De-Exposition/Schutzzonen für Elektrosensible keine Lösung (Forschung)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 22.01.2017, 22:20 (vor 2864 Tagen) @ H. Lamarr

Überzeugte Elektrosensible behaupten häufig, unter De-Exposition, also unter Abwesenheit elektromagnetischer Felder (EMF) ginge es ihnen bestens. Eine daraus resultierende Folgehandlung ist die politische Forderung nach "weißen Zonen" (staatlich garantierte EMF-freie "Schutzzonen"). Doch weder die De-Exposition noch die Forderung nach "Schutzzonen" lässt sich wissenschaftlich objektiv begründen, denn zahlreiche qualitativ anspruchsvolle Studien haben hinreichend belegt: Zwischen dem Befinden eines "Elektrosensiblen" und seiner Exposition mit EMF herrscht kein Kausalzusammenhang. Überzeugte Elektrosensible können im Doppelblindversuch eine Befeldungssituation nicht besser wahrnehmen als Kontrollpersonen, die Trefferquote bewegt sich im Bereich von 50 % (raten).

Wenn aber angebliche Elektrosensible nicht wahrnehmen können, ob sie befeldet werden oder nicht, dann sind De-Exposition und "Schutzzonen" keine geeigneten Mittel, den Betroffenen dauerhaft zu helfen. Eine befristete Besserung unter ersichtlichem (!) Feldentzug ist nicht ausgeschlossen, sie lässt sich mit dem Placebo-Effekt jedoch plausibel erklären und ist unter Blindbedingungen nicht reproduzierbar.

Die vermeintliche Hilfe kann sogar leicht ins Gegenteil umschlagen. Denn die Betroffenen werden mit De-Exposition/"Schutzzonen" einer fachärztlichen Behandlung durch einen qualifizierten Psychotherapeuten entfremdet und in eine falsche Richtung geführt (falsch: physische Erkrankung, statt richtig: Phobie), die mit der vollständigen Immunisierung der Betroffenen gegenüber Sachargumenten enden kann. Im Stadium der "vollständigen Überzeugung" (Fanatismus) angekommen, ist ein Therapieerfolg bekanntlich so gut wie ausgeschlossen.

Allein schon die Behauptung eines "Elektrosensiblen", unter De-Exposition verschwänden seine Beschwerden, ist ein Alarmsignal. Denn woher will ein Betroffener verbindlich wissen, dass er momentan de-exponiert ist? Die Antwort ist denkbar einfach: "Elektrosensible" trauen ihrer ungewollten Fähigkeit selbst nicht über den Weg, sie decken sich deshalb gerne mit Messgeräten und Detektoren ein, die mit Tönen, Messwerten oder Ampelsymbolen über die momentane Feldsituation Auskunft geben. Der Markt hat längst reagiert, das Angebot ist üppig und auch preislich ist für jeden Geldbeutel etwas dabei. Mir ist kein überzeugter Elektrosensibler bekannt, der ohne diese technischen Hilfsmittel auskäme. Derart ausgerüstet unterlaufen "Elektrosensible" jedoch die wesentliche Voraussetzung für eine objektive Selbsteinschätzung (Verblindung): Sich nach einem verstohlenen Blick auf ein technisches Hilfsmittel gut oder schlecht zu fühlen, ist die klassische Form der Selbsttäuschung.

Eine wirkungsvolle erste Behandlungsmaßnahme wäre daher, jedem Betroffenen seine technischen Hilfsmittel wegzunehmen und ihn über deren Schadwirkung gründlich und verständnisvoll aufzuklären. Diese ärztliche Beratung muss sitzen. Denn häufig sind "Elektrosensible" gut vernetzt und bedienen sich schlimmstenfalls heimlich der Hilfsmittel eines befreundeten Betroffenen, um den Behandler in die Irre und zur gewünschten Diagnose zu führen.

Hintergrund
Warum "Schutzzonen" für "Elektrosensible" Unsinn sind
Are some people sensitive to mobile phone signals?
A systematic review of treatments for electromagnetic hypersensitivity

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Funkloch, Schutzzonen, Psychische Erkrankung, Feldentzug, Selbsteinschätzung, De-Exposition


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