Wenn Hypothesen zu Prothesen werden ▼ (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 19.10.2008, 14:02 (vor 5901 Tagen) @ Schmetterling

Wie können Sie dann 100 % ausschließen, dass die Erkrankung von Frau H. und ihrem Kind nicht Elektrosmog als Ursache hat?

Ich hoffte, Schmetterling, dass wir über Fragestellungen dieser Art längst hinausgekommen sind. Da hat sich ein alter Fehlschluss nur ein andersfarbiges Mäntelchen umgehängt, bleibt aber selbst unverändert: Sie reden hier wieder vom Beweis, dass mit EMF ein Null-Risiko verbunden ist. Diesen Beweis kann es nicht geben, für nichts und niemand: Nicht für Zucker, Pilze, Kuhmist, Bazillen, Autoabgase, Tannen, Birken, Hochspannungsmasten und - EMF. Ja, stimmt haargenau, die Erkrankung von Frau Hentschel kann deshalb möglicherweise ganz allein auf EMF zurückgeführt werden. Oder auf Stress mit dem Vermieter. Oder auf Formaldehydausdünstungen. Oder auf Liebeskummer. Oder auf Waschmittelallergie. Oder ... Die Hypothesenliste könnte gut und gerne zig Punkte umfassen, EMF rangiert bei mir ganz unten, bei Ihnen ganz oben. Ersetzen Sie mal in Gedanken "EMF spüren" gegen "grüne Marsmännchen gesehen", dann wird Ihnen die spröde Reaktion der Ungläubigen vielleicht eher verständlich.

Wie schwer schmerzliche Gewissheiten für Betroffene einzusehen sind mag ein aktuelles Beispiel verdeutlichen. Niemand kann zu 100 % ausschließen, dass Jörg Haider sich in einer Schwulenbar besoffen hat, um dann in den Tod zu rasen. Ebensowenig, dass er gemeuchelt wurde, aus irgendwelchen Gründen. Im Fall Haider sind alle Erklärungsfelder mit attraktiven Hypothesen besetzt, jeder kann für sich das Passende raussuchen und verfechten, je nach dem, wie er zu Haider steht. Die Wahrheit verblasst zur Nebensache, die Medien füllen ihre Kanäle und Seiten und auch andere Trittbrettfahrer werden auf ihre Kosten kommen.

Übrigens: Die Wortwahl "Verleugnung athermischer Effekte" (Ihr Threadtitel) finde ich nach wie vor deplaziert und tendenziös weil diese Formulierung auf eines dieser Märchen zurückgeht, die eifrig in diversen "Rundmails" und auf einschlägigen Kritikerseiten verbreitet werden. Nur: Es ist eben nur ein Märchen, die Wahrheit sieht anders aus. Prüfen Sie's nach und Sie werden feststellen, z.B. J. Bernhardt, Mr. ICNIRP höchstpersönlich, hatte solche Effekte bereits in den 1990er-Jahren öffentlich eingeräumt. Das ist das glatte Gegenteil von Verleugnen. Was Sie meinen ist etwas anderes: Verleugnen gesundheitlich relevanter (schädlicher) athermischer Effekte. Die aber werden ebenfalls nicht "geleugnet", denn leugnen heißt (für mich) etwas abstreiten, was bei Licht besehen wahr ist. Die Wissenschaftler aber, die athermische Effekte finden, räumen in aller Regel selber ein, dass sie nicht wissen, welche gesundheitlichen Wirkungen der gefundene Effekt hat (EEG-Veränderung, Bluflussänderung im Hirn, Geldrollenbildung ...). Da helfen dann gerne selbsternannte "Experten" auf Seiten der Kritiker aus, die dem gemeinen Bürger mal eben schnell eine Interpretationshilfe an die Hand geben, die nie entlastend, sondern immer belastend ist.

Auch Sie haben zuweilen diesen Tunnelblick. Denn wenn Sie schreiben:

- die Kairo-Studie: atermische Effekte mit Gedächtnisstörungen unterhalb der Grenzwerte

dann ignorieren Sie die Tatsache, dass von den in Kairo gefundenen athermischen Effekten drei eine positive Wirkung hatten, die jeden, der unter diesem Effekt leiden müsste, erfreuen würde. Auch nehmen Sie die Schwächen dieser Studie, auf die Doris aufmerksam machte, offenbar nicht zur Kenntnis, sondern selektieren ausschließlich nach Alarmmeldungen. Diese Selektion stützt zwar Ihre Thesen und Erfahrungen, manövriert Sie aber in die dunkle Ecke der einseitig Informierten.

Schade nur, dass ich mir hier wieder mal die Finger fusselig schreibe und ich dennoch den Eindruck habe, Sie nicht zu erreichen. Vielleicht schafft dies ein anderer, z.B. dieser hier:

Wer einer angeblichen "Sicherheit", die eigentlich Gewißheit meint, die Freiheit opfert, macht den selben Fehler wie jener Narr, der, um jedes Risiko zu meiden, sein Bett nicht mehr verläßt: Er findet mit 100%-iger Sicherheit ein frühes und elendes Ende. „Null“ Risiko ist das größte Risiko von allen. Besonders Politiker befördern solche Illusionen einer „risiko-freien Sicherheit“. Jeder Unternehmer weiß, daß Risiko die Gegenseite freien Handelns ist. Menschen sind zudem äußerst schlecht dabei, Risiken einzuschätzen, wie etwa die Nobelpreisträger Kahneman und http://wertewirtschaft.org © Institut für Wertewirtschaft 2/16 Die Sicherheits-Illusion Tversky zeigten. Ein Beispiel: Es ist hundertmal gefährlicher hinsichtlich der Unfallgefahr für Kinder, einen Swimmingpool vor dem Haus zu haben als eine Schußwaffe im Haus. Zum Glück benötigt man noch keine Lizenz für den Betrieb der „Tötungsmaschine“ Swimmingpool, aber das ist wohl auch nur eine Frage der Zeit.

Troll-Wiese:
http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?mode=entry&id=25383

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Tunnelblick, Illusion, Preisträger, Selektion, Einseitigkeit, Marsmännchen


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