Faktencheck: Swisscom über Sendeleistung von 5G-Antennen (I) (Technik)
Was haben Prinzessin Caroline von Monaco und 5G gemeinsam? Beide sind prominent, beide sind in gewissen Medien unfreiwillig Stammgast und beide müssen sich mit absurden Gerüchten über sich herumschlagen. Eine derzeit sehr beliebte Desinformation zulasten von 5G gilt der Sendeleistung, mit der die neuen Antennen gespeist werden dürfen. In der Schweiz ist die zulässige Sendeleistung an vielen Orten stärker begrenzt als in anderen Ländern, das Gerücht über einen bis zu 40-fachen Leistungsanstieg bei 5G-Antennen sorgt in dem Alpenstaat daher für beträchtliche Unruhe unter der Bevölkerung. Das IZgMF hat bei Netzbetreiber Swisscom nachgefragt, was an dem Gerücht dran ist.
Eine inzwischen beendete Online-Petition, die sich anlässlich der 5G-Einführung gegen eine "Aufweichung des Vorsorgeprinzips" in der Schweiz gewendet hat, behauptete u.a.:
Mit der am 17. April 2019 beschlossenen Änderung der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) müssen die vor allem für 5G (zukünftig auch für 4G möglich) vorgesehen Antennen nicht mehr bei ihrem höchstmöglichen Betriebszustand den Anlagegrenzwert einhalten, sondern es soll bei diesen die Variabilität der Senderichtungen berücksichtigt werden. Diese vermeintlich kleine Änderung in der NISV schafft die rechtliche Grundlage, dass die Mobilfunkbetreiber die Sendeleistung der Antgennen um den Faktor 10 bis 40 erhöhen dürfen.
Als Quelle für die rot hervorgehobene Behauptung nennt die Petition die Medienmitteilung eines Zürcher Anti-Mobilfunk-Vereins. Doch dieser Verein ist nur eine Sekundärquelle, er beruft sich seinerseits auf einen Markus N. Durrer, der wiederum die Interessen der Schweizer Anti-Mobilfunk-Szene in einer 5G-Arbeitsgruppe vertritt, die am 20. September 2018 von der damaligen Bundesrätin Doris Leuthard ins Leben gerufen wurde, und deren mit Spannung erwarteter Abschlussbericht in Kürze vorliegen soll. Durrer ist technischer Berater eines Vereins mobilfunkkritischer Umweltärzte (AefU), diese haben ihn in Leuthards Arbeitsgruppe entsandt.
Der Zürcher Anti-Mobilfunk-Verein zitiert Durrer mit den Worten: Mit dieser Anpassung müssen nun die adaptiven Antennen, die für 5G breitflächig installiert werden sollen, jedoch auch bereits bei 4.5G zum Einsatz kommen können, den Anlagegrenzwert nicht mehr bei ihrem höchstmöglichen Betriebszustand einhalten. Dieser kleine Passus in der NISV schafft nun die rechtliche Grundlage, dass den Mobilfunkbetreibern mit der Ausgestaltung neuer Vollzugshilfen entgegen gekommen werden kann. Für den Vollzug steht zur Diskussion, dass diese neu eingeführten Antennen den Anlagegrenzwert um 10 bis 16 dB temporär überschreiten dürfen. Dies erlaubt den Betreibern eine Erhöhung der effektiven Sendeleistung (ERP) um den Faktor 10 bis 40. Mit diesem Bubentrick in der Verordnung wird quasi eine Grenzwerterhöhung durch die Hintertür ab 1. Juni 2019 ermöglicht.
Aus welcher Quelle Durrer die genannten Faktoren des Sendeleistungszuwachses bezogen hat, sagt er öffentlich nicht. Doch wenn es fundierte Werte sind, kann er diese wohl nur von den Schweizer Mobilfunknetzbetreibern haben.
Warum bei 5G überhaupt ein Sendeleistungszuwachs infrage kommt, liegt an den neuen adaptiven 5G-Antennen, deren stark gebündelte Hauptstrahlen sich horizontal (max. 120°) und vertikal (max. 30°) elektrisch blitzschnell bewegen lassen, vergleichbar dem Spotscheinwerfer, der einem Künstler auf der Bühne folgt. Das gab es zuvor nicht. Wer nun in der Schweiz nahe einer solchen 5G-Antenne wohnt, kann kurzzeitig in einen Hauptstrahl geraten und in dieser Zeitspanne mehr als 6 V/m Immission erfahren (Schweizer Anlagegrenzwert). Huscht der Hauptstrahl weiter, weil dieser einem 5G-Nutzer auf der Straße folgt, ist der Anwohner schnell wieder einer schwachen Immission weit unter 6 V/m ausgesetzt. 5G-Antennen befelden Anwohner eines Antennenstandorts also nach einem Zufallsmuster mal stark und mal schwach. Dieses hin und her ist die Ursache für die Diskussion um eine Leistungsanhebung bei 5G-Antennen. Denn so wie man schmerzfrei einen Finger schnell dicht über die Flamme einer Kerze bewegen kann, ist auch die befristete Einwirkung einer 5G-Antenne über 6 V/m hinaus vertretbar. Es muss nur ausreichend feldschwache Phasen geben, damit gewährleistet ist, dass die über die Zeit quadratisch gemittelten Werte der Immission den Anlagegrenzwert von 6 V/m nicht überschreiten. Gestritten wird in der Schweiz jetzt darum, um wie viel Immissionsspitzen den Wert 6 V/m überschreiten dürfen. Zum Vergleich: In Deutschland sind Spitzen bis zu 1952 V/m zulässig!
Und in der Schweiz?
Swisscom, teilte mir dazu auf Anfrage mit:
Der von Ihnen beschriebene Leistungszuwachs [Faktor 10 bis 40; Anm. Postingautor] wird im Rahmen einer Begleitgruppe zu den konkreten Ausführungsbestimmungen des zitierten NISV-Artikels aktuell diskutiert.
Theoretische Untersuchungen (welche zwischenzeitlich sogar mittels Messungen validiert wurden) zeigen, dass die maximale Immission durch adaptive Antennen (massive MIMO), die an einem bestimmten Ort auftreten kann, nur während begrenzten Zeiten auch tatsächlich vorhanden ist. Daher soll bei der Bewertung der NIS-Immission (Berechnung der Feldstärke an einem bestimmten Ort) zwar mit einem umhüllenden Antennendiagramm gerechnet werden (wie bei herkömmlichen Antennen umfasst ein solches alle möglichen Ausbreitungsmuster in alle Raumrichtungen), die zeitliche Variabilität des Antennendiagramms jedoch über einen reduzierenden Korrekturfaktor so berücksichtigen, dass die der Berechnung zu Grunde gelegte Sendeleistung um eben diesen Faktor reduziert werden kann. Vereinfacht ausgedrückt entspricht dies einer zeitlichen Mittelung, was ja beim Einsatz von adaptiven Antennen auch tatsächlich dem realen Anwendungsfall entspricht, wie diverse Messungen aufgezeigt haben.
Der aktuell diskutierte Reduktionsfaktor ist noch nicht bestimmt. Die Branche hat eine Reduktion um 10 dB vorgeschlagen [Faktor 10], was der Regulator womöglich als zu hoch erachtet. Die Schweizer NISV kennt im Vergleich zu Deutschland rund 10-mal strengere, vorsorgliche Grenzwerte. Adaptive Antennen sind bei uns aus diesem Grund umso mehr eingeschränkt, was auch ein Grund ist, dass eine blosse Reduktion um 6 dB [Faktor 4] nur unwesentlich zur Verbesserung der Situation beitragen würde. In Deutschland werden die 6 dB im Wesentlichen gebraucht, um auch mit adaptiven Antenne und deren hohen Antennengewinnen die Immissionsgrenzwerte gemäss ICNIRP einhalten zu können. Da in der Schweiz 10-mal strengere Grenzwerte gelten, sind wir auf eine entsprechend weniger limitierende Verbesserung angewiesen.
Damit unter Bedingungen, bei welchen eine zeitliche Mittelung der ausgesendeten Sendeleistung nicht der Praxis entspricht (bspw. statische Nutzer, längerer Zeitraum), ist vorgesehen, mittels eines systeminternen Regelungsalgorithmus über einen bestimmten Zeitraum von bspw. 6 Minuten die Sendeleistung so zu steuern/überwachen, dass das 6-Minuten-Mittel nach wie vor unterhalb der vorsorglichen Schweizer Grenzwerte liegt. Diese Regelungssoftware würde also dafür sorgen, dass die um den Korrekturfaktor angepasste Sendeleistung im 6-Minuten-Mittel nicht überschritten wird.
So gesehen ist der diskutierte Vorschlag eines Reduktionsfaktors von 10 dB tatsächlich eine Möglichkeit, im Mittel mit höheren Sendeleistungen operieren zu können. Diese würden aber wie oben beschrieben stets über einen Zeitraum geloggt und nötigenfalls im Mittel so begrenzt, dass auch im 6-Minuten-Mittel die Grenzwerte immer und überall eingehalten werden. Kleine Spitzen über den heute zulässigen Immissionslevels (Schweizer Vorsorgegrenzwerte) wären dadurch jedoch zulässig und für einen technologisch gewinnbringenden Einsatz von adaptiven Antennen auch unabdingbar.
Woher der Faktor 40 stammt, entzieht sich unserer Kenntnis. Andere Vorhaben, als unten beschrieben, sind uns nicht bekannt.
In Abhängigkeit der "Aggressivität" des beschriebenen Regelungsalgorithmus (also der Art und Geschwindigkeit, wie dieser zurückregelt) wäre eine über den Faktor 10 hinausgehende, kurzzeitige Leistungserhöhung grundsätzlich möglich. 10 dB als Reduktionsfaktor entstammen der Überlegung, dass auch bei hoher Auslastung einer Funkzelle in 95 % der Fälle mit höchstens ca. 10 % bis etwa 20 % der technisch maximal möglichen Sendeleistung operiert wird. Die verbleibende Unsicherheit wird, wie erwähnt, über die Regelungssoftware "abgedeckt".
Im angedachten Betriebsmodus wären demzufolge also sehr kurzzeitige Leistungsspitzen auch von mehr als Faktor 10 grundsätzlich möglich, allerdings führten solche dann zu einer rascheren Begrenzung des 6-Minuten-Mittels und daraus folgend einer Kapazitätseinschränkung. Je nach Steuermöglichkeiten des Regelungsalgorithmus bestünde somit ein Interesse, grosse Leistungsspitzen von Beginn weg gar nicht erst zuzulassen, weil damit verbunden unmittelbar auch die zur Verfügung stehende Kapazität für die weiteren 6 Minuten eingeschränkt wird.
Die alleinige zeitliche Mittelung der Immission ist Swisscom zufolge also nur eine von zwei Methoden, den Schweizer Anlagegrenzwert auch mit 5G-Antennen einzuhalten. Versagt die alleinige Mittelung, weil ein weit entfernter 5G-Nutzer sich z.B. längere Zeit nicht fortbewegt, greift als zweite Methode die Überwachung der Sendeleistung, mit der eine Hauptkeule (ein Beam) einer adaptiven Antenne betrieben wird. Die Überwachung regelt die Sendeleistung des Beams herunter, sobald sie erkennt, dass in einem Zeitintervall von z.B. sechs Minuten die gemittelte Immission den Anlagegrenzwert nicht einhalten kann.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –