WHO: Systematische Review zu "Elektrosensibilität" erschienen (Elektrosensibilität)
Die WHO vergab eine systematische Review zum Themenkomplex "Elektrosensibilität" an Martin Röösli. Der Schweizer Wissenschaftler machte sich mit einer achtköpfige Arbeitsgruppe an die Arbeit und lieferte im November 2023 die Endfassung. Seit Dezember 2023 ist diese auf der Website des Journals Environment International für jeden zugänglich (Volltext). Aus Sicht der Autoren ist ihre Review derzeit der beste verfügbare Beweis für die Sicherheit von HF-EMF. Grenzenlose Erleichterung will sich dennoch nicht einstellen.
Im Jahr 2018 startete die WHO eine Umfrage unter 300 Wissenschaftlern vom Fach, welche von 34 biologischen Wirkungen, die HF-EMF-Einwirkung zugeschrieben werden, mit systematischen Reviews näher angeschaut werden sollten. 164 Teilnehmer antworteten und stuften Krebs, hitzebedingte Wirkungen, nachteilige Geburtsfolgen, "Elektrosensibilität", kognitive Beeinträchtigung, negative Schwangerschaftsfolgen und oxidativen Stress als die kritischsten Wirkungen ein. Aus diesem Votum resultierten zehn systematische Reviews, die von der WHO in Auftrag gegeben wurden und alle einschließlich der Protokolle in dieser Sonderausgabe von Environment International publiziert werden. Das Paper der AG Röösli ist gegenwärtig erst das zweite in dieser Serie von zehn systematischen Reviews, zwei Monate zuvor veröffentlichte dort die AG Cordelli ihre Tierstudie Effects of Radiofrequency Electromagnetic Field (RF-EMF) exposure on pregnancy and birth outcomes: A systematic review of experimental studies on non-human mammals.
Studiendesign
Ziel der jetzt vorgelegten Review (The effects of radiofrequency electromagnetic fields exposure on tinnitus, migraine and non-specific symptoms in the general and working population: A systematic review and meta-analysis on human observational studies) ist die systematische Untersuchung der Auswirkungen einer längerfristigen oder wiederholten lokalen oder Ganzkörperexposition gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) auf das Vorkommen von Symptomen. Primäre Hypothesen waren Tinnitus, Migräne und Kopfschmerzen in Bezug auf die lokale HF-EMF-Exposition des Gehirns, sowie Schlafstörungen und unspezifische Symptomansammlungen in Bezug auf Ganzkörper-HF-EMF-Exposition.
Eindampfprozess von 4458 Suchtreffern auf 13 verwertbare Papers.
Bild: Reviewautoren
Die Autoren führten eine systematische Literatursuche in verschiedenen Datenbanken durch, darunter Web of Science und Medline. Die Suche ergab 4458 Treffer, von denen 13 Arbeiten die Auswahlkriterien erfüllten. Eingeschlossen wurden Fall-Kontroll- und prospektive Kohortenstudien an der Allgemeinbevölkerung oder bei Arbeitnehmern, wenn die lokale oder Ganzkörper-HF-EMF-Exposition für mindestens eine Woche stattfand. Die eingeschlossenen 13 Arbeiten beruhen auf acht unterschiedlichen Kohortenstudien und einer Fall-Kontroll-Studie mit insgesamt 486'558 Teilnehmern, die ausschließlich in Europa durchgeführt wurden. Tinnitus wird von drei Studien behandelt, Migräne von einer, Kopfschmerzen von sechs, Schlafstörungen von fünf und unspezifische Symptomansammlungen von fünf Studien. Nur eine Studie befasst sich mit beruflicher Exposition. Für die Abschätzung systematischer Fehler, welche die Resultate der Studien verzerren können, setzten die Autoren das Risk-of-Bias-Tool "Ohat" ein, das an die Erfordernisse der Review angepasst wurde.
Ergebnisse
Für alle fünf vorrangigen Hypothesen deuten die verfügbaren Forschungsergebnisse darauf hin, eine HF-EMF-Exposition unterhalb der Grenzwerte verursacht keine Symptome. Die Beweise für diese Schlussfolgerung stehen jedoch auf wackligen Beinen. Die sehr geringe Sicherheit der Evidenz ist auf die geringe Anzahl der Studien zurückzuführen, auf das Risiko einer Verzerrung in einigen Studien, auf Inkonsistenzen, auf die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf reale Situationen und auf Ungenauigkeiten. Was nachrangige Hypothesen anbelangt, so wurden in den 13 in Frage kommenden Arbeiten zahlreiche Kombinationen von Exposition und Ergebnissen behandelt, ohne dass es Hinweise auf einen Zusammenhang mit einem bestimmten Symptom oder einer bestimmten Expositionsquelle gab.
Aus Sicht der Autoren ist die Review derzeit der beste verfügbare Beweis für die Sicherheit von HF-EMF. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass HF-EMF unterhalb der Grenzwerte Symptome verursachen. Die mit der Review verbundenen Einschränkungen führen jedoch zu einer erheblichen Unsicherheit.
Auswirkungen der Review auf die Forschung
Bei dieser Review waren acht von neun Studien als prospektive Kohortenstudien angelegt, was im Allgemeinen das zuverlässigste epidemiologische Studiendesign ist. Nichtsdestotrotz zeigt die Analyse der Reviewautoren, dass bei der vorliegenden speziellen, sehr anspruchsvollen Forschungsfrage erhebliche Herausforderungen im Zusammenhang mit der Expositionsbewertung, der Beherrschung von Störfaktoren und der umgekehrten Kausalität bestehen bleiben. Dies liegt in der Natur des Themas, da die Hauptquelle der HF-EMF-Exposition auf Bevölkerungsebene, nämlich die Nutzung schnurloser Geräte, mit vielen Aspekten des Lebensstils und somit mit verschiedenen potenziellen Nicht-EMF-Schutz- und Risikofaktoren wie Schlafmangel oder mangelnder körperlicher Aktivität zusammenhängt.
Um in der künftigen Forschung zwischen biophysikalischen Effekten und anderen potenziellen Nicht-EMF-Effekten zu unterscheiden, wäre ein kritischer Aspekt die prospektive Quantifizierung der HF-EMF-Exposition durch Nahfeldquellen, anstatt nur grobe Näherungswerte wie die selbstberichtete Nutzung zu berücksichtigen. Zukünftige Forschung sollte beide Expositionsquellen, Nah- und Fernfeldquellen, gleichzeitig untersuchen. Nur Forschung, die neuartige und innovative Methoden anwendet, um potenzielle HF-EMF von anderen Effekten zu trennen, und die auf einer eindeutigen Hypothese über die beteiligten biologischen Pfade basiert, welche für die Entwicklung von Symptomen relevant sind, wird zur weiteren Klärung offener Fragen beitragen. Solange keine besseren Ansätze zur Verfügung stehen, lassen sich auch keine besseren Erkenntnisse gewinnen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –