EGMR-Urteil: Katharina Luginbühl gegen die Schweiz (I) (Elektrosensibilität)
Frau Luginbühl behauptete vor dem EGMR (Europ. Gerichtshof für Menschenrechte) Gesundheitsbeeinträchtigung durch Mobilfunk und berief sich auf Art. 2, Art. 6 und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Noch 2005 sagte sie: "Ich hoffe, dass ich in absehbarer Zeit ein wegweisendes Urteil bewirken kann, dass möglicherweise auch anderen Leidensgenossinnen und Leidensgenossen hilft in ihrer Situation." Doch es kam anders. Die Richter am EGMR wiesen am 17.01.2006 die Beschwerde 42756/02 Luginbühls mehrheitlich als unzulässig ab. Nachfolgend ein Auszug aus der (übersetzt deutschsprachigen) Entscheidung des EGMR, die vom österreichischen Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort im "Rechtsinformationssystem des Bundes" online veröffentlicht wurde. Das Original der Entscheidung gibt es ausschließlich auf französisch.
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Begründung
Sachverhalt
In Flawil, Kanton St. Gallen, beabsichtigten zwei private Mobilfunkanbieter den Ausbau einer Mobilfunkanlage. Trotz zahlreicher Anrainerproteste wurde das Projekt vom Planungsamt genehmigt und eine Baubewilligung erteilt. Ein dagegen eingebrachtes Rechtsmittel der Bf. wurde vom Baudepartement verworfen. Sie brachte daraufhin eine Klage beim Verwaltungsgericht ein, in der sie erfolglos die Annullierung des Bauprojekts und die Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung verlangte. Sie wandte sich darauf mit einer Beschwerde an das Bundesgericht.
Unter Berufung auf Art. 8 EMRK brachte die Bf. [Beschwerdeführerin] vor, dass die durch die Mobiltelefonie verursachten Emissionen ihre Gesundheit auch im Fall der Einhaltung der Grenzwerte beeinträchtigen könnten. Außerdem machte sie Verletzungen ihres Rechts auf Anhörung durch die Gerichte wegen unzureichender Berücksichtigung ihrer Beweisanträge geltend und verlangte die Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung. Mit Urteil vom 15.12.2003 verwarf das Bundesgericht die Verwaltungsbeschwerde der Bf. Begründend führte es aus, dass es grundsätzlich den zuständigen Behörden zukomme, die Entwicklungen auf dem Mobilfunksektor zu beobachten und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, sollte sich herausstellen, dass die Grenzwerte nicht dem Vorsorgeprinzip entsprächen.
Ferner habe das Bundesumweltamt im Jahr 2003 eine wissenschaftliche Studie über allfällige gesundheitsbeeinträchtigende Auswirkungen durch die Mobiltelefonie veröffentlicht. Laut der Studie gäbe es derzeit keine wissenschaftliche Untersuchungen über direkte Auswirkungen von Mobilfunkantennen auf Menschen in deren unmittelbaren Umgebung. Die Frage einer Gesundheitsschädigung sei daher noch ungelöst.
Mittlerweile habe das Bundesumweltamt beim Bundesamt für Bildung und Wissenschaft ein neues Projekt zur Untersuchung von nicht ionisierender Strahlung und ihren Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt angeregt. Die zuständigen Behörden wären durchwegs bestrebt, die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Gebiet der Mobiltelefonie zu verfolgen und würden die Angemessenheit der aktuellen Grenzwerte in regelmäßigen Abständen überprüfen. Eine Sorgfaltspflichtverletzung seitens der Behörden sei somit nicht feststellbar.
Abschließend stellte das Bundesgericht fest, dass Art. 6 EMRK auf den vorliegenden Fall nicht Anwendung finde, da die Bf. nicht behaupten könne, einer ernsthaften Bedrohung ihres körperlichen Wohlbefindens bzw. ihrer Gesundheit ausgesetzt zu sein. Sie könne sich insoweit auch nicht auf eine Verletzung ihres Rechts auf eine Anhörung vor Gericht berufen.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen
Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Sie rügt ferner eine Verletzung ihres Rechts auf Leben gemäß Art. 2 EMRK und ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 8 EMRK. Sie macht in Verbindung mit Art. 8 EMRK auch Verletzungen von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz) und von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) geltend.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK
Die Bf. behauptet, ihre Angelegenheit sei von den innerstaatlichen Gerichten nicht öffentlich gehört und ihre Beweisanträge nicht ausreichend zur Kenntnis genommen worden.
Der GH hält eine Klärung der Frage der Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK auf den vorliegenden Fall nicht für notwendig, da die einzelnen Beschwerdegründe sich bereits aus anderen Gründen als unzulässig erweisen.
1. Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung:
Im Vordergrund des gegenständlichen Rechtsstreits stand die Frage der Gesundheitsschädlichkeit von Mobilfunkantennen. Die nationalen Gerichte konnten sich bei der Beurteilung dieser Frage auf ein beachtliches Dokumentationsmaterial stützen, darunter insbesondere auf eine Studie des Bundesumweltamts aus dem Jahr 2003. Der GH hält fest, dass die nationalen Gerichte im Vergleich zu internationalen Organen weit besser in der Lage sind, wissenschaftliche Kontroversen einer Bewertung zu unterziehen, da sie bereits im Vorhinein mit dem Beschwerdegegenstand vertraut sind. Der vorliegende Fall hatte vorwiegend die Bewertung von unterschiedlichen wissenschaftlichen Standpunkten zum Gegenstand.
Der GH ist überzeugt, dass sich derartige hochtechnische Fragen besser in einem schriftlichen als in einem öffentlichen Verfahren abhandeln lassen. Es ist nicht erwiesen, dass eine öffentliche Anhörung in Anwesenheit von Zeugen und Experten die Meinungsbildung der Gerichte in entscheidender Weise hätte beeinflussen können. Es lagen somit besondere Umstände für die Nichtabhaltung einer öffentlichen Verhandlung vor den Gerichten vor. Dieser Beschwerdepunkt ist wegen offensichtlicher Unbegründetheit iSd. Art. 35 Abs. 3 EMRK zurückzuweisen.
2. Zur Ablehnung der Beweisanträge:
Im vorliegenden Fall erging das Urteil des Bundesgerichts in einem kontradiktorischen Verfahren, in dem der Bf. Gelegenheit gegeben wurde, auf das Vorbringen der gegnerischen Parteien zu reagieren und Argumente zur Stützung ihres eigenen Standpunkts vorzubringen. Das Höchstgericht stützte sich in seinem Urteil auch auf wissenschaftliche Gutachten von verschiedenen Seiten. Es hat seine Entscheidung nicht nur ausreichend begründet, sondern auch schlüssig dargelegt, aus welchen Gründen es dem Beweisantrag der Bf. nicht Folge leistete. Es bestehen auch keinerlei Anzeichen für willkürliche Schlussfolgerungen.
Der GH gelangt daher angesichts des weiten Ermessensspielraumes der Staaten in „zivilrechtlichen" Streitigkeiten zu dem Ergebnis, dass das Verfahren vor den innerstaatlichen Instanzen insgesamt betrachtet einen fairen Charakter aufwies. Dieser Beschwerdepunkt ist wegen offensichtlicher Unbegründetheit iSd. Art. 35 Abs. 3 EMRK zurückzuweisen.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK
Die Bf. bringt vor, das umstrittene Mobilfunkantennenprojekt sei geeignet, sie als elektrosensible Person in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen.
1. Zur Anwendbarkeit von Art. 8 EMRK:
Vorab ist festzustellen, dass Eingriffe in das Recht auf Achtung der Wohnung auch durch immaterielle Beeinträchtigungen wie etwa Lärm, Emissionen, Geruch, etc. erfolgen und schwerwiegende Einwirkungen eine Person durchaus am „Genuss" ihrer Wohnung hindern können. Im vorliegenden Fall lebte die Bf. im unmittelbaren Umkreis einer Mobilfunksendeanlage und war als von Emissionen unmittelbar betroffene Person zur Erhebung von Rechtsmitteln vor den nationalen Gerichten berechtigt. Ferner hat das Bundesgericht sie ausdrücklich als elektrosensible Person angesehen. Das Vorbringen der Bf., die direkte Einwirkung und die zu befürchtende Zunahme gesundheitsschädlicher Emissionen durch Mobilfunkantennen stelle einen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar, reicht daher aus, um Art. 8 EMRK für anwendbar zu erklären.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
EGMR-Urteil: Katharina Luginbühl gegen die Schweiz (II)
2. In der Sache selbst:
Der GH hält fest, dass die Staaten in Fragen der Umwelt einen weiten Ermessensspielraum genießen.
Im vorliegenden Fall handelte es sich um ein Projekt zweier privater Mobilfunkanbieter. Der GH erinnert daran, dass Art. 8 EMRK in erster Linie den Schutz von Individuen gegen willkürliche Eingriffe seitens staatlicher Behörden zum Gegenstand hat. Unter bestimmten Umständen kann ein Staat jedoch auch zur Ergreifung von positiven Maßnahmen zum Schutz des Privatlebens zwischen Privatpersonen untereinander verpflichtet sein.
Es ist daher zu prüfen, ob zwischen den widerstreitenden Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft ein faires Gleichgewicht hergestellt wurde und ob die innerstaatlichen Behörden die notwendigen Schritte zum Schutz des Rechts auf Privat- und Familienleben der Bf. unternommen haben.
Im vorliegenden Fall hat das Bundesumweltamt im Jahr 2003 eine wissenschaftliche Studie über die Auswirkungen der Mobiltelefonie auf Umwelt und Gesundheit veröffentlicht. In ihr wird festgestellt, dass es keine wissenschaftliche Untersuchung über direkte Auswirkungen von Mobilfunkantennen auf Personen im Umkreis von Mobilfunkanlagen gibt. Für die Existenz oder Nichtexistenz von gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung hätte bisher kein Nachweis gefunden werden können. Zusätzlich hat das Bundesumweltamt beim Bundesamt für Bildung und Gesundheit ein neues Projekt zur Erforschung der Auswirkung von nicht ionisierenden Strahlungen auf die Gesundheit angeregt. Nach Ansicht des GH bezeugen diese Schritte die Bemühungen der Behörden, die derzeit bestehenden Grenzwerte einer periodischen Überprüfung zu unterziehen und sie gegebenenfalls an den gegenwärtigen Wissensstand anzupassen.
Die Bf. bringt vor, die nationalen Behörden hätten ihren Status als elektrosensible Person nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Behauptung vermag jedoch nichts an der Schlussfolgerung zu ändern, wonach eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch Mobilfunkantennen bislang wissenschaftlich nicht belegt ist und mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit zum Großteil spekulativer Natur sind. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Art. 13 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz ausdrücklich vorsieht, dass der Bundesrat bei der Festlegung von Grenzwerten im Verordnungsweg auch die Auswirkungen von Immissionen auf besonders sensible Personen wie Kinder, Kranke, ältere Personen und schwangere Frauen zu berücksichtigen hat.
Der GH ist der Ansicht, dass die genannte Rechtsgrundlage die Setzung von adäquaten Maßnahmen zum speziellen Schutz von besonders empfindlichen Personen gegen Elektrosmog erlaubt, sollte sich eines Tages herausstellen, dass die Mobiltelefonie ein ernsthaftes Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt.
Angesichts dieser Tatsache und unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Staaten sowie des Interesses der modernen Gesellschaft an einem vollständig ausgebauten Mobilfunknetz besteht keine Verpflichtung zur Setzung weiterer Maßnahmen, um die Rechte der Bf. auf angemessene und adäquate Weise zu schützen. Dieser Beschwerdepunkt ist wegen offensichtlicher Unbegründetheit iSd. Art. 35 Abs. 3 EMRK zurückzuweisen.
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Die Begründungen für die Zurückweisung der weiteren Beschwerdepunkte Frau Luginbühls sind in den verlinkten Originaldokumenten enthalten.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Menschenrechtsklagen sind nicht teuer
Teuer sind Klagen vor dem EGMR insofern nicht, da Gerichtskosten weder für Kläger noch für Beklagte anfallen. Bevor ein Verfahren vor dem EGMR verhandelt wird, muss es allerdings den innerstaatlichen Instanzenweg vollständig durchlaufen haben.
Auszug aus Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:
Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist kostenfrei. Derjenige, der die Beschwerde einlegt, trägt nur seine eigenen Kosten, wie z.B. die Anwaltskosten und die eventuell durch Schriftverkehr oder Nachforschungen entstandene Kosten. Dafür kann Prozesskostenhilfe beantragt werden. Auch wenn vom Gerichtshof entschieden wird, eine Verletzung der Menschenrechtskonvention liegt nicht vor, hat der Beschwerdeführer mit keinen zusätzlichen Kosten zu rechnen. Der beklagte Staat kann keine Kosten geltend machen.
Zwar muss vor einem zulässigen Verfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der innerstaatliche Instanzenweg vollständig durchlaufen und ausgeschöpft worden sein, aber dennoch ist der Gerichtshof keine Art “Berufungsinstanz”. Das Urteil eines innerstaatlichen Gerichts kann weder aufgehoben, abgeändert oder auch nur wieder aufgerollt werden. Der Gerichtshof ist einzig und allein für Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zuständig, auf die er nationale Urteile hin untersuchen kann.
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EGMR-Urteil: Rechtliche Bewertung des Falls Luginbühl
In dem Buch Vorsorge als Verfassungsprinzip im europäischen Umweltverbund beschäftigt sich die Autorin Silvia Delgado del Saz unter anderem auch mit dem EGMR-Urteil im Fall Luginbühl. Sie schreibt:
[...] kann aus dem Urteil geschlossen werden, dass „nicht wissenschaftlich bewiesene Gesundheitsbeeinträchtigungen“ nicht von der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 8 EMRK umfasst werden. Die Erforderlichkeit der Einführung von niedrigeren Grenzwerten für elektrosensiblen Menschen kann nicht festgestellt werden.
Von den „nicht wissenschaftlich bewiesenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen“ bzw. „Beeinträchtigungen spekulativer Natur“ unterscheidet der Gerichtshof „ernsthafte Risiken“. Falls sich die Risiken der Mobilfunkstrahlung eines Tages als „ernsthafte Risiken“ herausstellen, könnten auf Grundlage von Art. 13 §2 des schweizerischen Umweltgesetzes geeignete Maßnahmen zum besonderen Schutz vor elektrosensiblen Menschen getroffen werden. Insofern wird die Möglichkeit der Ergreifung von Maßnahmen, jedoch keine Pflicht, festgestellt.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Gerichtshof die Anstrengungen der zuständigen schweizerischen Behörden, die wissenschaftliche Entwicklung zu verfolgen und in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, betont.
Damit scheint der EGMR zu implizieren, dass es gewisse prozedurale Verpflichtungen seitens des Staates gibt, die verfügbaren wissenschaftlichen Daten zu berücksichtigen. Es findet allerdings keine umfassende Prüfung statt, und es werden keine konkreten prozeduralen Anforderungen gestellt, weshalb verfahrensrechtliche Pflichten nicht sehr stark ausgeprägt sind.
Gerhard Schnedl schreibt anlässlich des EGMR-Urteils in Bildung, Wissenschaft, Politik: Instrumente zur Gestaltung der Gesellschaft:
[...] So stellten Emissionen durch Mobilfunksendeanlagen bislang keine Grundrechtsverletzung dar. Sowohl im Fall Luginbühl als auch in der Entscheidung Gaida betonte der EGMR zudem, dass es bislang keinen wissenschaftlichen Nachweis bzw. keine verlässlichen Beweise für die Existenz oder Nichtexistenz von gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung durch die von Mobilfunkanlagen ausgehende Strahlung gebe, mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit daher zum Großteil spekulativer Natur sind. Der Gerichtshof räumte den Staaten daher bei der vorzunehmenden Interessenabwägung einen weiten Ermessensspielraum im Hinblick auf die Ergreifung positiver Schutzpflichten ein. Die Einhaltung bestehender Vorsorgegrenzwerte reiche seiner Meinung nach völlig aus. Das wirtschaftliche Wohl überwog jedoch nicht immer, insb. bei bloß lokalen wirtschaftlichen Interessen. So stellten vor allem Industrieemissionen und Nachbarschaftslärm eine Verletzung von Art. 8 EMRK dar, anfangs nur bei erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen, im Laufe der Jahre aber auch im Falle von nicht gesundheitsgefährdenden, schwerwiegenden Umweltbeeinträchtigungen, z. B. bei beträchtlichen Immissionsbelästieuneen.
Ganz anders Dr. Eduard Christian Schöpfer vom Österreichischen Institut für Menschenrechte. Aus seiner Sicht, die er bei Diagnose-Funk abgab, ist die Entscheidung des EGMR verfehlt, gehe von einer undifferenzierten Betrachtungsweise aus und gebe in mehrerlei Hinsicht Anlass zur Kritik:
1. Der EGMR hat in seiner Entscheidung neueste wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich des Wirkungszusammenhangs zwischen Mobilfunk und Gesundheit nicht in Betracht gezogen, sondern sich mit dem Hinweis auf eine vom schweizerischen Bundesumweltamt veröffentlichte wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2003 (!) begnügt. Bereits ein Jahr später zeigte etwa die deutsche „Naila-Studie“ einen Anstieg von Krebsfällen im Umfeld von Mobilfunksendern.
2. Im vorliegenden Fall hätten sich die Gerichte ein persönliches Bild über die „Sattelfestigkeit“ der pro- und kontra Argumentation der Parteien machen sollen. Es wurde weder ein medizinischer Sachverständiger für Mobilfunk noch Zeugen zu Rate gezogen, darüber hinaus wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abgelehnt, einen Messtechniker zwecks Vorstellung einer neuen Methode zum Nachweis gesundheitsschädlicher Auswirkungen durch elektromagnetische Strahlung vorzuladen. Zwar mag ein durchgehend schriftliches Verfahren unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein, im vorliegenden Fall ging es aber um behauptete Eingriffe in eminent wichtige Schutzgüter wie Gesundheit, Leben und körperliches Wohlbefinden. Die Gerichte wären daher zu besonderer Sorgfalt und Umsicht verpflichtet gewesen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte ihnen Gelegenheit gegeben, die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin zu überprüfen und ihren Fall einer fundierten (!) Überprüfung zu unterziehen.
3. Die Hinweise mehren sich, dass Mobilfunk eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt. Der Grad der vorliegenden Evidenz für eine gesundheitsschädigende Wirkung hochfrequenter Strahlung ist schon derzeit ausreichend, um weitergehende Reduktionen der Strahlenbelastung zu rechtfertigen. Bei dem derzeitigen Kenntnisstand zu warten ist unverantwortlich und steht auch im Widerspruch mit dem völkerrechtlichen Vorsorgeprinzip. Danach sind die Staaten zur frühzeitigen Untersuchung und vorausschauenden Bekämpfung möglicher Gefahren für die Umwelt auch dann verpflichtet, wenn die strengen Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Fundierung der Gefahr noch nicht erfüllt sind.
4. Leben und Gesundheit sollten absoluten Vorrang vor dem „wirtschaftlichen Wohl des Landes“ genießen, im Bereich der Umwelt und Gesundheit sollte der Ermessensspielraum der Staaten daher nicht ein weiter, sondern vielmehr ein begrenzter sein. Übrigens: Wenn der EGMR schon von einer modernen Gesellschaft spricht, sollte auch der Umwelt- und Gesundheitsschutz diese Eigenschaft besitzen, nämlich einen optimalen Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt gewährleisten. Derzeit ist dies leider weder in Österreich noch sonst wo in Europa der Fall.
Zu den ziemlich polemischen Ausführungen von Herrn Schöpfer ist anzumerken, dass er ab 2006 eine kurze aber heftige Liaison mit der hiesigen Anti-Mobilfunk-Szene hatte und mit der sogenannten Kompetenzinitiative Sammelklagen am EGMR vorbereiten wollte. Das Projekt kollabierte allerdings unspektakulär auf der Zielgeraden, am EGMR wurden bis heute keine Mobilfunk-Sammelklagen verhandelt.
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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Vorinstanz: Warum Luginbühl nicht gewinnen konnte
Mit Urteil vom 15.12.2003 verwarf das Bundesgericht die Verwaltungsbeschwerde der Bf.
Das Urteil 1A.86/2003 des Bundesgerichts vom 15. Dezember 2003 ist im Fall Luginbühl das für die Schweiz Letztinstanzliche. Es dokumentiert mit einem einzigen Satz sehr schön, warum Mobilfunkgegner bei Unterschriftensammlungen und ähnlichem Zeitvertreib häufig erfolgreich sind, sie, wenn es brenzlig wird, jedoch alleine dastehen.
Denn auch unter Mobilfunkgegnern hört die Freundschaft auf, sobald es den Leuten an den Geldbeutel geht. Im Fall Luginbühl gab es anfangs 235 Einsprecher, die mit Vollmacht einen Wortführer beauftragten ihre Interessen zu wahren. Als es dann kostenpflichtig vor Gericht ging, mähte eine Klausel der Vollmacht das Feld der Einsprecher auf wenige Halme nieder. Der entscheidende Satz lautet:
"Ich behalte mir vor - bei für mich kostenpflichtigen Rechtsschritten - mich nicht mehr an dem Verfahren zu beteiligen".
Der Verlust an Mitstreitern ist sicherlich schlimm. Doch noch viel schlimmer ist: Die Argumentation der wenigen verbliebenen Beschwerdeführer vor dem höchsten Gericht der Schweiz muss stellenweise unglaublich dilettantisch gewesen sein. Hier eine ungekürzte Kostprobe aus dem unterhaltsamen Urteilstext:
3.2 Die Beschwerdeführer haben umfangreiches Material zum Beweis der Schädlichkeit der Mobilfunkstrahlung weit unter den Anlagegrenzwerten der NISV eingereicht. Es handelt sich überwiegend um bereits bekannte und schon früher dem Bundesgericht vorgelegte Berichte und Unterlagen, aus denen sich keine neuen Erkenntnisse ergeben, die ein richterliches Einschreiten rechtfertigen würden (vgl. BGE 126 II 399 E. 4c S. 408). Das Verwaltungsgericht hat deshalb diesen Unterlagen zu Recht keine Bedeutung zugemessen.
Die Beschwerdeführer haben verschiedene Gutachten von W.D. Rose von der Internationalen Gesellschaft für Elektrosmog-Forschung eingereicht, zuletzt vom 22. Juli 2002 und vom 12. März 2003. Diese Gutachten vermögen jedoch, wie das BUWAL in seiner Vernehmlassung ausführlich dargelegt hat, wissenschaftlichen Ansprüchen nicht zu genügen. Eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Studien anderer Autoren findet nicht statt.
Die Beschwerdeführer machen geltend, X.________ habe eine Messtechnik erfunden, mit dem die angeblich schädlichen Eigenschaften der Mobilfunkstrahlung (Pulsfrequenz) erstmals direkt sichtbar gemacht werden könnten. Das BUWAL hat dazu in seiner Vernehmlassung festgehalten, dass die vorhandenen Angaben zu dieser Messtechnik äusserst rudimentär und seines Erachtens ungenügend seien; es lasse sich nicht eruieren, was dieses Gerät genau messe.
Wer so unqualifiziert vorträgt darf sich nicht wundern wenn er den Kürzeren zieht. Die Abweisung der Beschwerde kostete die Beschwerdeführer 5000 CHF an Gerichtskosten, über die Anwaltskosten ist nichts bekannt.
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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Fall Luginbühl für Gigaherz kein Thema
Frau Luginbühl behauptete vor dem EGMR (Europ. Gerichtshof für Menschenrechte) Gesundheitsbeeinträchtigung durch Mobilfunk ...
Eine überzeugte schweizer Elektrosensible, die sich durch alle Instanzen bis zum EGMR klagt, müsste für Gigaherz.ch, der nach eigener Darstellung "mit Abstand grössten Schweizerischen Betroffenen-Organisation", eigentlich ein gefundenes Fressen sein. Erstaunlicherweise gibt es zwischen Frau Luginbühl und Gigaherz jedoch keine Verbindungslinie, im gesamten Webauftritt des krachenden Anti-Mobilfunk-Vereins wird Luginbühl und ihr gescheiterter juristischer Feldzug mit keinem einzigen Wort erwähnt. Auch im Gigaherz-Forum zeigt die "Elektrosensible" nicht Flagge. Lediglich in einem Kurzbericht des schweizer Fernsehns gibt es eine einzelne schwache Spur. Sie zeigt 2011 mutmaßlich Frau Luginbühl einige Sekunden lang auf dem vorletzten "Gigaherz-Kongress", und das ausgerechnet in der Strahlenhölle von Bern.
Wer sich hier von wem distanziert ist aus der Ferne nicht auszumachen. Denkbar wäre, dass der auf Erfolgsmeldungen bedachte Gigaherz-Präsident Frau Luginbühl deshalb von der Berichterstattung ausschloss, weil sie zwischen 2003 und 2006 eine gerichtliche Pleite nach der anderen einfuhr. Dies erklärt jedoch nicht die völlige Abwesenheit des Falls Luginbühl im GHz-Forum. Der Einwand, das jetzige Forum gebe es erst seit Anfang 2007 und Luginbühls Blüte sei vorher gewesen greift nicht, denn auch in dem alten GHz-Forum findet der Fall Luginbühl – soweit ich dies feststellen konnte – keine Erwähnung. Für mich sieht das alles sehr nach "Swiss Disharmony" aus.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
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