Rauchen, Handytelefonieren und VERUM (Allgemein)
Im Spiegel 23/2005 - "Geheime Gesandte" - steht eine schöne Geschichte zur Forschungsförderung durch Tabak:
"Hochrangige Gesundheitswissenschaftler aus Deutschland ließen sich jahrelang Studien von der Tabakindustrie bezahlen. Firmeninterne Dokumente zeigen, wie die Zigarettenkonzerne die Forscher instrumentalisierten, um die Gefahren des Rauchens herunterzuspielen."
Neben Prof. Adlkofer treten in diesem Artikel von 2005 folgende Hauptakteure auf:
Jürgen Freiherr von Troschke, 64, zum Beispiel, der Leiter der Abteilung für Medizinische Soziologie der Universität Freiburg...
...Troschke spielte offenbar auch eine wichtige Rolle für die Industrie, als die EU ihre Anti-Tabak-Politik verschärfte. In einem Strategiepapier heißt es, der Professor sei an einigen Projekten und Arbeitsgruppen beteiligt, und "Prof. Troschke spricht für uns in den Arbeitsgruppen".
Heute ist Troschke Leiter der Deutschen Koordinierungsstelle für Gesundheitswissenschaften in Freiburg.
Johannes Siegrist, 61: Der Leiter des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf hat viele Preise und Auszeichnungen erhalten. ... außerdem gilt er als Spiritus Rector der Gesundheitswissenschaften in Deutschland...
...Seit 1995 saß er im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung für Verhalten und Umwelt, die von der Zigarettenindustrie ins Leben gerufen wurde. Seine Aufgabe dort sei gewesen, sagt Siegrist, "Projektanträge" zu begutachten und "externe Gutachter vorzuschlagen".
Johannes Gostomzyk, 69. Anfang der achtziger Jahre debattierte Amerika heftig über die Schädlichkeit des Passivrauchens. Eine Arbeit der Amerikaner James White und Herman Froeb hatte belegt, dass in verqualmten Büros auch die Lungen von Nichtrauchern leiden. Die Branche war nervös, bis Colby von Reynolds sie in einem Geheimpapier beruhigte. Man habe Gostomzyk als "geheimen Gesandten" zu den beiden Forschern geschickt....
...Gostomzyk, Leiter des Augsburger Gesundheitsamtes, tauchte in der Folge als regelmäßiger Empfänger von Forschungsgeldern aus der Zigarettenbranche auf - ... Er ist Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, er ist Schriftleiter der Fachzeitschrift "Das Gesundheitswesen" und als Vorsitzender der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern ein Ratgeber der Regierung von Edmund Stoiber.
Bei der Anwerbung des Münchner Mediziners Karl Überla, 70, hatte selbst die Tabakindustrie zunächst Skrupel - schließlich war der Mann damals Präsident des Bundesgesundheitsamtes (BGA). Der VDC probierte dennoch, den Mediziner für sich zu gewinnen. Am 21. Mai 1982 beantragte Überla laut den Dokumenten tatsächlich ein großangelegtes Forschungsprojekt: 1,6 Millionen Mark für eine Studie über Passivrauchen, die auch bewilligt wurden.
Wenig später traf sich der VDC-Mann Prof. Adlkofer mit Überla, so heißt es in einem internen Bericht, um die "Cumarin-Affäre" zu besprechen. Der als Rattengift gebräuchliche Pflanzenstoff hatte sich als extrem toxisch erwiesen und war deshalb als Zutat für Tabakprodukte verboten worden. Die Firmen aber wollten Cumarin als Geschmacksverstärker für Light-Zigaretten verwenden. Die Industrie argumentierte deshalb, bei den Versuchen am Maxvon-Pettenkofer-Institut des BGA, die zu dem Verbot geführt hatten, sei die Dosierung "unnatürlich hoch" gewesen. Am 11. August 1982 konnte Prof. A. seinem Verband melden, dass der Chef des obersten Gesundheitsamtes die Sicht der Zigarettenindustrie teilte.
Die endgültige Entscheidung über den Zusatzstoff wurde auf die lange Bank geschoben. In der Zwischenzeit durften Philip Morris und BAT insgesamt 36 Milliarden Zigaretten mit dem Wirkstoff herstellen.
Der Artikel schließt:
"Die Manager der Tabakindustrie dagegen waren sich offenbar sicher, stets auf die deutschen Forscher setzen zu können - auch wenn sie von deren wissenschaftlichen Fähigkeiten keineswegs überzeugt waren. So firmieren die Studien von Siegrist und Troschke in den US-Dokumenten unter der Überschrift "soft science" - weiche Wissenschaft, das ist für die auf harte Daten bauenden Naturwissenschaftler eine Schmähvokabel. Und über den ehemaligen BGA-Chef schreibt ein Reynolds-Mann: "Prof. Überlas analytische Kompetenz ist sehr begrenzt." Seine Projekte hätten nur "dank der massiven Unterstützung durch Wissenschaftler der Industrie durchgeführt" werden können.
Das fand VDC-Mann Prof. Adlkofer aber doch kleinkariert. Er antwortete den Kritikern in den USA, dass sie nicht verstanden hätten, worum es in der Zusammenarbeit mit Überla gegangen sei. Dabei handele es sich um ein "durch und durch politisches Projekt"."
Noch ein paar Informationen zu den Beteiligten:
Troschkes Deutsche Koordinierungsstelle für Gesundheitswissenschaften sagt über sich selbst:
Von 1992-2006 förderte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft mit Mitteln der Fritz und Hildegard Berg-Stiftung ein Sonderprogramm "Gesundheitswissenschaften/Public Health". Die in diesem Kontext gegründete Koordinierungsstelle soll dabei eine Mittlerfunktion zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie den Wissenschaftsorganisationen wahrnehmen, engen Kontakt mit den zuständigen Stellen des Bundes und der Länder halten und durch eigene Fördermaßnahmen die Bedingungen für die Entwicklung der Gesundheitswissenschaften/ Public Health verbessern. Sie wird diesen Auftrag mit begrenzten Ressourcen und aus Eigenmitteln in eingeschränkter Form fortsetzen.
Siegrist saß vor und während Reflex im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung VERUM um "Projektanträge" zu begutachten und "externe Gutachter vorzuschlagen". Er ist auch Vorstandssprecher vom "Nordrhein-Westfälischer Forschungsverbund Public Health", der seit 1992 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde.
Gostomzyk ist Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention
Überla (im Spiegel):
Als Professor der Universität in München und Sprecher des Bayerischen Forschungsverbundes Public Health war er weiterhin eine einflussreiche Forschergröße.
Gründungsmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Public Health sind laut Protokoll vom 12.11.1996:
Prof. J. Siegrist, Prof. J. v. Troschke, Prof. K. Überla. Alle drei waren im ersten Vorstand. Neben der Förderung der Lehre waren auch Publikationsmöglichkeiten wichtig:
Ein zweiter Arbeitsschwerpunkt der DGPH bestand in der gemeinsamen
Herausgabe von Zeitschriften:
- Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften, Journal of Public Health
- Public Health Forum
Daraus kann sich ja jeder selbst sein Teil denken. Aber zu sagen, dass die führenden Tabakforscher Deutschlands das Handtuch warfen und sich aus der Forschung, ihrer Förderung und Publikation vollständig zurückzogen, wäre wohl eine sehr gewagte These.
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H. Lamarr,
25.09.2009, 21:50
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H. Lamarr,
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KlaKla,
26.09.2009, 10:20
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Doris,
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AnKa,
27.09.2009, 22:49
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- Freiburger Appell: Erwiderung auf frühe Kritik - H. Lamarr, 01.10.2014, 00:31
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