Science Update kommentiert 1 (Allgemein)

Dr. Ratto, Dienstag, 09.12.2014, 13:33 (vor 3420 Tagen) @ charles

Kommentar?

Was soll man an einer willkürlich zusammengestellten Liste von 20 Publikationen aus Juni bis September 2014 kommentieren? Da geht es um alles: Hoch- und Niederfrequenz, Zellkulturen, Tiere, Menschen und Pflanzen, jeweils rausgerissen aus dem Kontext vergleichbarer Studien zum selben Thema, aus denen man sich ein Gesamtbild machen könnte. In den meisten Studien geht es nicht um Funk oder Mobilfunk. Wonach sich die Kommentare von powerwatch richten ist völlig unklar. Es werden einige Studien kommentiert, die etwas finden, was bedrohlich klingt und gerade "modern" ist: oxidativer Stress, Kinder,… Studien zur Expositionsbestimmung, mit negativem Ausgang, oder sogar positiven Wirkungen werden ignoriert, dass zeigt klar wie die Einstellung von powerwatch ist. Einige Studien, die sich auch gut ausschlachten ließen, bleiben auch ohne Kommentar, wohl weil powerwatch nicht viel vom Inhalt versteht. Einige sind auch so kompliziert, dass es aufgrund des Abstracts Laien nicht klar sein kann, ob das nun "gut" oder "böse" ist.

Im Weiteren kommentiere ich die Studien in der Reihenfolge, in der sie aufgeführt wurden, mal mehr und mal weniger ausführlich, nach eigenem Ermessen und je nachdem ob ich den Volltext habe, das ist aber bei den meisten der Fall. Eine Gesamtaussage lässt sich dazu aus den o.g. Gründen nicht machen. Mehrere Studien hängen trotzdem inhaltlich zusammen, darauf ist im Text hingewiesen. Vor allem gibt es relativ viele zum den Themenkomplexen „Neurodegeneration“ (1, 2, 5, 7, 11, 12, 18). Ich habe mich bemüht, einigermaßen verständlich wiederzugeben worum es eigentlich geht und was es für die Realität bedeutet, den Inhalt gebe ich nicht immer im Detail wieder.

1. Reale et al.: Der Verdacht, dass niederfrequente Magnetfelder die Alzheimer Demenz begünstigen könnten, stammt aus epidemiologischen Studien überwiegend an beruflich stark Exponierten. Es ist nicht klar ob der Zusammenhang ursächlich ist, deswegen wird nach möglichen Wirkmechanismen auf Zellebene gesucht, wie auch in dieser Studie. Es gab bereits mehrere ähnliche Ansätze mit unterschiedlichen Ergebnissen. Es ist bekannt, dass Magnetfelder in die oxidativen Prozesse in Zellen eingreifen können. Ob und wie genau dies mit Erkrankungen zusammenhängt ist nicht klar, deswegen wird weiter geforscht.
In dieser Studie wurden Zellen benutzt, die aus einem Neroblastom stammen, das ist ein Tumor des Nervensystems. Es ist ein etabliertes Modellsystem für Untersuchungen an Nervenzellen, weil gesunde Nervenzellen viel schlechter in Zellkultur gehalten werden können als Krebszellen. Es ist aber unklar, ob die Ergebnisse auf gesunde Nervenzellen übertragbar sind. Diese Zellen wurden niederfrequenten Feldern (50 Hz, 1 mT) ausgesetzt, das ist oberhalb der Grenzwerte. Es kam zu einem Anstieg reaktiver Sauerstoffspezies (Stickoxid, Sauerstoff), das bedeutet "oxidativen Stress". Gleichzeitig stiegen aber auch die Menge und die Aktivität eines Enzyms (Katalase) an, das diese Stoffe abbaut, es kam also zu einer kompensatorischen Reaktion. Wurden die Zellen mit Wasserstoffperoxid vorbehandelt, der bereits vor der Exposition mit Magnetfeldern einen oxidativen Stress verursacht hat, war diese kompensatorische Reaktion beeinträchtigt.
Das Ergebnis ist also, dass starke Magnetfelder in einer Krebszelle, in der durch eine Chemikalie oxidativer Stress hervorgerufen wurde, die Fähigkeit dieser Zelle sich gegen den oxidativen Stress zu währen vermindert. Das ist vom realen Leben meilenweit entfernt. Auf Tiere und Menschen sind die Ergebnisse nicht direkt übertragbar, ein intakter Organismus hat bessere Möglichkeiten Schäden zu reparieren als entnommene Zelle. Als Modellsystem um mögliche Mechanismen zu entdecken, welche die Befunde der epidemiologischen Studien stützen könnten, ist es aber absolut geeignet. Es gibt mehrere Studien dieser Art mit unterschiedlichen Ergebnissen, dies ist nur eine aktuelle die gerade aufgefallen ist. Das Gesamtbild ist noch bei weitem nicht klar.
Dass powerwatch diese Studie zur Ableitung von Grenzwerten nutzen möchte, ist der Witz – die werden von nachgewiesenen gesundheitlichen Effekten bei Menschen abgeleitet, nicht von Einflüssen auf chemische Prozesse in Zellen

2. Zhang et al.: Diese Studie passt gut zu der vorherigen. Sie zeigt, dass bei Ratten Magnetfelder von 100 µT/50 Hz keinen Einfluss auf Gedächtnis und Proteinablagerungen im Gehirn haben, das spricht gegen die Hypothese, dass niederfrequente Magnetfelder die Alzheimer Krankheit begünstigen. Es wurden 10 Ratten exponiert und 10 scheinexponiert (das ist für eine vernünftige Statistik zu wenig), dauerhaft, im Alter von 12 bis 24 Wochen (für Alzheimer zu jung). Die Expositionsanlage war in Ordnung. Was wäre aber, wenn man die Ratten 1 mT und zusätzlich Chemikalien ausgesetzt hätte? Powerwatch äußert sich zu dieser Studie nicht.

3. Marjanovic et al.: Wieder eine von vielen Studien, die bei Hochfrequenz "oxidativen Stress" im weitesten Sinne findet. In Gegensatz zur Niederfrequenz gibt es hierzu keinen plausiblen Wirkmechanismus, außer Erwärmung. Das ist bei 1,6 W/kg nicht ausgeschlossen. Es wurde auch kein oxidativer Schaden gefunden, auf Anstieg des reaktiven Sauerstoffs reagierten die Zellen mit der Aktivierung von Abwehrmechanismen, so soll es sein. Powerwatch findet das schrecklich.

4. Chiu et al.: Bei 11-15-jährigen Kindern wurde untersucht, ob Handynutzug gesundheitsrelevante Symptome verursacht. Eltern und Erzieher wurden zur Nutzung des Mobiltelefons durch die Kinder und zu deren gesundheitlichen Symptomen befragt. Texting wurde nicht berücksichtigt, da dabei der Kopf nicht exponiert ist. Auch die Frage zur Besorgnis wurde gestellt. Ob die Eltern über das Nutzungsverhalten der Kinder genau Bescheid wussten ist nicht sicher. Die Frage zur Besorgnis kann die Sorgen verstärken und einen "recall bias" hervorrufen – Eltern von Kindern, die gesundheitliche Probleme haben, haben plötzlich das Gefühl ihre Kinder würden zu viel telefonieren und geben das auch so an. Es kam heraus, dass Kinder die viel mit dem Handy telefonierten mehr Kopfschmerzen und Juckreiz hatten. Die Autoren beziehen die Ergebnisse auf die Exposition mit hochfrequenten Feldern, genauso gut kann es aber am reinen Verhalten liegen. Ob das Telefonieren am Festnetz, zur selben Uhrzeit und von selber Dauer, einen vergleichbaren Effekt hat, wurde nicht untersucht. Powerwatch spricht die übliche Warnung aus.

5. Liu et al.: Auch diese Studie wurde vor dem Hintergrund Alzheimer und Niederfrequenz durchgeführt. Es wurden Körnchnezellen (Nervenzellen) aus dem Kleinhirn von Ratten nach einer 1-stündigen Exposition mit 1 mT/50 Hz untersucht. Dazu wurden Ströme durch Natrium-Ionenkanäle in der Zellmembran gemessen. Diese wurden durch Magnetfelder und durch Melatonin gegensätzlich beeinflusst, in Kombination haben sich die Effekte teilweise aufgehoben, sie wurden aber durch unterschiedliche Signalwege vermittelt. Das Ganze ist äußerst Komplex und sollte weiter geklärt werden. Die Studie zeigt einen alternativen Weg auf der Suche nach möglichen Wirkmechanismen. Zur Risikobewertung von Magnetfeldern ist sie nicht geeignet, aus denselben Gründen wie die erste Studie (Reale et al.). Wie powerwatch in diesem Zusammenhang zu einer Warnung vor WiFi kommt bleibt mir ein Rätsel. Wahrscheinlich weil sie kein Wort verstanden haben, dass wiederum ist nachvollziehbar.

Tags:
Alzheimer, Kinder, NF, Analyse, Melatonin, Magnetfeld, Studien, Wirkmechanismus, Zhang, Ratten, Demenz, HF, Reale, Oixidativer-Stress, Marjanovic, Chiu, Juckreiz, Liu, Powerwatch


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