudien des NTP (USA) und des Ramazzini-Instituts (Italien). Aus Sicht der Autoren mag dies an den geringen Fallzahlen der beiden Tierstudien liegen, die überdies bei Ratten und Mäusen nicht zu vergleichbaren Ergebnissen kamen, sondern zu uneinheitlichen. Eine weitere Erklärung der Diskrepanz sehen die Autoren in der realitätsfernen Exposition der Tiere. Diese waren täglich zwischen neun und 19 Stunden einer sehr hohen Ganzkörperbefeldung ausgesetzt, die um Größenordnungen höher war als die typische lokale Gehirnexposition bei Menschen unter realen Bedingungen der Mobiltelefonnutzung.

Das zweite Follow-up der "Millionen-Frauen-Hirntumorstudie" (Volltext) erschien am 29. März 2022 unter dem Titel Cellular Telephone Use and the Risk of Brain Tumors: Update of the UK Million Women Study in der Fachzeitschrift JNCI (The Journal of the National Cancer Institute). Dem folgenden Abstract des Papers sind die relativen Hirntumorisiken zu entnehmen, die mit der Nutzung von Mobiltelefonen einher gehen. Der Wert 1 bedeutet, es gibt weder eine Zunahme des Risikos noch eine Abnahme. Werte größer 1 bedeuten einen Risikozuwachs (z.B. beim Wert 1,04 um vier Prozent), Werte kleiner 1 bedeuten eine Risikoabnahme.

Hintergrund: Die anhaltende Debatte über die Frage, ob die Nutzung von Mobiltelefonen das Risiko der Entwicklung eines Hirntumors erhöht, wurde durch die Einführung der fünften Generation der Funkkommunikation angeheizt. Hier aktualisieren wir das Follow-up einer groß angelegten prospektiven Studie über den Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und Hirntumoren.
Methoden: Im Zeitraum 1996-2001 wurden 1,3 Millionen Frauen der Jahrgänge 1935-1950 für die Studie rekrutiert. Fragen zur Nutzung von Mobiltelefonen wurden erstmals im Jahr 2001 und erneut im Jahr 2011 gestellt. Alle Studienteilnehmerinnen wurden über eine Verknüpfung mit den Datenbanken des Nationalen Gesundheitsdienstes zu Todesfällen und Krebsregistrierungen (einschließlich nicht bösartiger Hirntumore) nachverfolgt.
Ergebnisse: Während der 14-jährigen Nachbeobachtung von 776'156 Frauen, die den Fragebogen von 2001 ausgefüllt hatten, wurden insgesamt 3268 Fälle von Hirntumoren registriert. Die bereinigten relativen Risiken für die Nutzung von Mobiltelefonen betrugen 0,97 (95-%-Konfidenzintervall: 0,90 bis 1,04) für alle Hirntumore und 0,89 (95-%-Konfidenzintervall: 0,80 bis 0,99) für Gliome. Keinen statistisch signifikanten Unterschied zum relativen Risiko 1,0 zeigten Meningiome, Hypophysentumore und Akustikusneurinome. Im Vergleich zu Nie-Nutzern wurden keine statistisch signifikanten Zusammenhänge für die tägliche Nutzung von Mobiltelefonen oder für die Nutzung von Mobiltelefonen über mindestens 10 Jahre hinweg gefunden, weder insgesamt noch nach Tumor-Subtyp. Nimmt man die Nutzung im Jahr 2011 als Ausgangswert, gab es keine statistisch signifikanten Zusammenhänge mit einer Gesprächsdauer von mindestens 20 Minuten pro Woche oder mit einer Nutzungsdauer von mindestens 10 Jahren. Für Gliome, die in den Schläfen- und Scheitellappen auftraten, den Teilen des Gehirns, die am ehesten den hochfrequenten elektromagnetischen Feldern von Mobiltelefonen ausgesetzt sind, lagen die relativen Risiken leicht unter 1,0.
Schlussfolgerung: Unsere Ergebnisse unterstützen die sich häufenden Belege dafür, dass die Nutzung von Mobiltelefonen unter üblichen Bedingungen die Häufigkeit von Hirntumoren nicht erhöht.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
IARC, Hirntumor, Gliom, Befeldung, realitätsfern


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