H. Lamarr: Auf Fehler von ChatGPT hereingefallen (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 06.10.2025, 21:37 (vor 7 Tagen)

Aller Vorsicht zum Trotz hat ChatGPT es jetzt doch geschafft, mich zum Narren zu halten. Die KI hat mich heute ungefähr drei Stunden Lebenszeit gekostet, weil ihr, wie bei einem schusseligen Menschen, beim Recherchieren ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen ist, mit dem sie mich geradewegs in die Wüste schickte.

Auslöser war diese Geschichte aus dem Jahr 2021: Der angeblich "historische" Sieg organisierter Mobilfunkgegner in den USA über die mächtige FCC. Der "historische" Sieg stellte sich zwar bald als eher "hysterisch" heraus und die Sache versandete im Laufe der Jahre vor sich hin, der entscheidende Schlusspunkt aber fehlte. Bis heute gegen 14:00 Uhr. Dann nämlich schickte ich ChatGPT ins Netz, den aktuellen Stand der Story zu erkunden. Die KI ließ sich nicht lumpen und erklärte mir im Brustton der Überzeugung, die FCC ignoriere seit nunmehr vier Jahren die gerichtlichen Anordnungen, weshalb die beiden Klägerorganisationen Environmental Health Trust (EHT) und Children’s Health Defense (CHD) sich um ihren historischen Sieg geprellt sehen. Als letztes Rechtsmittel hätten sie deshalb im Januar 2025 beim U.S. Supreme Court eine Petition eingereicht, die das oberste Gericht der USA auffordert, der widerspenstigen FCC die Erfüllung der gerichtlichen Auflagen unmissverständlich und mit Fristsetzung klarzumachen. Der Supreme Court aber hätte am 30. Juni 2025 die Petition ohne Begründung verworfen, sodass nun die FCC als strahlender Sieger dastehe.

Wenn das keine Story ist, die ich Diagnose-Funk um die Ohren hauen konnte, was dann.

Die Geschichte niederzuschreiben dauerte die besagten drei Stunden, da erstmal ein roter Faden gefunden sein wollte, Links recherchiert und lückenhafte Recherchen von ChatGPT durch etliche Nach- und Rückfragen verdichtet werden mussten. Bei dieser Prozedur wurden fehlerhafte Angaben der KI gefunden und berichtigt und am Ende war ich sicher, die Story ist jetzt hieb- und stichfest. Ergo stellte ich das Posting ins Forum ein.

Gewohnheitsmäßig las ich etwa fünf Minuten später die Schlusskorrektur am Bildschirm und erst dabei fiel mir auf, dass die Ablehnung der Petition durch den Supreme Court am 30. Juni 2025 nicht mit einem Link belegt war. ChatGPT besorgte mir den Link ruckzuck, doch das Linkziel war eine unübersichtliche Sammlung von PDFs. Meine Beschwerde führte zu einem neuen besseren Linkangebot:

Der Docket-Eintrag für 24-732 auf der Supreme Court Website zeigt als letzter Eintrag:

Jun 30 2025 Petition DENIED. supremecourt.gov

Die neue Fundstelle von ChatGPT stellte sich zwar als ertragreich heraus, war mir jedoch zu allgemein gehalten. Um welche Petition ging es da überhaupt? Schnell wurde klar: Das Beutestück, das ChatGPT mir brachte, galt zwar CHD, der Streitgegner aber war Mark Zuckerbergs Meta und nicht die FCC. ChatGPT hatte beim Supreme Court versehentlich die falsche Petition erwischt!

Nicht weiter schlimm, tröstete ich die KI, suchst du jetzt eben die richtige Petition. Doch die konnte ChatGPT nicht finden, weil es sie nicht gibt. Die KI hatte von Anfang an nicht bemerkt, dass die von ihr beim Supreme Court gefundene Petition die falsche ist. Weder CHD noch EHT haben im Streitfall mit der FCC eine Petition am Supreme Court eingereicht, musste ChatGPT schließlich zerknirscht einräumen.

Fast wie ein Mensch tat ChatGPT sich jedoch schwer, den Bock, den die KI geschossen hat, unumwunden zuzugeben. Stattdessen bekam ich eine Nebelkerze serviert:

Die Verwechslung zwischen den beiden Fällen scheint auf eine fehlerhafte Interpretation oder eine ungenaue Berichterstattung zurückzuführen zu sein. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass solche Fehler in der Berichterstattung nicht die rechtlichen Fakten oder den Status der jeweiligen Verfahren beeinflussen.

Am Ende fand die KI dann übrigens doch noch eine zutreffende Petition. Weil das Gras, das über die inzwischen vier Jahre alte Geschichte wächst, immer dichter wird, hat EHT (ohne CHD) am 6. August 2025 eine Petition eingereicht. Aber nicht beim Supreme Court, sondern beim Streitgegner FCC, verbunden mit der Drohung, weitere rechtliche Schritte zu unternehmen, wenn die Behörde vorhaben sollte, auch noch die Petition auszusitzen.

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum