Demokratie in der Wissenschaft: Mehrheit siegt? (Forschung)

H. Lamarr @, München, Montag, 06.03.2023, 18:49 (vor 434 Tagen)

Bei manchen Risiken für die Weltbevölkerung tut sich die Wissenschaft schwer, das entscheidende Machtwort zu sprechen, ob Gefahr für Leib und Leben gegeben ist oder eben nicht. Bis sie z.B. Tabakkonsum zweifelsfrei als tödliches Risiko einstufte, benötigte die Wissenschaft etliche Jahrzehnte. Diese Ungewissheit bremste politische Maßnahmen aus und kostete Millionen von Rauchern das Leben. Ein Pilotprojekt unter Leitung von Wissenschaftlern der britischen Universität Durham will nun testen, ob sich der Prozess der breiten Meinungsbildung über wissenschaftliche Streitthemen drastisch verkürzen lässt, wenn das demokratische Mehrheitsprinzip auch in der Wissenschaft gilt. Ist dies das Ende der schier endlosen Risikodebatten über Mobilfunk und Klimaerwärmung?

[image]Bild: PIRO auf Pixabay

Das Pilotprojekt (Laufzeit bis 2023) will die Machbarkeit eines "Institute for Ascertaining Scientific Consensus" (IASC, Institut für die Bestimmung des wissenschaftlichen Konsenses) ausloten. Denn angesichts der Kakophonie wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Stimmen in den Medien – das Spektrum reicht von gut informiert bis hirnrissig – ist es heute schwieriger denn je, den wissenschaftlichen Konsens zu wichtigen Themen auszumachen. Fake-News oder alternative Fakten konkurrieren mit wissenschaftlichen Fakten und Laien sind mangels Fachkenntnis überfordert, die auf sie einstürmenden Informationen kundig zu bewerten. Über die sogenannten soziale Medien gewinnen Randgruppen einen übergroßen Einfluss auf die öffentliche Meinung zu wichtigen wissenschaftlichen Themen wie den Nutzen von Covid-Impfungen, dem Tragen von Gesichtsmasken oder der Frage, ob der Klimawandel vom Menschen verursacht wird. Eine vertrauenswürdige Methode zum Vermitteln des wissenschaftlichen Konsenses in solchen Streitfragen könnte de-eskalierend wirken.

Verbindliche Messungen sollen unverbindliche Deutungen ersetzen

Herrscht über wissenschaftliche Fakten ein solider grenzüberschreitender Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, gelten diese Fakten als gesicherte wissenschaftliche Tatsache. In diesem Sinne sollten sich robuste wissenschaftliche Faktenlage maßgeblich durch die Messung der Stärke des wissenschaftlichen Konsenses identifizieren lassen, aber auch durch die Untersuchung der epistemischen Tugenden und Untugenden der jeweiligen Expertengemeinschaft. Ist der so gemessene Konsens hoch (eindeutig), ist die Faktenlage höchstwahrscheinlich belastbar und die Politik hat eine klare Handlungsgrundlage. Eine auf diese Weise untersuchte Fragestellung könnte z.B. lauten: Bieten die gegenwärtig von Icnirp empfohlenen HF-EMF-Grenzwerte einen hinreichend zuverlässigen Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsschädigungen? Ist der Konsens hingegen schwach (uneindeutig), ist die Faktenlage höchstwahrscheinlich nicht belastbar, die Politik hat keine stabile Handlungsgrundlage, kann aber gezielt Geld in klärende Forschungsprojekte pumpen.

In einer Untersuchung an der Universität Durham wurde dieser Ansatz im Juni 2022 an 361 Wissenschaftlern erprobt. Die dabei angewandte Methode erlaubt es im Prinzip innerhalb weniger Tage die Meinungen von bis zu 100'000 Wissenschaftlern zu einer beliebigen wissenschaftlichen Frage abzurufen. So etwas war noch nie zuvor möglich und könnte erhebliche Auswirkungen auf alle haben, die davon profitieren, besser zu verstehen, was eine etablierte wissenschaftliche Tatsache ist und was nicht, einschließlich der Wissenschaftler selbst, der politischen Entscheidungsträger und der breiten Öffentlichkeit.

Vom Verdacht zur Tatsache: Schleichende Übergänge kosten viel Zeit

Projektleiter ist der Philosophieprofessor Peter Vickers, Co-Direktor des Durham Centre for Humanities Engaging Science and Society. Er sagt, Ziel des Projekts sei es, Wissenschaftler aus der ganzen Welt per E-Mail anzusprechen und ihre Meinung zu Themen abzufragen, die in der öffentlichen Diskussion umstritten sind. Die Ergebnisse dieser Umfragen sollen veröffentlicht werden, damit jeder den Grad der Übereinstimmung seines Standpunkts mit den Meinungen der wissenschaftlichen Gemeinschaft erkennen kann.

"Die Menschheit hatte noch nie eine Möglichkeit, die Meinung der wissenschaftlichen Gemeinschaft verlässlich zu messen", erklärt Vickers. Bemühungen hätte es zwar gegeben, diese aber wären stark begrenzt gewesen und hätten sich auf weniger als 2000 Antworten gestützt. "Wir brauchen einen Weg, um die wissenschaftliche Meinung in großem Maßstab und international zu erfassen", fügt er hinzu. Irgendwann im 20. Jahrhundert sei der Verdacht, dass Rauchen Krebs verursacht, als etablierte Tatsache akzeptiert worden, niemand wisse jedoch genau, wann das war. Auch heute noch sei es schwierig den Zeitpunkt genau zu bestimmen, ab dem ein Verdacht kein Verdacht mehr ist, sondern eine Tatsache.

Zweifel säen ohne Erfolg

Die von der Mehrheitsmeinung abweichende Meinung einer kleinen Anzahl von Wissenschaftlern könne leicht einen falschen Eindruck von der tatsächlichen Stärke des wissenschaftlichen Konsenses zu einem Thema vermitteln. Die Tabakindustrie, so Vickers weiter, habe dies in den 1960er und 1970er Jahren genutzt, um Ärzte und Wissenschaftler dazu zu bringen, die Verbindung zwischen Rauchen und Krebs in Frage zu stellen. "Hätte es unser geplantes Institut schon gegeben, als die Wissenschaft gegen Big Tobacco kämpfte, wir wären selbst dann, wenn die Tabakfirmen 100 Wissenschaftler den Zusammenhang mit Krebs hätten anzweifelten lassen, in der Lage gewesen zu zeigen, dass die Zweifler nur eine sehr kleine Minderheit waren."

Munkeln & Raunen haben ausgespielt

Wenn Leute den Eindruck haben, die Wissenschaft habe bei bestimmten Themen eine 50:50-Pattsituation, kann das tatsächliche Verhältnis z.B. bei 80:20 liegen. In der Mobilfunkdebatte benutzen Kritiker den Begriff "Pattsituation" tatsächlich, um belegfrei zu ihren Gunsten ein wissenschaftlich ausgewogenes Kräfteverhältnis vorzutäuschen. Vickers: Die Öffentlichkeit mit konkreten Zahlen zu informieren, könnte helfen, falsche Vorstellungen über die wahren Kräfteverhältnisse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu korrigieren. Zudem könnten solche Informationen Licht ins Dunkel bringen, in welchen Ländern oder Teilen der Welt Experten die Dinge anders sehen als das Gros ihrer Kollegen.

Wissenschaftler von sechs Kontinenten haben sich bereits gefunden, die erste Testphase des Pilotprojekts zu unterstützen. Jim Al-Khalili, Professor für theoretische Physik an der Universität von Surrey und Moderator der BBC-Sendung The Life Scientific, gehört zu den Dutzenden von führenden Wissenschaftlern, die sich bereit erklärt haben, dem Beirat anzugehören.

Vickers vs. Schiller

Vickers ist zuversichtlich: "Niemand weiß wirklich, wann wir einen wissenschaftlichen Verdacht als Tatsache betrachten dürfen, aber wenn wir in einer Streitfrage auf eine 95-prozentige Übereinstimmung in der Wissenschaft verweisen können, dann kann man sicherlich ein Urteil darüber fällen."

Klingt plausibel und vielversprechend.

Doch Friedrich Schiller (1759 – 1805) hält dagegen: "Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen; Der Staat muss untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet."

Und nun?

Quellen
Institute for Ascertaining Scientific Consensus
‘Institute for scientific facts’ aims to smash fake news

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Wissenschaft, Risiko, Einflussnahme, Fakten, Tabakindustrie, Patt, Pilotprojekt, Fake, Konsens, Mehrheitsprinzip, Vickers, Tatsache, Durham

Sabine Hossenfelder: »Wissenschaft ist keine Demokratie«

H. Lamarr @, München, Sonntag, 26.03.2023, 22:33 (vor 414 Tagen) @ H. Lamarr

Vickers ist zuversichtlich: "Niemand weiß wirklich, wann wir einen wissenschaftlichen Verdacht als Tatsache betrachten dürfen, aber wenn wir in einer Streitfrage auf eine 95-prozentige Übereinstimmung in der Wissenschaft verweisen können, dann kann man sicherlich ein Urteil darüber fällen."

Klingt plausibel und vielversprechend.

Doch Friedrich Schiller (1759 – 1805) hält dagegen: "Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen; Der Staat muss untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet."

Die gegenwärtig medienpräsente Physikerin Sabine Hossenfelder (z.B. »Zehn Kilogramm Masse reichen, um ein Universum zu erzeugen«) hält es nicht mit Vickers, sondern mit Schiller. Auf Twitter schreibt sie zu Vickers Vorhaben, wissenschaftliche Streitfragen durch groß angelegte Mehrheitsentscheidungen der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu klären:

Sabine Hossenfelder: Das ist eine schlechte Idee. Wissenschaft ist keine Demokratie. Je mehr Wissenschaftler jemand zu einem Thema befragt, desto weniger von ihnen werden das Thema tatsächlich verstehen. Sammeln Sie Argumente, keine Meinungen.

Vielleicht sollte ich eine Erklärung hinzufügen, warum ich so denke. Das Problem ist, dass die Menschen die falschen Schlüsse aus diesen Zahlen ziehen. Sie interpretieren sie als Wahrscheinlichkeit, dass eine "Aussage" richtig oder falsch ist, und berücksichtigen dabei nicht die Wahrscheinlichkeit, dass [auch] Wissenschaftler manchmal falsch liegen.

Wenn Sie wissen wollen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht wird, führen Sie eine Datenanalyse durch. Sie befragen keine Wissenschaftler. Aber wenn 3 % der Wissenschaftler in einer Umfrage sagen, dass sie nicht glauben, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht wird, dann besteht das Risiko, dass die Menschen glauben, die Wahrscheinlichkeit, dass diese Meinung zutreffend sei, liege bei 3 %.

In der Wissenschaft gibt es immer Leute, die an liebgewonnenen Überzeugungen festhalten und sich nicht die Mühe machen, über neue Daten/Ergebnisse/Argumente nachzudenken, weil diese möglicherweise dem widersprechen, was sie einmal behauptet haben. Wenn Sie sich auf Umfragen verlassen, müssen Sie all diese sozialen und psychologischen Probleme berücksichtigen.

Kareem Carr (Datenforscher) meint dazu: Ich denke, dass es richtig ist, zu versuchen, den Konsens herauszufinden, aber eine Abstimmung ist nicht der richtige Weg. Ich würde stattdessen eine Meta-Analyse der verfügbaren Studien oder eine Literaturübersicht über die relevanten Peer-Review-Artikel durchführen.

Sabine Hossenfelder: Ja, das wäre der wissenschaftliche Ansatz. Sammeln Sie Argumente, finden Sie heraus, ob jemand etwas daran auszusetzen hat. Folgen Sie der Logik bis zum Ende. Dafür könnten wir wirklich ein Institut brauchen. Oder vielleicht können wir eine KI dazu bringen, das zu tun ...

Ed McLaughlin (Privatperson) wirft ein: Können Sie über das Geheimnis der Wissenschaft sprechen? Die traurige Tatsache, dass die meisten Forschungsprojekte durch Zuschüsse finanziert werden und die Zuschussgeber ein bestimmtes Ergebnis für die von ihnen finanzierte Forschung erwarten? Das bringt die Forscher in die Bredouille. Will ich Wissenschaft betreiben oder meine Familie ernähren?

Sabine Hossenfelder: Ich bin seit mehr als 20 Jahren in der Forschung tätig und habe noch nie einen Geldgeber getroffen, der ein bestimmtes Ergebnis erwartete. Was sie wollen, sind Berichte über das Ergebnis, aber kein bestimmtes Ergebnis.

Francesco Tassinari (an die Physik ausgeliehener Chemiker) ist eher auf Vickers Seite: Hören Sie bitte auf zu sagen, Wissenschaft sei nicht demokratisch. Das ist keine gute Art, sowohl über Wissenschaft als auch über Demokratie nachzudenken.

Sabine Hossenfelder kämpferisch: Es stimmt aber und deshalb werde ich es weiterhin sagen.

[...]

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Hossenfelder

»Wissenschaft ist keine Demokratie«: konkretes Beispiel

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 29.03.2023, 18:23 (vor 411 Tagen) @ H. Lamarr

Sabine Hossenfelder: [...] Sammeln Sie Argumente, keine Meinungen.

Toll, mit nur fünf Worten legt Hossenfelder z.B. den sogenannten Wissenschaftlerappell von Hardell und Nyberg in Schutt & Asche. Denn der sammelt noch nicht einmal kontroverse Meinungen ein, sondern lediglich Unterstützungsbekundungen für eine einzige vorgefertigte Meinung. Argumente sind nicht vonnöten, ergo kann jeder Idiot teilnehmen. Wie schlimm das ist, weil unqualifizierte Meinungen bei bloßer Namensnennung nicht unmittelbar erkennbar sind, zeigt dieses Posting. Dort sind den Namen dokumentierte Interessenkonflikte zugeordnet. Erst dadurch wird deutlich, wie wertvoll das Sammeln von Meinungen (Köpfen) sein kann, wenn es banal um Interessenpolitik geht, und wie erschreckend wertlos so eine Sammlung ist, wenn es um Wissenszuwachs/Erkenntnisgewinn geht.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Demokratie in der Wissenschaft: Mehrheit siegt?

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 29.03.2023, 18:48 (vor 411 Tagen) @ H. Lamarr

Die Tabakindustrie, so Vickers weiter, habe dies in den 1960er und 1970er Jahren genutzt, um Ärzte und Wissenschaftler dazu zu bringen, die Verbindung zwischen Rauchen und Krebs in Frage zu stellen. "Hätte es unser geplantes Institut schon gegeben, als die Wissenschaft gegen Big Tobacco kämpfte, wir wären selbst dann, wenn die Tabakfirmen 100 Wissenschaftler den Zusammenhang mit Krebs hätten anzweifelten lassen, in der Lage gewesen zu zeigen, dass die Zweifler nur eine sehr kleine Minderheit waren."

Ja, im Rückblick aus dem Jahr 2023 ist die Sichtweise von Vickers nachvollziehbar. Aber was wäre gewesen, hätte es das Institut damals tatsächlich gegeben? Hätte Big Tobacco dem tatenlos zugeschaut? Wohl eher nicht, wahrscheinlicher ist die Annahme, das wissenschaftliche Stimmvolk wäre unterwandert worden, um das Ergebnis von Abstimmungen vorherbestimmen zu können. Die zweifelsfreie Integrität von 100'000 Wissenschaftlern vor jeder Abstimmung gewährleisten zu wollen halte ich für eine schier unlösbare Sisyphosaufgabe. Und ergäben handhabbare Stichproben bei vielleicht 100 Personen nur zehn faule Eier, das Vertrauen in die Ergebnisse wäre irreparabel geschädigt, zumindest bei knappen Ergebnissen. Dann wäre alles beim Alten, wieder würden Zweifel regieren.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Demokratie in der Wissenschaft: Keine Konsensdebatte mit Icnirp

H. Lamarr @, München, Samstag, 01.04.2023, 21:13 (vor 408 Tagen) @ H. Lamarr

Akademische Mobilfunkkritiker und einige Vereine mühen sich seit vielen Jahren ab, der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, in der Mobilfunkdebatte stünden sich zwei gleich starke Interessengruppen seit Jahrzehnten Kopf an Kopf gegenüber. Die einen verteidigen die gegenwärtig in rd. 140 Ländern geltenden Icnirp-Grenzwerte (für Ganzkörper-Befeldung), die anderen fordern niedrigere Grenzwerte. Die Rede ist von einer Patt-Situation. Seit mindestens 20 Jahren geht dies nun so. Doch unbeschadet von der Dauerkritik entschlossen sich in dieser Zeit weitere Länder für die Übernahme der Icnirp-Grenzwerte. Die Kritiker hingegen gingen leer aus, sie mussten notgedrungen mit allerlei "Wissenschaftler-Appellen" auf ihren Standpunkt aufmerksam machen, Beachtung schenke diesen jedoch keine einzige Regierung auf dieser Welt, allein Anti-Mobilfunk-Vereine richteten sich daran auf. Das ist die Ausgangslage: Icnirp ist der unnachgiebige Wellenbrecher, an dem die Energie aller bisher von Kritikern entfachten Wellen folgenlos verebbte.

Der finnische Wissenschaftler Dariusz Leszczynski, auch er ein Icnirp-Kritiker, hat kürzlich einen neuen Vorschlag gemacht, die Polarisierung zu überwinden. Er schlägt eine Konsensdebatte zwischen den Wissenschaftlern beider Lager vor, organisiert und moderiert z.B. von der WHO oder Iarc.

Aus Sicht des Beobachters ist dies eine freundliche Handreichung des Schwächeren an den Stärkeren. Aus Sicht der Kritiker ist dies die Chance, endlich als Gesprächspartner auf Augenhöhe anerkannt zu werden und nicht länger auf die Vereine mit ihren "Bauernheeren" angewiesen zu sein.

Wie aber ist die Sicht von Icnirp auf den Vorschlag des Finnen?

Dem Flurfunk zufolge lehnt der Wellenbrecher den Vorschlag kategorisch ab. Eine solche Konsensdebatte werde es mit Icnirp nicht geben, denn damit würde ein komplett falsches Framing entstehen. In Wissenschaftskreisen repräsentiert Icnirp die wissenschaftliche Bandbreite. Die Kommission gibt sich damit so selbstbewusst wie kürzlich die deutsche und österreichische Wissenschaftsakademie in der Politikberatung. Innerhalb Icnirp gäbe es durchaus kritische Auseinandersetzungen und grundsätzlich hätten dort auch wissenschaftliche Extrempositionen Platz, würden diese mit einer konstruktiven Diskussionkultur vorgetragen. Einen Dialog mit Lennart Hardell oder ICBE-EMF werde es jedoch nicht geben. Dies würde bei Laien das Framing zementieren, es gäbe zwei Pole in der Wissenschaft und die Wahrheit läge in der Mitte. Icnirp betrachtet seine Grenzwert-Empfehlungen nicht als verhandelbar, denn diese beruhten auf Fakten. Wer Einfluss auf die Empfehlungen haben möchte, möge belastbare wissenschaftliche Fakten beibringen, keine Meinungen.

Hintergrund
Die Wahrheit liegt verdammt noch mal nicht in der Mitte

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Wissenschaft, Leszczynski, Patt, ICBE-EMF, Konsens, Framing

IASC-Projekt: Stand Januar 2024

H. Lamarr @, München, Freitag, 12.01.2024, 20:10 (vor 122 Tagen) @ H. Lamarr

Das Pilotprojekt (Laufzeit bis 2023) will die Machbarkeit eines "Institute for Ascertaining Scientific Consensus" (IASC, Institut für die Bestimmung des wissenschaftlichen Konsenses) ausloten.

Inzwischen ist das Pilotprojekt, an dem sich 30 Universitäten beteiligt haben, abgeschlossen und heute ist die Anzahl der Universitäten, die an dem Projekt teilnehmen auf 80 angewachsen, darunter die Universitäten Wien, Köln, Bonn und München (LMU). Allerdings erreicht Vickers mit seinem Projekt damit erst knapp 1 Prozent der weltweit etwa 8'500 Universitäten, da ist noch viel Luft nach oben. Andererseits ist es ihm gelungen, mit Naomi Oreskes eine bekannte prominente Wissenschaftlerin in den 20-köpfigen Projektbeirat zu holen.

Über konkrete Umfragen unter den "tausenden Wissenschaftlern", die derzeit teilnehmen, berichtet die Projektwebsite (noch) nicht. Schade, wäre schon interessant gewesen, was bei der Frage einer verunsicherten Landesregierung herausgekommen wäre, z.B. ob der Gebrauch von Smartphones mit einem nennenswerten Gesundheitsrisiko verbunden ist. Da müssen wir wohl noch unbestimmte Zeit warten. Die Organisation für den Fall der Fälle aber steht schon. Jede Frage geht zuerst an eine kleine nicht näher benannte Kernmannschaft des Projekts (Alpha-Test). Danach geht sie an 116 Beta-Tester und erst dann gibt es den großen Bahnhof mit allen am Projekt teilnehmenden Wissenschaftlern. Auf diese Weise will Vickers die Erhebungsmethodik prüfen und optimieren. Wann diese Testphase abgeschlossen ist und das Projekt den Regelbetrieb startet ist jedoch ebenso ungewiss wie der Zulauf weiterer Universitäten, um das ursprünglich gesetzte Ziel von hundertausend Wissenschaftlern im IASC-Netzwerk zu erreichen.

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