Postulat: Grüner Töngi fragt nach Zukunft des Mobilfunks (Allgemein)
Nach der Pleite mit der Safer-Phone-Initiative hat sich bei dem grünen Schweizer Nationalrat Michael Töngi die Schreckstarre gelöst. Mit seinem Postulat 23.3382 vom 17. März 2023 stellt er der Schweizer Regierung die Frage nach der Zukunft des Mobilfunks im Alpenstaat. Die Frage und ihre Begründung machen mMn stellenweise ein tiefes Unverständnis des Politikers für die Mobilfunktechnik deutlich.
Töngis Postulat lautet:
Der Bundesrat wird beauftragt, zu prüfen, welche Massnahmen zu treffen sind, um den Mobilfunk in der Schweiz unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und umweltrelevanten Bedürfnisse weiterzuentwickeln. Das Datenwachstum in Kombination mit einer Verlagerung von Kabel auf Funk führt über kurz oder lang zu einem Kapazitätsengpass.
Nachfolgend begründet der Politiker der Grünen seine Anfrage. Ich habe mir erlaubt, Kommentare im Zitatformat des Forums anzufügen:
In den nächsten Jahren stellen sich viele Fragen im Bereich des Mobilfunks:
1. Weitere Zunahme der Datenmenge. Ungefähr alle 18 Monate verdoppelt sich das Volumen. Zurzeit kann dieses Datenvolumen unter Einhaltung der bestehenden Grenzwerte verarbeitet werden. Dazu beigetragen haben neue Technologien wie adaptive Antennen wie auch die Neuberechnung mit einer Mittelung der Grenzwerte, was eine höhere maximale Strahlung innerhalb dieser Werte erlaubt. Es ist unklar, wie lange dieses Wachstum noch bewältigt werden kann. Welche Rolle werden neue Technologien übernehmen?
Dies sollte eigentlich auch Herrn Töngi bekannt sein: Wenn die Schweiz sich nicht von ihren Anlagegrenzwerten trennen möchte, bleibt alternativ technisch nur eine weitere Netzverdichtung übrig, um das stetig zunehmende Datenvolumen zu bewältigen. Wegen der Anlagegrenzwerte benötigt die Schweiz dazu erheblich mehr Funkmasten, als in den rd. 140 Ländern, in denen die weniger strengen Icnirp-Grenzwerte gelten. Diese Spirale dreht sich so lange, bis das Wachstum des mobilen Datenvolumens abflacht, weil die Sättigungsgrenze naht.
2. Höhere Frequenzen: Bei einer Weiterentwicklung des Mobilfunks ist davon auszugehen, dass immer höhere Frequenzen eingesetzt werden. Diese durchdringen die Gebäude aber schlechter. Wie soll in Zukunft die Versorgung der Innenräume gewährleistet werden?
Nein, höhere Frequenzen werden nicht "immer" (endlos) eingesetzt, sondern nur bis zu einer Grenze, die technisch/wirtschaftlich sinnvoll ist. Wo genau diese Grenze sein wird, weiß niemand, nicht einmal Prof. Achim Enders von der TU Braunschweig. Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, Funkkommunikation bei hohen Frequenzen habe per se ein Abonnement auf öffentlichen Mobilfunk. Da geht es eher um ganz Anderes, wie Abstandsradar, Telemedizin oder Kurzstreckenübertragung in geschlossenen Räumen. Die Mobilfunkversorgung von Innenräumen mit Repeatern oder Distributed Antenna Systems ist heute schon Stand der Technik, mit zunehmenden Trägerfrequenzen werden derartige Lösungen energieeffizienter sein als die Versorgung von außen. Und schon heute ist es so, dass 5G-Breitband auf (relativ bescheidenen) 3,6 GHz nicht flächendeckend angeboten wird, sondern nur dort, wo infolge großer Menschenansammlungen Bedarf ist (Flughäfen, Bahnhöfe, Einkaufszentren, Sportstadien ...). Andernorts genügen 2,1 GHz und tiefer. Dann ist zwar die Bandbreite für Endkunden geringer, die Reichweite der Funkmasten jedoch höher. Die größere Maschenweite bringt Netzbetreiber Einsparung, weil weniger Funkmasten errichtet werden müssen. Funkmasten verlangen je nach Exemplar Investitionen von mehreren hunderttausend Euro bis hin zu mehr als 1 Mio. Euro.
3. Glasfaser versus Mobilfunk: Rund 80 Prozent des Mobilfunkkonsums findet in Gebäuden statt. Immer mehr Menschen kündigen ihren Festnetzanschluss mit Internet und wechseln zum Surfen und Streamen auf Mobilfunk. Hier liegt der massgebliche Treiber der stark wachsenden Datenvolumen. Die Telekommunikationsbranche fördert dies durch ihre Preispolitik: Mobilfunkabos sind meist günstiger als ein Festnetzanschluss, zugleich wird rasches Internet via 5G propagiert. Dies führt dazu, dass wir zwar ein möglichst flächendeckendes Glasfasernetz aufbauen, die Benutzer*innen dieses aber oft gar nicht gebrauchen. Braucht es hier neue Vorgaben?
Die 80 Prozent sind eine unbelegte Behauptung aus der Zeit der Safer-Phone-Initiative. Eine Recherche führte 2022 zu merklich niedrigeren Werten. Glasfasernetze sind teure Infrastruktur, die, das übersehen Mobilfunkgegner gerne, häufig den Mobilfunknetzbetreibern nutzt, um den hohen Datendurchsatz ihrer 5G-Funkmasten (und späterer Funksysteme) überhaupt sinnvoll ins Kernnetz ableiten zu können. Glasfaser für alle wird mMn erst interessant, wenn die Tarife preislich attraktiver werden und auch Privatpersonen den Bandbreitebedarf dafür haben.
4. Weiterentwicklung Mobilfunk mit Vergabe neuer Frequenzbänder und neuer Mobilfunkgeneration: Spätestens in diesem Moment wird eine neue Diskussion über die Ausgestaltung des Mobilfunks stattfinden.
Aha! Aber: Viele Köche verderben den Brei. Und: Vergesst übers Debattieren das Handeln nicht.
Es wäre jetzt die Gelegenheit, diese Fragen zu klären, um eine Zukunftsstrategie Mobilfunk zu entwickeln.
Wie oft wollt ihr diese Frage denn noch klären? Genügt der im November 2019 vorgelegte wegweisende Bericht Mobilfunk und Strahlung schon nicht mehr? In der Schweiz sehe ich die Neigung, das Thema zu Tode zu diskutieren, zumal die Rahmenbedingungen weitgehend von den technischen Entwicklungen abhängen, auf die kein Schweizer Politiker Einfluss hat. Also warum jetzt über ungelegte Eier reden (6G), die erst in schätzungsweise zehn Jahren gelegt werden?
Der Bund gibt einige Rahmenbedingungen mit dem Fernmeldegesetz und der NIS Verordnung vor. Die Telekommunikationsunternehmen handeln ausserhalb der Grundversorgung als Marktteilnehmer*innen, sie haben aber ein Interesse, gewisse übergeordnete Fragen im Dialog zu klären. Deshalb soll der Bund in Zusammenarbeit mit der Branche und Vertreter*innen interessierter Organisationen eine Auslegeordnung zu den wichtigen Zukunftsfragen erstellen.
Na gut, wenn es so ist. Was aber sind denn die wichtigen Zukunftsfragen im Mobilfunk? Ist das wirklich der allgegenwärtige Popanz "Strahlenbelastung", dessen "grässliche" Auswirkungen die Schweizer z.B. mühelos in Ländern mit Icnirp-Grenzwerten studieren könnten, oder ist es vielleicht der Erhalt des Wohlstands in der Schweiz, der wahrscheinlich auf eine leistungsfähige Mobilfunkinfrastruktur angewiesen sein wird?
--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –