Zürch: Gericht stellt 5G-Baubewilligungen auf den Prüfstand (Allgemein)
Am 22. Mai 2025 verschärfte das Verwaltungsgericht des Kantons Zürch mit seinem Urteil VB.2024.00753 die Anforderungen an Baugesuche für Mobilfunkantennenanlagen. Zeitnahe öffentliche Reaktionen auf das Urteil blieben aus. Am 9. August reagierte zuerst ein Ingenieurbüro in Morgarten, am 15. August auch der Verein Gigaherz.
◄ Kanton Zürch. Direkter Wirkungsbereich des Urteils
Bild: Google
Die Baukommission der Gemeinde Aeugst im Kanton Zürch erteilte mit Beschluss vom 6. September 2023 dem Mobilfunknetzbetreiber Salt die Baubewilligung für die Erweiterung einer bestehenden Mobilfunkantennenanlage. Dagegen erhoben drei Privatpersonen und der Türlersee-Schutzverband mit gemeinsamer Eingabe vom 12. Oktober 2023 Rekurs. Sie beantragten die Aufhebung der angefochtenen Bewilligungen. Das Baurekursgericht wies mit Entscheid vom 5. November 2024 den Rekurs der Privatpersonen ab, auf den Rekurs des Verbands trat es nicht ein. Die Verfahrenskosten von 6265 CHF wurden den Rekurrenten auferlegt. Alle Rekurrenten erhoben mit gemeinsamer Eingabe vom 11. Dezember 2024 Beschwerde gegen den Entscheid des Baurekursgerichts. Sie beantragten, der Entscheid des Baurekursgerichts und die Baubewilligung seien aufzuheben, ersatzweise sei die Sache zwecks vertiefter Abklärungen an das Baurekursgericht zurückzuweisen. Sodann sei die Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit von Ziff. 63 des Anhangs 1 der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung vom 23. Dezember 1999 (NISV; SR 814.710) festzustellen. Weiter sei ein Amtsbericht oder ein Gutachten zu den Fragen einzuholen, inwieweit die Kontrollmechanismen im QS-System die Einhaltung der Grenzwerte gewährleisten können und wie weit die vom Bundesgericht angeordnete Überprüfung durch die Kantone fortgeschritten sei.
Das Urteil kurz und bündig
Das Verwaltungsgericht gab einigen Anträgen der Beschwerdeführer ganz oder teilweise statt, andere Anträge wurden abgelehnt. Hier die Übersicht:
► Aufhebung Baubewilligung für die 5G-Antenne: Stattgegeben, die Baubewilligung wurde aufgehoben.
► Feststellung, die Baubehörde habe Sorgfaltspflichten verletzt: Teilweise stattgegeben, das Gericht erkannte auf unvollständige Unterlagen und stellte verschärfte Dokumentationsanforderungen (siehe weiter unten).
► Rückweisung an das Baurekursgericht zur vertieften Abklärung: Stattgegeben, das Baurekursgericht muss fehlende Abklärungen nachholen.
► Kritik am QS-System: Abgelehnt, das QS-System wird als Steuerungsinstrument der Mobilfunknetzbetreiber anerkannt, Dokumentationslücken müssen nachträglich von den Betreibern (nicht den Baubehörden) geschlossen werden.
► Feststellung der Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit von Ziff. 63 Anhang 1 NISV: Abgelehnt, Ziff. 63 bleibt gültig; Baubehörde muss Vorschrift weiterhin berücksichtigen.
► Strikte Kontrolle (Sendeleistung/Exposition) nach Ziff. 63 NISV: Stattgegeben, Dokumentation und Nachweisbarkeit müssen gewährleistet sein.
Verschärfte Dokumentationsanforderungen
Hier die verschärften Anforderungen, die das Urteil an Baugesuche für Mobilfunkantennen stellt (insbesondere 5G/adaptive Antennen):
► Korrekturfaktor und maximale Sendeleistung müssen im Standortdatenblatt ausdrücklich und konkret ausgewiesen sein.
► Antennendiagramme sind vollständig und detailliert darzustellen; sie müssen auch in elektronischem Format verfügbar sein.
► Behörden unterliegen einer strikten Aktenführungspflicht; betroffene Personen haben ein Recht auf Akteneinsicht in alle relevanten Unterlagen.
► Mobilfunkabdeckungskarten müssen nachvollziehbar und belastbar sein; unzureichende Karten genügen nicht, um die gesetzlich geforderte Standortgebundenheit (Art. 24 lit. a RPG) nachzuweisen.
Folgen des Urteils
Das Urteil erhöht aus Sicht von ChatGPT die Rechtssicherheit durch klare Dokumentationspflichten und es fördert die demokratische Kontrolle, indem betroffenen Gemeinden bzw. Verbänden Akteneinsicht und nachvollziehbare Unterlagen ermöglicht werden. Andererseits kann das Urteil die Netzverdichtung verzögern, wenn unvollständige Gesuche zurückgewiesen werden oder ergänzt werden müssen.
Formal hat das Urteil allein im Kanton Zürich Wirkung. Faktisch kann es jedoch auf die gesamte Schweiz ausstrahlen, weil andere Gerichte, Behörden und Mobilfunkgegner darauf Bezug nehmen können. Verbindlich für die ganze Schweiz wird es erst, wenn das Bundesgericht die Fragen geprüft und entschieden hat.
Momentan ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, die Beschwerdefrist endet am 18. August 2025. Wird bis dahin Beschwerde eingereicht, übernimmt das Bundesgericht das Verfahren. Ohne Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig.
Rezeption des Urteils in der Schweiz
An den großen und kleinen Schweizer Medien lief das Urteil bis heute völlig vorbei. Dass es jetzt überhaupt wahrgenommen wird, ist das Verdienst des Ingenieurbüros Andreas Groß GmbH, welches das Urteil am 9. August 2025 als erster Rezipient auf seiner erst Mitte 2024 entstandenen Website mit der programmatischen Domain standortdatenblatt.ch verwurstet.
Der Dienstleister verspricht fachlich fundierte Beratung und Gutachten für Bürger, die speziell bei Einspracheverfahren gegen Mobilfunkantennen Unterstützung suchen und Baugesuchsunterlagen einer geplanten Antennenanlage zur Prüfung einreichen können. Der angebotene Service soll technische Details verständlich machen, Beweismittel für erfolgreiche Einsprachen liefern und die zu erwartende Strahlenbelastung objektiv und nachvollziehbar bestimmen. Mit welchen Kosten dieses Angebot verbunden ist, darüber schweigt die Website. Das Angebot ist jedoch zweifelsfrei kommerziell und es adressiert Menschen, die Anhänger des St.-Florian-Prinzips sind und strikt keine Mobilfunkinfrastruktur in ihrem eigenen Wohnumfeld sehen möchten.
Über das Motiv von Andreas Groß gibt sein Portrait Auskunft: Nachdem im Januar 2020 in Morgarten eine 5G-Mobilfunkantenne erst geplant und dann gebaut wurde, hat er dagegen Einsprache erhoben und sich über die Besonderheiten der 5. Generation des Mobilfunks informiert. Als Physiker und Amateurfunker soll es ihm leichter als Anderen gefallen sein, das Fachchinesisch zu durchdringen. Das kann man nun glauben oder nicht. Ich habe mich wegen der folgenden indiskutablen Textpassage für nicht entschieden:
Im Wesentlichen wurde schon 2017 von der Industrie beteuert, dass 5G auf der Basis der Schweizer Grenzwerte gar nicht installiert werden kann, weil hier eine zu dichte Bebauung existiert und die nötigen Sicherheitsabstände meist nicht eingehalten werden können [...]
◄ Frühe Panikmache gegen 5G
Bild: kla.tv
Mit der äußerst unglücklichen Textpassage rückt Groß sich selbst dicht an den ehemaligen Gigaherz-Präsidenten Jakob heran. Ex-Elektriker Jakob erbeutete 2018 eine Präsentation von Christer Törnevik, Ericsson, und fabrizierte daraus ohne ordentliche Quellenangabe seine "Dringende Warnung vor 5G", die als herausragendes Schandmal für böswillige Desinformation in die Geschichte von 5G eingegangen ist. Sektenführer Ivo Sasek aber war begeistert von dem, was Jakob verbreitete, er "verfilmte" den Stuss für seinen Desinformationskanal klagemauer.tv. Erst ungefähr ein Jahr später fand ich das Original von Törneviks Präsentation. Damit war der Spuk schnell zu Ende, denn der Schwede erklärte in den Begleittexten zu seinen Grafiken, warum diese so gruselig wirken. Beispielsweise, weil eine unrealistisch hohe Sendeleistung angenommen wurde. Heute, fünf Jahre nach Einführung von 5G belegen etliche Messkampagnen, dass Jakobs Warnung nichts anderes als verantwortungslose Panikmache war.
Groß treibt es im konkreten Fall nicht ganz so schlimm wie Jakob. Auch er schürt aus Geschäftsinteresse irrationale Furcht vor 5G, zeigt dazu aber wenigstens Törneviks Präsentation mit den erhellenden Begleittexten auf Englisch. Texte wie "Der Ersatz der Strahlungshöchstgrenze durch einen Mittelwert mittels Korrekturfaktor ist völlig unbegründet und daher rechtswidrig" werfen allerdings nicht weniger dunkle Schatten auf Groß' Kompetenzen in HF-EMF-Sachfragen. Mit derart populistischen Verlautbarungen lässt der eingebürgerte Deutsche keinen Zweifel, wer seine Zielgruppe ist und wer seine Argumentationsgegner sind.
Aeugst und Morgarten liegen nur eine halbe Autostunde voneinander entfernt. Ich halte es daher für naheliegend, dass die Beschwerdeführer im Fall VB.2024.00753 und Physiker Groß sich kennen und in engem Kontakt sind. Mutmaßlich erkannte Groß während des Verfahrensgangs das Geschäftspotenzial einer Einspracheberatung und hob daraufhin 2024 seine Website standortdatenblatt.ch aus der Taufe.
Nur Transition News berichtet
Am 15. August 2025 publizierte das Webportal Transition News als bisher einziges unabhängiges Medium die Entdeckung von Andreas Groß. Erfahrungsgemäß passiert so etwas bevorzugt dann, wenn ein Informationsgeber persönlichen Kontakt zu einem Informationsnehmer gesucht hat.
Transition News gehört zur Genossenschaft Transition Media mit Sitz in der Schweiz – offenbar eine Gemeinschaft ohne kommerzielle Interessen. Über-uns-Seiten betonen die Unabhängigkeit von Partei- oder Lobbyeinflüssen. Inhalte sind Themen wie Geopolitik, Gesundheit, Wissenschaft und Gesellschaft. Sie präsentieren sich als "alternative Medien" mit eigenem Rechercheansatz und teils scharfer Kritik an Mainstream-Medien, erzählte mir ChatGPT. Obwohl Transition News formal unabhängig sei, lasse die inhaltliche Nähe zu der Schwurbelplattform Hoch2 und die frühere personelle Konstellation bei Hoch2 Bedenken hinsichtlich möglicher ideologischer Neigungen aufkommen.
Mitfahrer Jakob
Auch der Verein Gigaherz in Person von Hans-U. Jakob brachte am 15. August die Story des VG-Urteils aus Zürch. Nennt Transition News noch anständig die Quelle der Information, verkneift sich Jakob jeglichen Hinweis auf Groß und erweckt den Eindruck, sein umfangreicher Beitrag sei ganz allein auf seinem Mist gewachsen. Inhaltlich stellt Jakob wie gewohnt meinungsstark und substanzarm auf Details ab, die er für wichtig hält.
Hintergrund
Verein Stop 5G in Aeugst
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –