Antenneninitiative: Gigaherz serviert Schweizer Wurstsalat (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 08.05.2016, 11:57 (vor 3133 Tagen) @ H. Lamarr

Wieder einmal tritt im endlosen Streit um Mobilfunkstandorte Hirn (Physik) gegen Bauch (Mobilfunkgegner) an, bislang hat stets Hirn gewonnen, allerdings nur knapp.

Hans-U. Jakob (Verein Gigaherz.ch) startete am 7. Mai seine angekündigte Kampagne zur Desinformation der Luzerner Bevölkerung. Diese soll am 5. Juni bei der Abstimmung über die Antenneninitiative unbedingt mit "Ja" stimmen. Um dieses Ziel zu erreichen, verbreitet Ex-Elektriker Jakob wieder einmal fachlich unqualifizierte Behauptungen wie diese:

Mobilfunkanbieter gehen in ihren Propagandaschriften sogar soweit zu behaupten, je mehr Antennen sie aufstellen dürften, umso geringer werde die Strahlenbelastung für die Bevölkerung

Jeder Gartenbesitzer kennt die Binsenweisheit, dass er beim Bewässern seines Rasens mit z.B. vier Rasensprengern den Wasserhahn weitaus weniger aufdrehen muss, als wenn ein Rasensprenger diese Aufgabe verrichten muss. Mit der Versorgungsfläche durch Mobilfunk ist dies nicht viel anders, bis drauf, dass ein Teil der Reduktion durch vier Sendemasten anstelle von einem einzigen dadurch verloren geht, weil Menschen heute mit Smartphones weitaus mehr machen möchten, als nur (wie früher mit dem Handy) mobil telefonieren. Die Funkwellenausbreitung hat etwas mit elementarer Physik zu tun, mit der Herr Jakob bekanntlich auf Kriegsfuß steht. So argumentiert er auch nicht physikalisch nachvollziehbar gegen die wünschenswerte und sinnvolle Netzverdichtung mit möglichst vielen "kleinen" Sendemasten kurzer Reichweite (Mikrozellen), sondern mit selektierten Planungsdaten der Netzbetreiber, die aus Sicht des Ex-Elektrikers keine Minimierung erkennen lassen. Diese Fehleinschätzung Jakobs beruht darauf, dass er bis heute nicht verstanden hat, was es mit den Immissions- und Anlagegrenzwerten in der Schweiz auf sich hat. Weltweit ist Jakob der einzige, der die Schweizer Anlagenwerte starrsinnig als Mogelpackung sieht, er behauptet dies seit mindestens zwölf Jahren, niemand, nicht einmal andere Mobilfunkgegner, ist ihm auf diesem Weg gegen eine Betonmauer gefolgt. Woher die Denkblockade des Schwarzenburgers kommt ist unklar, vermutlich tut er sich mit dem Begriff "Immission" schwer und ist der irrigen Ansicht, diese müsse an der Außenmauer eines Gebäudes stoppen.

Was Jakob tunlichst verschweigt: Handys gelten heute in der Forschung als letztes Restrisiko der Mobilfunktechnik, weil sich die Leute bei schlechter Verbindungsqualität bis zu 2 W Sendeleistung in den Kopf pumpen. Jede Netzverdichtung mit Sendemasten die genau dort stehen, wo viel zum Handy gegriffen wird (also auch in Wohngebieten), reduziert dieses letzte Restrisiko, da Handys bei guter Verbindungsqualität mit bis zu 1000-fach geringerer Leistung senden können. Dies ist reale Vorsorge, die jedem zugute kommt, der ein Handy benutzt.

Am 16. Januar 2016, als klar wurde, dass die Luzerner über die Antenneninitiative abstimmen dürfen, behauptete Jakob:

[...] Andererseits werden die Mobilfunkbetreiber locker eine Million in ihre Abstimmungspropaganda investieren können. Und wie diese aussieht ist hinlänglich bekannt. Die schrecken selbst vor Auftrags-Mobbing und Auftrags-Rufmord nicht zurück.

Von einer Abstimmungspropaganda der Netzbetreiber, und sei sie noch so klein, ist nicht das Geringste zu erkennen. Es sieht bislang eher danach aus, dass die Betreiber nicht einen Franken investieren wollen, um die Abstimmung in Luzern zu gewinnen. Trommeln tun bislang die Antenneninitiative und Herr Jakob. Der bald 80-jährige unbelehrbare Mobilfunkgegner reagiert auf Widerspruch sehr empfindlich und sieht sich schnell gemobbt oder gerufmordet, statt mit guten Sachargumenten Einwände zu entkräften.

In seiner jetzigen Offensive schürt Herr Jakob ungeniert unbegründete Ängste, indem er eines seiner ältesten Märchen erzählt:

Der Antennenstrahlung vom Dach des lieben Nachbarn bin ich jedoch gnadenlos 24 Stunden am Tag, während 365 Tagen im Jahr ausgesetzt.

Seit bald 20 Jahren verunsichern Mobilfunkgegner mit solchen Drohungen die Bevölkerung. Doch es gibt keinerlei belastbare Hinweise darauf, dass schwache Mobilfunk-Dauerbefeldung weit unter Grenzwert biologisch unverträglicher wäre als schwaches Tageslicht. Jakob versucht mit seiner Behauptung der Bevölkerung Angst vor Sendemasten einzuimpfen. Wäre an seiner Drohung etwas dran, ein Hühnerei müsse nur lange genug z.B. 6 °C ausgesetzt werden, um es zu garen. Die 6 °C stehen stellvertretend für die schwachen Funkfelder, die von Mobilfunk-Sendemasten auf die Bevölkerung einwirken. Eiweiß gerinnt bei etwa 60 °C. Tatsächlich sind die Funkfelder von Mobilfunk-Sendemasten nicht nur um Faktor 10 von einer besorgniserregenden Intensität entfernt, sondern häufig um Faktor 1000 und mehr. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen werden Werte im Bereich von 10 Prozent Grenzwertausschöpfung erreicht.

Das Sammelsurium an weiteren schwachen, dummen und falschen Argumenten, das Herr Jakob in seinem Beitrag auftischt, ist Schweizer Wurstsalat, der mich in keiner Weise überzeugt. Wenn das Alles ist, was schweizerische Mobilfunkgegner auf die Beine stellen können, um die Volksinitiative in Luzern zu gewinnen, dann ist dies aus meiner Sicht viel zu saft- und kraftlos. Dabei hatte Gigaherz im Januar noch Großes angekündigt: "Gigaherz wird sich hüten, die Argumente pro Kaskadenmodell und gegen die Propagandaflut der Mobilfunker schon zum heutigen Zeitpunkt öffentlich zu machen. Dies wird erst kurz vor der Volksabstimmung erfolgen."

Da Desinformation jedoch immer dort verfängt, wo sie auf unvorbereitete (uninformierte) Menschen trifft, wird der Stuss, den Herr Jakob unablässig verbreitet, auch in Luzern Abnehmer finden. Sollten die Netzbetreiber dem weiter tatenlos zuschauen, könnte es bei der Abstimmung noch spannend werden, zumal aufgestachelte Wutbürger eher die Mühen einer Abstimmung auf sich nehmen als aufgeklärte coole Verstandesmenschen. Die Initianten der Volksinitiative geben sich gleichwohl vorsorglich pessimistisch und rechnen mit einer knappen Niederlage. Vermutlich ist dies taktisch begründet, um Zauderer zu mobilisieren. Ich bin gespannt.

In einem Monat sind wir alle schlauer.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Falschmeldung, Netzverdichtung, Lüge, Mogelpackung, Anlagenwert, Desinformtion, Immissionsgrenzwerte


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