Fliegenpilz erklärt athermische Effekte des Mobilfunks (Allgemein)
Die geheimnisvollen athermischen Wirkungen des Mobilfunks sind für Mobilfunkgegner ein Lebenselixier. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht die Behauptung erneuert wird, athermische Wirkungen des Mobilfunks seinen läääängst erwiesen und nur die Mobilfunkindustrie und die Schulwissenschaften würde diesen Fakt - der Kapitulation nahe - noch bestreiten.
Die Story vom einfältigen Physiklehrer
In einem jüngst von Peter Hensinger herausgebrachten "Brennpunkt" des Anti-Mobilfunk-Vereins Diagnose-Funk wird den "lieben Mitstreitern" die komplizierte Materie mit einer Fliegenpilz-Analogie verdeutlicht: Würde einem statt einem Stein der Pilz an den Kopf geworfen, käme man mit heiler Haut davon, erklärt ein fiktiver Physiklehrer seinen Schülern. Der Stein sei daher gefährlich, der Pilz harmlos. Ein böser Trugschluss der Physik, meint Hensinger, denn gegessen sei auch der Pilz gefährlich.
Gemäß Hensinger ist der Physik nicht zu trauen. Das hindert den Stuttgarter freilich nicht, noch auf der selben Seite seines Brennpunkts Auskünfte über biologische Prozesse zu geben, entnommen einem älteren Artikel, an dem ein Professor für Leistungselektronik an der TU Chemnitz mitwirkte. Mobilfunkgegner verdammen Physik nicht pauschal, sondern ergebnisorientiert: physikalische Erklärungen für Gesundheitsrisiken des Mobilfunks werden mit Kusshand genommen, was dagegen spricht wird - ab jetzt mit Verweis auf den köstlichen Fliegenpilz - verworfen.
Dieser Vergleich hinkt nicht, ihm fehlt ein Bein
Die Fliegenpilz-Geschichte, sie wird Heinz und Erna sicherlich zu denken geben, ob am Gerede über die Risiken der Mobilfunkwellen vielleicht doch etwas dran ist. Dabei ist diese Analogie nur fauler Zauber. Denn es existiert seit langem ein unstrittiges Wirkmodell, warum und wie ein verzehrter Fliegenpilz im Körper wirkt. Und auch ohne Wirkmodell spürt jeder die Folgen eines Fliegenpilzgerichts am eigenen Leib. Ganz anders beim Mobilfunk: Dort gibt es eben kein widerspruchsfreies Wirkmodell darüber, wieso es unterhalb der thermischen Schwelle überhaupt zu biologischen Schädigungen kommen soll. Und bislang konnte niemand auf der Welt behauptete gesundheitliche Beeinflussungen durch Mobilfunk nachweisen, kein "Elektrosensibler" konnte gefunden werden, der Funkfelder objektiv wahrnimmt. Da bleibt von der Fliegenpilz-Geschichte nicht mehr viel übrig. Im Gegenteil: Drehe ich den Spieß um und erfinde Fliegenpilz-Sensible, die behaupten, ihnen würde der Verzehr von Fliegenpilzen nicht gut tun, so dürften wissenschaftliche Tests mit den Betroffenen nur dann Treffer zeigen, wenn den Fliegenpilz-Sensiblen vor dem Mahl gesagt wird, auf dem Teller läge Fliegenpilz. Würde weiter Fliegenpilz aufgetischt, den Versuchspersonen aber gesagt es sei Steinpilz an Blattspinat, bliebe die Wirkung völlig aus. Natürlich ist es in der Realität ganz anders als beschrieben, meine Analogie will nur verdeutlichen, wie desaströs das Versagen "Elektrosensibler" ist, ihre steif und fest behauptete Wahrnehmung selbst schwächster Funkfelder auch unter kontrollierten Bedingungen nur ein einziges mal unter Beweis zu stellen. Inzwischen halte ich Leben auf dem Mars für Wahrscheinlicher als "Elektrosensibilität".
Ein Brennpunkt ohne Feuer und Substanz
Typisch für diesen "Brennpunkt" ist seine Substanzlosigkeit bezüglich der Eingangsfragestellung "Kann die nicht-ionisierende Strahlung des Mobilfunks Zellen schädigen?". Einerseits wird der Leser als blutiger Laie behandelt, dem erst die grobe Vereinfachung mit einer Analogie die Augen öffnet, andererseits werden dem selben Leser auf Seite 3 in dem großzügig dimensionierten Schaubild gnadenlos "p 38 MAP Kinasen" und dergleichen mehr ohne Erklärung um die Ohren gehauen. Der Resttext ist angefüllt mit fachfremdem Gequatsche über die "Schlechtigkeit des Seins" und mit der üblichen Wichtigtuerei, indem gezielt "alarmierende" Stellungnahmen irgendwelcher Organisationen mit möglichst klangvollen Namen hervorgekramt werden. Blind auf fremde Kompetenz zu setzen, weil es an eigener hapert, ist jedoch riskant. Denn bei näherer Betrachtung der "wichtigen" Stellungnahmen zerbröseln die daraus abgeleiteten Alarme zu mehr oder weniger belanglosen Verlautbarungen. Ein Beispiel: Die Schockmeldung "WHO hat 2011 nicht-ionisierende Strahlung in die Kategorie 'möglicherweise krebserregend' eingestuft" schockt eben nur Heinz und Erna, wenn diese nicht wissen, dass in der selben Einstufung auch Bohnenkaffee anzutreffen ist, und die WHO gar nicht von Sendemasten spricht, sondern von körpernaher Funktechnik wie Handys. Hinzu kommt, dass sich die Grundlage der Einstufung durch die WHO inzwischen zugunsten der Einstufung "wahrscheinlich nicht krebserregend" geändert hat.
Kenntnislücken offen gelegt
Zum eigentlichen Thema der Fragestellung erfährt der Leser des "Brennpunks" so gut wie nichts. Dieses Herumeiern um des Pudels Kern hat einen Grund: es fehlt a) an fachlicher Kompetenz und b) es gibt nichts mehr zu sagen, was nicht schon gesagt wurde. Athermische Effekte unterhalb der Grenzwerte werden auch von der seriösen Wissenschaft nicht bestritten. Entgegen der Behauptung von Diagnose-Funk hat beispielsweise Prof. Jürgen Bernhardt Anfang der 90er Jahre diese Effekte in der Fachliteratur offen angesprochen, Bernhardt war damals im Bundesamt für Strahlenschutz Leiter des Abteilung "Strahlenschutz in der Medizin".
Nur, so einfach wie sich Diagnose-Funk das vorstellt, ist es mit diesen athermischen Effekten nicht. Dass sich ein versteckter thermischer Einfluss nicht ganz einfach ausschließen lässt, ist das eine, dass kein Mensch weiß, ob beobachtete athermische Effekte auch gesundheitlich relevant sind, ist das andere.
Es ist eben depperter Dilettantismus, jedes mal den Feuermelder zu betätigen, nur weil sich jemand eine Zigarette anzündet.
Hintergrund
Athermische Effekte: Was ist das eigentlich?
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
gesamter Thread:
- Fliegenpilz erklärt athermische Effekte des Mobilfunks -
H. Lamarr,
27.01.2012, 10:42
- Der übliche Unfug -
RDW,
27.01.2012, 11:34
- Mobilfunkgegner: auf Schwarmintelligenz programmiert -
H. Lamarr,
27.01.2012, 12:14
- Mobilfunkgegner: auf Schwindel programmiert - RDW, 27.01.2012, 13:00
- Wenn das Johann Wolfgang noch erlebt hätte ... - H. Lamarr, 27.01.2012, 12:44
- Mobilfunkgegner: auf Schwarmintelligenz programmiert -
H. Lamarr,
27.01.2012, 12:14
- Der übliche Unfug -
RDW,
27.01.2012, 11:34