Neil Cherry: eher Mobilfunkgegner, denn Wissenschaftler (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 07.04.2018, 14:48 (vor 2411 Tagen) @ H. Lamarr

Die Website von Neil Cherry, 2003 verstorbener ICNIRP-Kritiker und wissenschaftliches Rückgrat der ersten Generation europäischer Mobilfunkgegner, steht gegenwärtig mit einem Preis von 2000 Dollar zum Verkauf.

Die Website ist noch immer zu kaufen, von 2000 Dollar ist jetzt allerdings keine Rede mehr.

Dort wurden 30 wissenschaftliche Dokumente Cherrys (z.B. eigene Forschungsarbeiten) zu Preisen zwischen 5 Dollar und 30 Dollar als PDFs zum Kauf angeboten.

So ganz stimmt das nicht, denn Neil Cherry brachte auf dem Gebiet EMF praktisch keine eigene Forschung zustande. Der schwülstige Nachruf der Gigaherz-Evi ("Als im letzten Jahr plötzlich bekannt wurde, der Forscher Dr. Neil Cherry leide an einer unheilbaren neuromotorischen Krankheit, ging ein tiefes Erschrecken durch die Reihen aller, die so grosse Hoffungen auf die Arbeiten des Neuseeländer Wissenschafters gesetzt und sich auf seine bisherigen Aufsehen erregenden Forschungsergebnisse gestützt hatten.") ist daher nur irreführend, denn wissenschaftlich war Cherry in der EMF-Forschung völlig bedeutungslos. Er käute lediglich wieder, was andere zuvor entdeckt hatten. Dass er dennoch von frühen Mobilfunkgegnern und auch von Gigaherz hingebungsvoll gefeiert wurde lag u.a. daran, dass der Neuseeländer sogar die angeblichen biologischen Nebenwirkungen des Kurzwellensender Schwarzenburg in seinem Repertoire hatte. Dieses Repertoire unterscheidet sich allerdings in Nichts von dem heutiger laienhafter Mobilfunkgegner, die sich x-beliebiges Belastungsmaterial zusammensuchen und damit hausieren gehen. Cherrys originäre Leistung bestand darin, dass er dies noch in der Vor-Google-Ära zuwege brachte. Rückblickend sind seine "Forschungsarbeiten" freilich nicht besser als das, was organisierte Mobilfunkgegner wie Isabel Wilke, Jörn Gutbier oder Peter Hensinger sich heute zusammengoogeln und tendenziös interpretieren. Damals wie heute kommen dabei wissenschaftlich unhaltbare Behauptungen zustande, die bevorzugt in interessierten Kreisen (Profiteure der Angst vor Elektrosmog) Beachtung finden. Cherrys Behauptungen, z.B. zum angeblich unter EMF-Einwirkung gestörten Kalziumaustausch, beruhten auf dem Kenntnisstand von 1999, sie sind heute widerlegt. Cherry präsentierte gerne ein Zerrbild der Realität, indem er einzelne Alarmstudien als Stand des Wissens ausgab und alle Studien unter den Tisch fallen ließ, die seinen Alarmbotschaften nicht dienlich waren. Noch heute "informieren" organisierte Mobilfunkgegner ihre Anhänger nach eben diesem bewährten Schema der Desinformation.

Was Cherry bei Mobilfunkgegnern so beliebt machte war der Umstand, dass er sich in der Szene nicht vorsichtig zurückhaltend äußerte, wie dies Wissenschaftler gemeinhin tun, sondern dass er es krachen ließ: Wenn z.B. eine Krebsstudie um einen Rundfunksender am Rande von San Franzisko den Verdacht nährte, die Funkfelder des Senders könnten irgend etwas mit dem auffälligen Krebsgeschehen in der Region zu tun haben, dann machte Cherry kurzen Prozess und verkündete zur Begeisterung seines Laienpublikums: FM radio, TV signals and radar exposures cause significant and dose response increases in brain cancer, leukaemia and other cancers, and cardiac, neurological and reproductive health effects. Da sich nur wenige Wissenschaftler so weit vom Pfad der Tugend in Richtung Populismus entfernen blieb Neil Cherry wissenschaftlich ein Außenseiter, der allein unter Gesinnungsfreunden Beachtung und Anerkennung fand. So ist es typisch, dass Cherry auf den großen Jahrestagungen der BEMS fehlte, wohl aber auf der berühmt-berüchtigten "Salzburger Konferenz" des Mediziners und Mobilfunkgegners Gerd Oberfeld im Juni 2000 als Referent auftrat. Was er den Teilnehmern dort auftischte, kann man diesem Dokument aus dem Fundus der Lincoln-Universität entnehmen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Desinformation, Cherry, Populismus, Trick, Kommerz, Kalzium, ICNIRP-Kritiker


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