WHO systematischer Review zu Hirntumoren veröffentlicht (Forschung)

e=mc2, Freitag, 06.09.2024, 23:14 (vor 18 Tagen)

Mittlerweile ist nun auch die Meta-Analye der epidemiologischen Studien zu Hirntumoren veröffentlicht worden. Medienberichte dazu gibt es hier, hier, hier, hier etc.

Tags:
WHO, Hirntumor, Review

WHO systematischer Review zu Hirntumoren veröffentlicht

H. Lamarr @, München, Samstag, 07.09.2024, 01:03 (vor 18 Tagen) @ e=mc2

Medienberichte dazu gibt es [...] hier [...]

Auszug:

Es wäre ein Leichtes, einen Text zu schreiben, in dem eine Reihe Studien vorkommt, die suggerieren, dass Handystrahlen Krebs im Gehirn verursachen könnten. Denn diese Studien gibt es. Sie sind zum Teil sogar an renommierten Universitäten entstanden und in guten wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen. Die Aufmerksamkeit wäre einem wohl sicher, die Angst, die man schürte, groß. Nur wäre es nicht seriös – stellen diese Studien eben nur einen Teil der gesamten Forschung dar und haben ihre Schwächen. [...]

Liest sich für mich, als sei Ingo Arzt, Autor des Zeit-Artikels, anlässlich seiner Recherche für "Was eine Metastudie über Handystrahlung verrät" auch bei den Websites hier gut bekannter Vereine vorbeigekommen, die sich der beschriebenen Methode ungeniert seit Jahren bedienen ...

Sieht so aus, als ob die WHO-Reviews des Jahres 2024 eben diesen Vereinen den RIP-Marsch bläst, anzuhören hier :-).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

WHO systematischer Review zu Hirntumoren veröffentlicht

H. Lamarr @, München, Sonntag, 08.09.2024, 23:29 (vor 16 Tagen) @ e=mc2

Mittlerweile ist nun auch die Meta-Analye der epidemiologischen Studien zu Hirntumoren veröffentlicht worden. Medienberichte dazu gibt es hier, hier, hier, hier etc.

Hier noch ein Auszug aus der Washington Post (Stichwort "Watergate"):

[...] Cell towers, which shuttle phone calls and text messages around the world using radio energy waves, are also not a cancer risk, the researchers concluded.

Newer generation mobile networks, including third- and fourth-generation, or 3G and 4G, actually produce “substantially lower” radio frequency emissions than older networks, said Mark Elwood, an honorary professor of cancer epidemiology at the University of Auckland and a co-author of the review.

“There are no major studies yet of 5G networks, but there are studies of radar, which has similar high frequencies; these do not show an increased risk,” he said.

Karipidis said that having more cellphone towers actually reduces the amount of radiation emitted from cellphones, because they don’t have to work as hard to get a signal.

Keith Petrie, a University of Auckland expert who was not involved in the review, said that “worries about the health effects of new technology are common and tend to increase when a new technology is adopted widely or adopted quickly. This was seen during the covid-19 pandemic when people attacked cell towers believing a baseless theory that 5G towers spread the coronavirus.”

He added that the WHO-commissioned report was “a very comprehensive review by an esteemed international group.”

Übersetzung

[...] Die Mobilfunkmasten, die mit Hilfe von Funkwellen Telefonate und Textnachrichten in die ganze Welt übertragen, stellen ebenfalls kein Krebsrisiko dar, so die Forscher.

Mobilfunknetze der neueren Generation, einschließlich der dritten und vierten Generation (3G und 4G), erzeugen tatsächlich "wesentlich geringere" Funkfrequenzemissionen als ältere Netze, so Mark Elwood, Honorarprofessor für Krebsepidemiologie an der Universität von Auckland und Mitautor der Studie.

"Es gibt noch keine größeren Studien über 5G-Netze, aber es gibt Studien über Radar, das ähnlich hohe Frequenzen hat; diese zeigen kein erhöhtes Risiko", sagte er.

Karipidis sagte, dass mehr Mobilfunktürme die Strahlung von Mobiltelefonen reduzieren, weil diese nicht so hart arbeiten müssen, um ein Signal zu erhalten.

Keith Petrie, ein Experte der University of Auckland, der nicht an der Untersuchung beteiligt war, sagte, dass "Sorgen über die gesundheitlichen Auswirkungen neuer Techniken weit verbreitet sind und tendenziell zunehmen, wenn eine neue Technik weit verbreitet ist oder schnell eingeführt wird. Das hat man während der Covid-19-Pandemie gesehen, als die Menschen Mobilfunkmasten angriffen, weil sie der unbegründeten Theorie glaubten, dass 5G-Masten das Coronavirus verbreiten."

Er fügte hinzu, dass der von der WHO in Auftrag gegebene Bericht "eine sehr umfassende Überprüfung durch eine angesehene internationale Gruppe" sei.

Photonen aus der Hölle

Momentan gibt es zu dem Artikel 217 Kommentare. Der jüngste von Emil Mutz lautet:

Fake News, Fake News.

Jeder weiß, dass Mobiltelefone mit Photonen aus der Hölle betrieben werden und bei mehr als 99 Prozent der Nutzer Hirnkrebs verursachen - sofort oder später, es wird kommen.

Alle elektronischen Geräte werden mit Photonen aus der Hölle betrieben, Handys ganz besonders.

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WHO-Review zu Hirntumoren: And the Winner is ... nobody

H. Lamarr @, München, Montag, 09.09.2024, 22:31 (vor 15 Tagen) @ e=mc2

Schauen wir uns einmal an, zu welchen Schlussfolgerungen die Autoren der Review gekommen sind:

In Übereinstimmung mit dem veröffentlichten Protokoll wurden unsere endgültigen Schlussfolgerungen für jede Kombination von Exposition und Ergebnis getrennt formuliert und basierten in erster Linie auf der Evidenzlinie mit dem höchsten Vertrauen, wobei die Rangfolge der HF-Quellen nach Expositionsniveau, wie sie aus dosimetrischen Studien abgeleitet wurde, und die externe Kohärenz mit den Ergebnissen von Zeittrend-Simulationsstudien (beschränkt auf Gliome im Zusammenhang mit der Mobiltelefonnutzung) berücksichtigt wurden.

Für die HF-EMF-Exposition im Nahfeld des Kopfes durch die Nutzung von Mobiltelefonen gab es Hinweise mit mäßiger Sicherheit, dass sie wahrscheinlich nicht das Risiko erhöht für Gliome, Meningiome, Akustikusneurinome, Hypophysentumore und Speicheldrüsentumore bei Erwachsenen oder für pädiatrische Hirntumore (Hirntumoren bei Kindern/Jugendlichen).

Für die HF-EMF-Exposition im Nahbereich des Kopfes bei der Benutzung von Schnurlostelefonen gab es Hinweise mit geringer Sicherheit, dass sie das Risiko für Gliome, Meningiome oder Akustikusneurinome nicht erhöhen könnte.

Für die Ganzkörper-Fernfeld-HF-EMF-Exposition durch ortsfeste Sendeanlagen (Rundfunkantennen oder Basisstationen) gab es Hinweise mit mäßiger Sicherheit, dass sie das Leukämierisiko bei Kindern wahrscheinlich nicht erhöht, und Hinweise mit geringer Sicherheit, dass sie das Risiko für pädiatrische Hirntumore nicht erhöht. Es gab keine Studien, die für eine Aufnahme infrage kamen und die HF-EMF-Exposition durch ortsfeste Sendeanlagen und kritische Tumore bei Erwachsenen untersuchten.

Für die berufsbedingte HF-EMF-Exposition gab es Hinweise mit geringer Sicherheit, dass sie das Risiko von Hirntumoren/Gliomen nicht erhöht, aber es gab keine eingeschlossenen Studien zu Leukämien (dem zweiten kritischen Ergebnis bei beruflicher Exposition).

Die Bewertung der Evidenz bezüglich pädiatrischer Hirntumore im Zusammenhang mit umweltbedingter HF-Exposition durch ortsfeste Sendeanlagen sollte aufgrund der geringen Anzahl von Studien mit Vorsicht interpretiert werden. Ähnliche Vorsicht bei der Interpretation gilt für die Evidenzbewertung des Zusammenhangs zwischen Gliomen/Hirntumoren und berufsbedingter HF-Exposition aufgrund von Unterschieden bei den Expositionsquellen und -metriken in den wenigen eingeschlossenen Studien.

Geringe bis mäßige Sicherheit?

Wie ein roter Faden zieht es sich durch sämtliche Schlussfolgerungen, dass diesen eine geringe bis mäßige Sicherheit anhaftet, was im Abstract der Studie schon an den genannten großen Konfidenzintervallen erkennbar ist.

Doch woran liegt es, dass den Schlussfolgerungen der Autoren so große Unsicherheit anhaftet. Liegt das womöglich schon an den Primärstudien, die in die Review eingeschlossen wurden? Das wollte ich von meiner neuen Auskunftei "Copilot" wissen. Die KI antwortete:

Ein großes Konfidenzintervall (CI) bei einem mRR-Ergebnis (meta-estimate of the relative risk) kann auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein, und ja, die Primärstudien spielen dabei eine wichtige Rolle. Hier sind einige mögliche Gründe:

Heterogenität der Studien: Wenn die Primärstudien sehr unterschiedliche Ergebnisse liefern, kann dies zu einer hohen Heterogenität führen, was das Konfidenzintervall vergrößert.

Kleine Stichprobengrößen: Studien mit kleinen Stichproben haben oft größere Unsicherheiten in ihren Schätzungen, was zu einem größeren Konfidenzintervall im Meta-Analyse-Ergebnis führen kann.

Variabilität in den Studiendesigns: Unterschiede in den Studiendesigns, Populationen, Interventionen und Ergebnissen können ebenfalls zu einem breiten Konfidenzintervall beitragen.

Qualität der Primärstudien: Niedrige Qualität oder methodische Schwächen in den Primärstudien können die Präzision der Schätzungen beeinträchtigen und zu einem größeren Konfidenzintervall führen.

Anzahl der eingeschlossenen Studien: Wenn nur wenige Studien in die Meta-Analyse einbezogen werden, kann dies die Präzision der Schätzung verringern und das Konfidenzintervall vergrößern.

Es ist also durchaus möglich, dass die Eigenschaften der Primärstudien einen erheblichen Einfluss auf die Breite des Konfidenzintervalls haben.

Versuch einer Interpretation

Primärstudien geringer Qualität kann man mMn aus der Liste der KI streichen, dafür haben die Autoren die im Zuge ihrer Literaturrecherche gefundenen Studien wahrscheinlich zu gründlich gesiebt. Allerdings kann es selbst bei qualitativ guten Studien in dieser Disziplin eine gewisse Streubreite geben, die sich dann auf das CI auswirkt. Ob die übrigen Angaben der KI zutreffen, kann ich nicht kompetent beurteilen. Muss ich auch nicht, mir kam es nur darauf an zu erfahren, ob es am Gegenstand der Review liegen konnte, dass die Sicherheit der Schlussfolgerungen so mager ausfiel. Und anscheinend ist dies der Fall.

Heißt für mich bis auf Weiteres: Die Review kann von keiner der Streitparteien in der Mobilfunkdebatte dazu verwendet werden, der jeweiligen Gegenseite in Sachen Hirntumoren endgültig das Wasser abzugraben. Insofern mag ich mich entwarnenden Medienberichten anlässlich der Review nicht anschließen. Anscheinend sind die bisherigen Forschungsergebnisse, auf einen Nenner gebracht, nicht dazu geeignet, mit Bestimmtheit zu alarmieren oder Entwarnung zu geben. Weitere und möglicherweise andere Forschung ist nötig, um die Waage in den kommenden Jahrzehnten entscheidend aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das wird die Forscher freuen. Doch welche Forschung verbindlich zur Klärung beitragen könnte, anstatt die Waage nur im unverbindlichen Gleichgewicht zu halten, ich habe keine Ahnung :-(.

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WHO-Review zu Hirntumoren: Kritik von Microwave News

H. Lamarr @, München, Freitag, 13.09.2024, 03:09 (vor 12 Tagen) @ e=mc2

Louis Slesin (Microwave News) bemüht sich redlich, auch diese Review zu entwerten. Den Hebel dazu setzt er aber nicht am Inhalt der Review an, sondern allein an deren Autoren. Mit denen er nicht glücklich ist, weil einige seit eh und je den Standpunkt vertreten würden, HF-EMF könne Krebs nicht verursachen. Selbstverständlich stören ihn auch alle Verbindungslinien von Autoren zu Icnirp. Sein Ärger darüber gipfelt in der populistischen Behauptung, die Review sei "eine Produktion von Icnirp".

Im Grunde sind das alles bekannte Vorwürfe, die seit vielen Jahren gebetsmühlenartig von Kritikern wiederholt werden, freilich ohne nennenswert Wirkung zu entfalten. Zudem ist Slesin spät dran. Das im Dezember 2021 veröffentlichte Protokoll der Review nennt alle Autoren beim Namen, da hätte der Herausgeber vom Microwave News damals schon loslegen können. Erstaunlicherweise reibt er sich jetzt nur an den Namen und lästert nicht über die geringe statistische Sicherheit, die den Schlussfolgerungen der Review-Autoren anhaftet.

Slesin praktiziert mit seiner Kritik das ebenso alte wie erprobte Spiel, zur Sache selbst so gut wie nichts zu sagen und sich damit zu begnügen, die Autoren zu stigmatisieren. Frei nach dem Motto: Gelingt es mir, die Glaubwürdigkeit der Autoren zu beschädigen, dann geht automatisch auch deren Review den Bach runter. Das funktioniert erfahrungsgemäß gut, hat aber den Haken, dass diese Light-Form der Kritik sich in den Echokammern der Szene totläuft. Soll Kritik auch außerhalb der Echokammern aufgegriffen werden, braucht es mehr Substanz. Etwa den glasklaren Nachweis, dass den Autoren der eine oder andere folgenschwere Fehler unterlaufen ist. Solange dies nicht passiert, haben die Autoren der Review mMn nichts zu befürchten.

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WHO-Review zu Hirntumoren: Kritik von Microwave News

e=mc2, Freitag, 13.09.2024, 08:20 (vor 12 Tagen) @ H. Lamarr

Louis Slesin (Microwave News) bemüht sich redlich, auch diese Review zu entwerten. Den Hebel dazu setzt er aber nicht am Inhalt der Review an, sondern allein an deren Autoren.

Ja nichts Neues. Wenn man schon so auf den Mann spielt und sich an potentiellen Interessenskonflikten stört, wäre es ja eigentlich auch interessant zu wissen, welches die Hauptspender von Microwavenews sind. Aber diesbezüglich schweigt Slesin wie ein Grab. Die übliche Doppelmoral, weil man ja auf der "richtigen" Seite steht (White hat bias).

WHO-Review zu Hirntumoren: Diagnose-Funk tritt auf den Plan

H. Lamarr @, München, Sonntag, 22.09.2024, 21:56 (vor 2 Tagen) @ e=mc2

Die WHO-Review zu Hirntumoren hat am 14. September 2024 den Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein auf den Plan gerufen. Den Stuttgartern ist Entwarnung ein Gräuel, deshalb geben sie, so gut sie können, Gegensteuer und warnen vor der Entwarnung. An der Review selbst haben sie sich allerdings nicht vergriffen, die war ihnen wohl zu komplex. Der Zorn des Vereins entlädt sich vielmehr an dem, was sich im aufgewühlten Kielwasser der Review so abspielt.

Wie üblich hat Diagnose-Funk sich bei dem Versuch, die WHO-Review zu Hirntumoren zu entwerten, verausgabt. Ohne die Bilder wälzen sich allein die rd. 35'900 Buchstaben des Beitrags in Form von 4'460 Wörtern über zwölf Din-A4-Seiten hinweg und dann ist noch immer nicht Schluss, denn dann kommt Werbung für allerlei Publikationen des Vereins. Warum immer so wortreich? Einstein soll dazu einmal den Standpunkt vertreten haben: "Wenn du es nicht einfach erklären kannst, hast du es nicht gut genug verstanden". Da könnte was dran sein, wie wir gleich an ein paar Beispielen sehen werden. Zu mehr als nur Beispielen ist mir nach dem Lesen des Einstiegs die Lust vergangen. Aber lesen Sie selbst, wie Diagnose-Funk glaubt, Neugierige für den Bandwurmbeitrag zu interessieren:

Einseitige ICNIRP-Studie behauptet, Handynutzung erhöhe Krebsrisiko nicht. Ist das so?

Wir analysieren die weltweite Kampagne zur Risikoleugnung!

„Handynutzung erhöht Krebsrisiko nicht“, diese Meldung ging ab dem 6.9.2024 um die Welt – zur Genugtuung der Mobilfunkindustrie. Die Meldung beruft sich auf eine Studie der ICNIRP, an der auch ein Mitarbeiter des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz beteiligt ist. Doch diese Studie ist unwissenschaftlich und verfälscht die Studienlage. Warum, das klärt unsere Analyse. [...]

Ist bei so einem Empfang eine seriöse Analyse von Kielwasserproben der Review zu erwarten? Oder versucht hier ein unbekannter Autor seine Leser mit Populismus und Polemik von Anfang an auf seinen Kurs einzunorden? Meine Einschätzung ist eindeutig, hier will jemand Meinung zurecht kneten. Der Populismus in dem Textfragment entwertet die Review mit simplen Behauptungen, die aggressive überzogene Polemik hebt den Autor nach oben und drückt seine Gegner nach unten. Doch warum tut jemand so etwas? Der Autor des Diagnose-Funk-Beitrags (mutmaßlich Peter Hensinger) hat keine Wahl, will er auf Laien glaubwürdig wirken. Denn er ist unter EMF-Experten ein Niemand, seine Gegner (Review-Autoren, Icnirp, BfS) sind ihm fachlich haushoch überlegen.

Nach dem populemischen Einstieg sichtete ich ziellos noch einige Passagen des Fließtexts, dann war mir klar: Nein, für eine systematische akribische Auseinandersetzung kommt der Textbrei nicht infrage. Eine umfassende Entgegnung würde mich viel Zeit kosten und, schlimmer noch, ich würde damit den unwichtigen Beitrag unabsichtlich aufwerten. Nur ein bisschen, weil auch ich ein Niemand bin. Das beste, was Diagnose-Funk passieren könnte, wären daher Einsprüche der angegriffenen hochrangigen Gegner. Die aber sind nicht dumm und werden sich hüten, dem Verein diese Ehre zu erweisen. Andererseits: Ganz ohne Widerspruch geht es auch nicht, soll der Eindruck vermieden werden, der Verein hätte etwas so Brillantes abgeliefert, dass die Gegenseite nicht ein Haar in der Suppe findet.

Also packe jetzt ich die angekündigten Beispiele an, die, wohlgemerkt, nur die Spitze des Eisbergs sind. Dem Diagnose-Funk-Beitrag entnommene Textpassagen sind am Zitatformat des Forums erkennbar. Und los geht's:

Einseitige ICNIRP-Studie behauptet [...]

Was für ein Unsinn, die Review (ohne Supplements) hat nachweislich 52 Seiten :-).

„Handynutzung erhöht Krebsrisiko nicht“, diese Meldung ging ab dem 6.9.2024 um die Welt – zur Genugtuung der Mobilfunkindustrie. [...]

Soso, "zur Genugtuung der Mobilfunkindustrie". Offenbar hat Diagnose-Funk beste Kontakte zur Mobilfunkindustrie, woher sonst wollte der Verein über den Gemütszustand einer ganzen Industrie Bescheid wissen? Die Genugtuung müsste sich, wäre sie wahr, ja irgendwie bemerkbar gemacht haben, z.B. auf dieselbe Weise, wie Diagnose-Funk Journalisten so gerne für sich gewinnen möchte, nämlich in Gestalt einer wichtigtuerischen Pressemitteilung. Also habe ich nachgeschaut, ob die beiden dicksten Brummer der Mobilfunkindustrie in Deutschland ihre Genugtuung über die Hirntumorreview der WHO auf diese Weise mitgeteilt haben. Mist, haben sie nicht! Wovon sich jeder bei der Telekom und bei Vodafone selbst überzeugen kann. Diagnose-Funk behauptet gern und viel. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, würde der Verein seine Behauptungen oder Meinungen nicht als Tatsachen in die Welt hinaus posaunen.

Die Meldung beruft sich auf eine Studie der ICNIRP, an der auch ein Mitarbeiter des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz beteiligt ist.

Deutsche Sprache, schwere Sprache. Woran ist der BfS-Mitarbeiter nun beteiligt: an der Studie, an Icnirp oder an beiden? Richtige Antwort: an beiden. Die Rede ist von Dan Baaken. Der junge Epidemiologe arbeitet laut LinkedIn seit Juli 2023 fürs BfS, zuvor war die Universitätsmedizin Mainz rd. sechs Jahre lang sein Arbeitgeber. Seine Mitwirkung an der Review galt redaktionellen Tätigkeiten (Schreiben, Korrekturlesen, Recherchen ...), der Projektverwaltung und der Datenkuratierung. Mit Icnirp hat er seit Juli 2024 zu tun, da hat er das wissenschaftliche Sekretariat von Gunde Ziegelberger übernommen. Die Review war zu diesem Zeitpunkt längst unter Dach und Fach. Wo bitte soll da ein Interessenkonflikt sein?

Die mühsam konstruierte Behauptung, die Review sei eine "Icnirp-Studie", hat Diagnose-Funk sich von Microwave News abgeschaut. Ja, einer der elf Review-Autoren (Ken Karipidis) ist tatsächlich Mitglied der amtierenden Icnirp-Kommission. Und drei oder vier andere Autoren hatten früher einmal mit Icnirp zu tun. Na und? Nur in den Echokammern der Anti-Mobilfunk-Szene wird Icnirp wie eine Mafia-Familie dargestellt. Draußen genießt der in München eingetragene Verein Icnirp hingegen einen ausgezeichneten Ruf. Leicht erkennbar daran, dass ungefähr 150 Länder die von Icnirp empfohlenen Grenzwerte für Mobiltelefone übernommen haben, sogar Russland. Kein einziges Land hat bisher die von Diagnose-Funk geforderten Grenzwerte übernommen. Anscheinend glaubt selbst Diagnose-Funk nicht so recht an das Stigma der "Icnirp-Studie", denn im Verlauf seines Beitrags geht der Autor dir nichts mir nichts Microwave News von der Stange und nennt die Review brav "Karipidis-Studie".

Doch diese Studie ist unwissenschaftlich [...].

Wie kommt eine fachliche Null dazu, so etwas zu behaupten? Um das herauszufinden habe ich den Beitrag nach dem Stichwort "unwissenschaftlich" durchsucht und zwei Treffer gelandet.

Treffer 1: [...] In einer scharfen Kritik verurteilt Dr. Oleg A. Grigoriev, Vorsitzender der russischen Straglenschutzkomission, die Unwissenschaftlichkeit der Karipidis-Studie. [...]

Ach so, ich dachte, jetzt kommt mal eine spektakuläre Eigenleistung der Stuttgarter auf den Tisch, und dann ziehen sie nur den Oleg aus Russland aus dem Hut. Und der Hut ist nicht mal von ihnen, sondern gehört Moskowitz (runterscrollen bis 11. September 2024). Von "unwissenschaftlich" ist dort wörtlich nicht die Rede. Oleg sind die Autoren der Review unbekannt, was deren Schuld nicht ist, und er mäkelt in seiner Meinungsbekundung an Belanglosigkeiten herum, wie eine von der WHO übergangene Diva, ohne auch nur einen einzigen Fakt beizubringen. Verblüffend wie genügsam die Stuttgarter sind, wenn ihre Quelle nur die "richtige" Meinung hat – und sei sie noch so substanzschwach. Nein, Oleg von der russischen "Straglenschutzkomission" als starken Belastungszeugen zu verwursten ist ausgesprochen armselig.

Treffer 2: [...] Die Aussage „kein Krebsrisiko“ ist auf Grund dieser Studie gar nicht möglich! Dreimal unwissenschaftlich! [...]

Dieser ziemlich kryptische Treffer, in dem es mutmaßlich nicht um die Review geht, sondern um eine Pressemeldung der Deutschen Presseagentur, ist noch substanzloser als Treffer 1 und mir fehlt die Muße, mich damit auseinandersetzen zu wollen.

Mehr als diese beiden seichten Treffer hat Diagnose-Funk nicht zu bieten, um den heftigen Vorwurf "unwissenschaftlich" mit Fakten zu belegen :no:.

[...] Die Rolle der ICNIRP als Legitimationsorgan für die Industrie dokumentierten die Journalisten von Investigate Europe und Microwave News. [...]

Ach du meine Güte, was für "glaubwürdige" Belastungszeugen! Die Stuttgarter pfeifen mMn auf dem letzten Loch. Microwave News kennt hier jeder. Das Redaktionsnetzwerk Investigate Europe sprang 2019 auf den 5G-Panikexpress auf und lieferte ab, was sie in der Anti-Mobilfunk-Szene an Gerüchten und Unterstellungen gegenüber Icnirp aufschnappten. Ein Musterbeispiel des Gigo-Prinzips: Garbage in, Garbage out. Diagnose-Funk aber war begeistert, seine eigenen verkorksten Ansichten über Icnirp – veredelt durch Journalisten – im Tagesspiegel lesen zu dürfen. Geht es darum, Icnirp "glaubwürdig" eins auszuwischen, verweist der Verein deshalb nicht auf seine eigenen Seiten, sondern bevorzugt auf den Gigo-Artikel des Tagesspiegel.

Schmerzgrenze erreicht ...

Mir reicht's jetzt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Verständnis, dass ich mich mit dem Beitrag von Diagnose-Funk nicht weiter auseinandersetzen möchte. Das Pamphlet wurde augenscheinlich eiligst und schlampig zusammengeschustert, ohne einen nennenswerten Mehrwert in die Mobilfunkdebatte einzubringen. Die Debatte braucht Fakten, keine selektiv kolportierten Meinungsbekundungen von fachlichen Laien.

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